Geschichte
Die Region im Zentrum Eurasiens geriet im Laufe der Jahrhunderte unter stetig wechselnde Herrschaften und war so gut wie nie richtig unabhängig.
Zunächst gehörte das Gebiet zum Herrschaftsgebiet der Xiongnu. Dieses erste Reich von Steppennomaden identifizierte einen kleinen Stamm in den Bergen des Ostsajan, dem es den Namen Dubo gab. Dies war das erste Mal, dass das Volk der Tuwiner in schriftlichen Aufzeichnungen erwähnt wurde. Ab dem 6. Jahrhundert übernahmen die Göktürken und wurden im 8. Jahrhundert von den Uiguren abgelöst. In dieser Zeit prägte sich die tuwinische Sprache aus, die zu etwa gleichen Teilen samojedischen und mongolischen Einflüssen unterliegt. Nach den Uiguren herrschten die Kirgisen – bis im Jahre 1207 der älteste Sohn Dschingis Khans die Region für die Mongolen unterwarf. Diese hielten Tuwa bis ins 17. Jahrhundert, als sie es an die Oiraten verloren, die es wiederum an die chinesisch-mandschurische Qing-Dynastie abtreten mussten. Allein die Androhung militärischer Gewalt hatte genügt, Tuwa dem Chinesischen Kaiserreich einzuverleiben. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Region einen wichtigen chinesischen Vorposten, was im ersten Vertrag von Kyakhta im Jahre 1727 auch von Russland bestätigt wurde.
Allerdings errichtete China seine Grenzsicherungen nicht in den Sajan-Bergen am Übergang zum Zarenreich, sondern bereits in den noch zur Äußeren Mongolei gehörenden Tannu Ola-Bergen. Russische Politiker folgerten aus diesem Umstand, dass das Gebiet zwischen diesen beiden Bergketten disponibel sei und ließen eine sukzessive russische Besiedlung zu. Neben Berg und Kaufmannsleuten entdeckten immer mehr Altgläubige Tuwa als sicheren Hafen, um ihren puristischen Alltag frei von Verfolgung leben zu können. Goldfunde verstärkten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die russischen Hegemonialbestrebungen in Tuwa.
Die Qing-Dynastie war sich dieser Entwicklungen durchaus bewusst, allerdings war sie durch innere Friktionen und den Abwehrkampf gegen den westlichen Imperialismus derart geschwächt, dass sie die eigenen Interessen in diesen entfernten Gegenden nicht mehr durchsetzen konnte.
Im zweiten Vertrag von Khakhta sicherte China der Äußeren Mongolei volle Autonomie zu und erkannte Tuwa de facto als russisches Protektorat an. Das Ausbleiben formeller Beschlüsse zum politischen Status der Region führt bis heute zu dem kuriosen Umstand, dass Tuwa vom weit entfernten Taiwan beansprucht wird, welches den Tuwinern gar taiwanesische Pässe offeriert. Selbstverständlich ist die Regierung in Taipeh weit davon entfernt, ihren Standpunkten Geltung verschaffen zu können, sieht sich aber dennoch als Nachfolger und Sachwalter der 1911 gegründeten bürgerlichen chinesischen Republik.
Ähnlich wie in der Äußeren Mongolei gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Tuwa Bestrebungen zur Gründung eines eigenen unabhängigen Staates, allerdings geriet die Region zunächst in die Wirren des russischen Bürgerkrieges. Die heutige Hauptstadt Kyzyl wurde für etwa zwei Jahre von den Truppen des weißgardistischen Generals Kolchak gehalten. Zudem nutzten die Chinesen die kriegsbedingte Instabilität, um weite Teile Tuwas zurückzuerobern.
1921 gelang es den Bolschewiken schließlich, sowohl die Weißgardisten als auch die Chinesen aus Tuwa zu vertreiben. Analog zur Äußeren Mongolei wurde in Tuwa eine formell unabhängige sozialistische Republik ins Leben gerufen, doch schon nach wenigen Jahren kam es zu ersten Friktionen mit der sowjetischen Schutzmacht. Der erste Premierminister wollte den Buddhismus zur Staatsreligion erheben und die Beziehungen zur benachbarten Mongolei intensivieren. Dies widersprach den Vorgaben des Kremls, sodass ein Putsch inszeniert und eine neue Regierung eingesetzt wurde, die dann streng nach den Moskauer Direktiven handelte. 1944 bildete ein fingiertes Bittschreiben des tuwinischen Parlaments die Grundlage für die endgültige Annexion durch die Sowjetunion.
Im Gegenzug wurde dem Vorsitzenden der Tuwinischen Volksrevolutionären Partei, Salchak Toka, zugesichert, bis zu seinem Tod die innenpolitischen Belange der nunmehr Autonomen Sowjetrepublik steuern zu dürfen. Tuwa blieb daraufhin für fast 50 Jahre streng von der Außenwelt abgeschlossen.
Im Februar 1990 begründete ein Philologe der Kyzyl-Universität die demokratische Bewegung in Tuwa, in deren Folge es zu heftigen Übergriffen gegen die russische Bevölkerung kam. Die bürgerkriegsähnliche Situation mit mehr als 150 Toten ließen das russische Militär eingreifen, welches die Lage rasch beruhigen konnte. Allerdings gaben die Ereignisse den Impuls für eine anhaltende Abwanderung russischer Siedler.
1993 wurde mit einer Mehrheit von 53 Prozent eine autonome Verfassung verabschiedet, die die Möglichkeit eines Unabhängigkeitsreferendums einschloss. Allerdings führte im Jahr 2001 ein erneutes Referendum zur Streichung dieses Passus und zur Abschaffung des Präsidentenamtes von Tuwa.
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wurden überproportional viele Bürger der Republik zum Kriegsdienst eingezogen. Viele Tuwiner sind vor der Mobilisierung zu den Landsleuten in der benachbarten Mongolei geflohen.
Politik
Die lange ungeklärte Tuwa-Frage bildete nach der Auflösung der Sowjetunion einen Sonderfall innerhalb der Russischen Föderation. Schließlich war Tuwa schon einmal unabhängig und bestand die verfassungsrechtliche Möglichkeit einer Abspaltung. Spätestens seit der Regierungsübernahme Wladimir Putins sollte sezessionistischen Tendenzen jedoch massiv Einhalt geboten werden. Aktuell steht die Unabhängigkeit nicht mehr auf der Agenda. Dies ist unter anderem damit zu erklären, dass der tuwinische General Sergej Shoigu ein enger Freund Putins ist und viele Jahre als Verteidigungsminister der Russischen Föderation amtierte. Aktuell steht er dem Nationalen Sicherheitsrat vor. Zudem sind die innere Autonomie sowie der Schutz der tuwinischen Sprache und Kultur weitgehend gewährleistet, ist die wirtschaftlich rückständige Region auf Aufbauhilfen aus Moskau angewiesen.
Aktuell wird nur das Parlament der Republik – der Große Khural – in regionalen Wahlen bestimmt. Der Regierungschef wird vom Präsidenten der Russischen Föderation vorgeschlagen, bedarf aber der zusätzlichen Legitimation durch das tuwinische Parlament. Im Großen Khural sitzen mehr als 160 Abgeordnete, was angesichts einer Einwohnerzahl von knapp 300.000 für ein Regionalparlament umfassend erscheint. Korruption ist ein gravierendes Problem und mit einem Abgeordnetenmandat sind im Regelfall erhebliche Nebeneinkünfte verbunden.
2007 schlug Wladimir Putin den Ingenieur Sholban Kora-ool als Regierungschef vor, was vom Großen Khural legitimiert wurde. 2012 wurde er erneut bestätigt. Nach einer Änderung der Russischen Verfassung trat er 2016 vom Amt des Regierungschefs zurück, um einen Tag später von Putin zum „Leiter“ der Republik Tuwa ernannt zu werden. Seit dem Jahr 2021 bekleidet Vladyslav Khovalyg dieses Amt.
Demografie
Mit einer Einwohnerzahl von etwas mehr als 300.000 gehört Tuwa zu den kleineren Republiken innerhalb der Russischen Föderation. Besonders ist, dass der Anteil der tuwinischen Titularethnie mit 80 Prozent jenen der russischen Siedler deutlich übersteigt, was nur in wenigen russischen Föderationssubjekten der Fall ist. Und deshalb hat sich auch die tuwinische Sprache deutlich besser erhalten, als das Burjatische in der gleichnamigen Nachbarrepublik. Tuwinisch ist vor dem Russischen eindeutig die Verkehrssprache in Tuwa.
Analog zu den demografischen Anteilen sind auch die religiösen Bekenntnisse verteilt. Tuwa gehört zu den wenigen Regionen Zentralasiens, in denen sich als Teil des Schamanenkultes noch ein ausgeprägter Tengrismus (Himmelsglaube) erhalten hat. Seit Jahrhunderten besteht eine friedliche Koexistenz und inhaltliche Vermischung mit den deutlich enger und besser organisierten buddhistischen Tempeln und Klöstern. Etwa zwei Drittel der Tuwiner bezeichnen sich als Buddhisten und etwa zehn Prozent als Schamanisten, 20 Prozent als Atheisten und lediglich vier Prozent als Christen. In Bezug auf das letztere Segment sind vor allem die teils sehr abgelegenen Siedlungen der Altgläubigen zu erwähnen.
Die Bevölkerungsdichte in Tuwa liegt mit 1,8 Einwohnern pro Quadratkilometer etwas unterhalb des mongolischen Wertes. Die Hauptstadt Kyzyl ist mit etwa 120.000 Einwohnern die einzige größere Stadt. Ansonsten hat keine Kommune mehr als 20.000 Einwohner. Die Städte Kaa-Khem (18.000 EW), Ak-Dovurak (14.000 EW) und Shagonar (11.000 EW) liegen auf den Positionen zwei, drei und vier. Der Siedlungsschwerpunkt befindet sich im Tuwinischen Becken, einer Niederung von etwa 400 Kilometern Länge, die sich in klarer Ost-West-Ausrichtung zwischen dem Sajan-Gebirge im Norden und den Tannu-Ola-Gebirge im Süden dahinzieht.
Geografie und Klima
Die Autonome Republik liegt im Süden Sibiriens an der Grenze zur Mongolei. Weitere Nachbarn sind die russischen Republiken Altai im Westen, Burjatien im Osten und Khakassien im Nordwesten sowie die Region Krasnojarsk im Norden und die Oblast Irkutsk im Nordosten. Tuwa ist eingerahmt von den Gebirgszügen Westlicher Sajan im Norden, Tannu-Ola im Süden und Altai im Westen. Der nördliche und östliche Teil der Republik sind äußerst gebirgig, der Westen und Süden werden dagegen weitgehend vom Tuwinischen Becken eingenommen, weisen ein eher ebenes bzw. hügeliges Relief auf. Höchster Berg ist der knapp 4.000 Meter hohe Mongun Taiga im östlichen Altai. Im Schnitt liegt die Republik auf einer Höhe von 600 Metern.
Wichtigster Fluss ist der Jenisej, der in der Republikhauptstadt Kyzyl durch die Vereinigung aus Großem Jenisej und Kleinem Jenisej entsteht. Der Große Jenisej hat seine Quelle innerhalb Tuwas, der Kleine Jenisej speist sich durch zwei aus der Mongolei kommenden Quellflüsse. Die meisten Seen liegen in der Todscha-Senke im Nordosten der Republik. Dazu hat die Republik Tuwa einen winzigen Anteil (unter einem Prozent) am Uws Nuur, dem größten See in der abflusslosen „Senke der Großen Seen“.
Die Hauptstadt Kyzyl am Zusammenfluss von Großem und Kleinem Jenisej. Foto: © Valery Irgit
Die Hauptstadt Kyzyl beansprucht den Titel als Mittelpunkt Asiens. Grundsätzlich liegt kaum eine Region der Welt dem Meer so fern wie die Republik Tuwa. Das Klima ist entsprechend kontinental und ähnelt dem der benachbarten Westmongolei. In Kyzyl beträgt die Durchschnittstemperatur im Januar annähernd minus 30 Grad. Im Juli werden dagegen im Schnitt 21 Grad Celsius erreicht. Allerdings fällt in Tuwa deutlich mehr Niederschlag, sind insbesondere die Winter weniger trocken. Während es in der Westmongolei zwischen November und März nahezu durchgängig niederschlagsfrei bleibt, sind Schneefälle in Tuwa keine Seltenheit.
Das von Jenisej und Cherntshik durchflossene Tuwinische Becken ist eine ausgesprochene Steppenlandschaft. Wüste und Halbwüste finden sich innerhalb Tuwas nur dort, wo die Republik Anteil an der „Senke der großen Seen“ hat, was nur unmittelbar nördlich des Uws Nuur und im äußersten Südosten in der Nähe der Siedlung Ersin der Fall ist. Hier treffen die Vegetationszonen Sandwüste und Tundra direkt aufeinander, was nirgendwo sonst auf der Welt der Fall ist.
Der Norden Tuwas wird von den nahezu unberührten Sajan-Bergen dominiert. Hier herrscht eine für Sibirien typische Taigavegetation vor. Mittendrin breitet sich das mittelgebirgsartige Todscha-Becken mit seinen zahlreichen Seen aus. Hier besteht die Vegetation hauptsächlich aus Lärchen, Sibirischen Zirbelkiefern und Fichten. Im westlichen Teil des Beckens kommen Birkenwälder sowie Riedgräser vor.
Wirtschaft und Verkehr
Die Republik Tuwa ist die am wenigsten entwickelte administrative Einheit in ganz Russland. In weiten Teilen dominiert noch immer die traditionelle Nomadenwirtschaft. Allerdings verfügt die Region über reiche Rohstoffvorkommen, wie etwa Erze, Buntmetalle, Seltene Erden, Kohle, Asbest. Saphire, Gold, Quecksilber und Jade.
Daneben wird intensiv Forstwirtschaft betrieben, wohingegen die enormen Ressourcen der Wasserkraft kaum genutzt werden.
Wilderei und illegaler Holzeinschlag sind gravierende Probleme. Chinesische Händler konnten in den 1990er Jahren belastbare kriminelle Strukturen aufbauen und erfreuen sich bei Holz und seltenen Tierarten einer wachsenden Nachfrage aus China.
Auch infrastrukturell gehört Tuwa zu den am wenigsten entwickelten Regionen der Russischen Föderation. Hauptverkehrsmittel ist das Auto. Daneben spielt die Reiterei eine wichtige Rolle. Eine Eisenbahnlinie gibt es derzeit nicht. Allerdings soll in den kommenden Jahren eine Strecke bei Kuragino von der Südsibirischen Eisenbahn ins 400 Kilometer entfernte Kyzyl abzweigen, was vor allem dem Abbau und Transport der reichen natürlichen Ressourcen dienen wird. Derzeit bildet die Jenisej-Fernstraße von Krasnojarsk über Abakan nach Kyzyl und weiter an die mongolische Grenze die Hauptschlagader der Republik. Abseits dieser wichtigen Nord-Süd-Trasse ist die Region nur notdürftig erschlossen. Insbesondere mangelt es an einer tragfähigen Ost-West-Trasse, die Tuwa mit den benachbarten Republiken Altai im Westen und Burjatien im Osten verbinden könnte. Zwar führt eine Straße von Saryg Sep (50 Kilometer östlich von Kyzyl) bis nach Ak-Dowurak (300 Kilometer westlich von Kyzyl) in den Westen Tuwas. Anstatt jedoch die Berge des Altai zu durchqueren, wendet sie sich anschließend in Richtung Norden zurück auf die eingangs beschriebene Nord-Süd-Verbindung. Bei dem Ort Tschadan (230 Kilometer westlich von Kyzyl) zweigt eine nach Süden führende Stichstraße zur etwa hundert Kilometer entfernten gelegenen mongolischen Grenze ab. Neben dem Grenzübergang bei Arz Suur, dem südlichen Endpunkt der Jenisej-Fernstraße (270 Kilometer südlich von Kyzyl), ist dies der wichtigste Kontrollpunkt zur benachbarten Mongolei. Ein dritter Grenzübergang befindet sich bei Mugur-Aksy im äußersten Westen der Republik unmittelbar unterhalb des Mungun-Tayga-Berges. Die drei Posten sind jedoch allesamt nur für russische und mongolische Staatsbürger passierbar, sodass für Ausländer buchstäblich nur ein Weg von und nach Tuwa führt – die Jenisej-Fernstraße.
Insgesamt sind die Regionen südlich und südwestlich von Kyzyl deutlich besser erschlossen, als das Sajan-Gebirge im Norden und Nordosten.
Die Entfernung nach Krasnojarsk, wo Anschluss an die Interkontinentale und an die Transsibirische Eisenbahn besteht, beträgt 800 Kilometer und lässt sich in etwa zehn Stunden bewältigen. Bis nach Abakan, Hauptstadt des benachbarten Khakassiens und Halt an der Südsibirischen Eisenbahn, sind es 400 Kilometer bzw. fünf Stunden Fahrt.
Seit dem Jahr 2015 werden vom Flughafen in Kyzyl direkte Verbindungen nach Moskau angeboten. Weitere mögliche Ziele sind Nowosibirsk, Krasnojarsk und Irkutsk. Die kleine Air Tuwa fliegt zudem einige sehr entlegene Flugplätze innerhalb der Republik an.
Einwohner: 0,32 Mio. (vgl. Stadt Karlsruhe 0,31 Mio.)
Fläche: 169 Tsd. qkm (vgl. Neue Bundesländer plus Bayern 178 qkm)
Bevölkerungsdichte: 2 EW/qkm
Hauptstadt: Kyzyl – 117 Tsd. EW
Amtssprache: Tuwinisch, Russisch
Währung: Russischer Rubel (RUB)
Regierungsform: Autonome Republik innerhalb der Russischen Föderation
Zeitzone: +6 MEZ