Ein Obdach ist in den lebensfeindlichen Weiten Zentral- und Nordasiens von essentieller Bedeutung. Kälte, Hitze, Dürre, Blitze, Schnee, Sturm, Starkregen oder ähnliche Unbilden sind der Grund für die extrem geringe Siedlungsdichte in der Region und diese wiederum sorgt dafür, dass Hilfe im Zweifelsfall sehr weit sein kann. Ein Unfall oder eine ernste Krankheit kann in Taiga, Steppe oder Wüste schnell existentielle Konsequenzen haben. Die hier siedelnden Menschen sind es gewohnt auf sich selbst gestellt zu sein und sie wissen, dass die Verweigerung von Hilfe schlimmste Konsequenzen haben kann. Und genau deshalb hat sich zwischen Kaukasus und der Wüste Gobi eine Gastfreundschaft etabliert hat, die weltweit ihresgleichen sucht. Unabhängig vom jeweiligen religiösen Unterbau wird ein Fremder stets eine helfende Hand finden, bewirtet werden und ein Nachtlager angeboten bekommen.
Und so lassen sich auf diese Weise sehr authentische Erfahrungen machen, können sich die reichen Kulturen der Seidenstraße direkt vor einem entfalten. Tausende junge Menschen aus dem sogenannten Westen, aus Europa, Nordamerika oder Ozeanien haben dies bereits erlebt. Zentralasien und insbesondere die Mongolei waren über Jahrzehnte hinweg ein Hotspot der Backpacker-Szene. Das harsche Klima, die wilde Natur und die naturgegerbten Menschen zogen Abenteuerlustige in einem Ausmaß an, wie es nur wenige andere Regionen auf dem Erdenrund tun. Die unvergleichliche kulturelle Vielfalt tut ein Übriges zu dieser Faszination. Von den Völkern der Taiga über die mongolisch geprägten Nomadenkulturen der weiten Steppe zu den alten islamischen Zivilisationen Usbekistans und Turkmenistans und weiter – jenseits des Kaspischen Meeres – den christlichen Ur-Nationen Georgien und Armenien. All dies stets gesprenkelt mit den manchmal herben, mitunter aber auch nostalgischen Überbleibseln des Sowjetrealismus.
Landschaft in der Mongolei. Foto: Pierre André Leclercq
Bei all der Faszination für wilde Reisen in entlegene Weiten muss man sich schon fragen, mit welchem Recht sich „wohlstandsüberdrüssige“ Kinder aus gutem Hause ihre Abenteuerlust von Menschen finanzieren lassen, die außer sich selbst und ihrem Vieh nichts besitzen und unter kärglichsten Bedingungen ihr Leben fristen. Der angeblich so selige Nomadenalltag beschränkt sich eben nicht auf den Urlaub bzw. die Rolle eines Gastes, sondern schließt unter anderem den überaus harten Winter mit ein und ist geprägt von einer kontinuierlichen existenziellen Bedrohung durch die Natur. Mittlerweile wird in einschlägigen Foren darüber debattiert, mit welchen Gastgeschenken man sich bei der lokalen Bevölkerung für die erwiesene Gunst bedanken kann, doch im Kern erinnert dieser Austausch an die berühmten „bunten Glasperlen“ der Kolonialzeit. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte bleiben eklatant und es ist schlichtweg unmoralisch, sich trotz der eigenen ökonomischen Potenz von teilweise elend armen Familien durchfüttern und transportieren zu lassen.
Die westliche Perspektive auf die ach so ursprünglichen fremden Welten kommt ohnehin reichlich snobistisch daher. Wie oft hat man gebildete und vermeintlich kultursensible Europäer den Umstand bedauern hören, dass dieses oder jene entfernt lebende Volk seine traditionelle Lebensweise verliert und sich zunehmend der Moderne zuwendet. Ich empfehle bei solcherlei Konversationen gerne einen Tausch der Plätze. Soll man halt die gemütliche Altbauwohnung in einer x-beliebigen europäischen Großstadt zur Verfügung stellen, sich im Gegenzug im entbehrungsreichen Nomadenleben unterweisen lassen und dauerhaft in die kalte Steppe ziehen…
Es bleibt möglich und auch erstrebenswert, die Kulturen der Region aus erster Hand zu erfahren. Wenn es aber gewissen moralischen Prämissen entsprechen soll, ist es nicht planbar, bleibt dem Zufall und der Dynamik spontaner Begegnungen überlassen. Will man die authentische Kulturerfahrung dagegen erzwingen, wird sie entweder nicht authentisch sein oder aber die Gastgeber übervorteilen. Besser ist es, angemessen für sich selbst zu sorgen und ansonsten die Augen und das Herz geöffnet zu halten für die Begegnungen am Wegesrand. Kontakte ergeben sich oder sie ergeben sich nicht. Wenn sie sich ergeben, wird es überraschender und auch besser sein als jeder noch so durchdachte Plan.
In einer mongolischen Jurte.
Mongolei
Was ich nicht für optimal halte, wurde nun hinreichend beschrieben. Im Folgenden soll es konstruktiver werden. Beginnen will ich mit dem Hinweis, dass es natürlich nicht verboten ist, die lokale Bevölkerung um Hilfe zu bitten. Denn auch wenn man sich hinreichend um die eigenen Belange kümmert, kann fremde Unterstützung noch immer notwendig sein – speziell in den entlegenen Regionen der Mongolei. Autos können kaputtgehen und ursprünglich avisierte Jurtencamps ausgebucht sein. Dann macht es natürlich Sinn, bei den Nomaden nach einer helfenden Hand zu fragen bzw. sie zu bitten, das eigene Zelt im Umkreis der Jurte und damit im Schutz der Hütehunde aufschlagen zu dürfen. Das alles ist legitim und wird einem nicht abgeschlagen werden.
Die Jurtencamps sind eine landestypische, praktische und vergleichsweise günstige Form der Unterkunft. Dies gilt vor allem abseits von Ulaanbaatar, wo es neben dem eigenen Zelt oder den Jurten der Nomaden oft keine Alternative gibt. An den wichtigsten Touristenzielen hat sich mittlerweile eine ganze Bandbreite solcher Anlagen etabliert. Zumeist gruppieren sich einzelne Übernachtungs-Jurten rund um eine größere Palastjurte, in der die Kantine untergebracht ist. Im Mittelklassesegment wird es irgendwo auf dem Gelände einen Sanitätsbereich mit Dusche zur gemeinsamen Nutzung für alle Gäste geben. Einfachere Camps verfügen nicht über Strom und fließend Wasser. Auf der anderen Seite der Komfortskala finden sich hochpreisige Angebote, bei denen eigene individuelle sanitäre Anlagen direkt an die Jurte angeschlossen sind.
Die ersten Jurtencamps sind um die Jahrtausendwende entstanden. Eine tolle und innovative Idee, wie sich der aufkommende Tourismus nachhaltig, effizient, authentisch und ohne größeren Aufwand organisieren lässt. Das alles hat sich prächtig entwickelt, ist aber kaum strukturiert. So gibt es bis heute kein nationales Verzeichnis dieser Jurtencamps und kaum eines ist auf den großen internationalen Buchungsportalen gelistet. Im Netz kursiert eine mongolischsprachige Adresssammlung mit ein paar Links zu Facebook-Adressen, doch auch hierüber lassen sich keine verlässlichen Buchungen tätigen. Alles also wie immer sehr spontan, sodass Ausländerpreise weiterhin an der Tagesordnung und verbindliche Reservierungen kaum möglich sind. Nach wie vor gleicht es einer schier unüberwindbaren Herausforderung, als Nicht-Mongole eine Reise durch das Land angemessen vorzuplanen. Ohne Unterstützung vor Ort, sei es von professionellen Agenturen oder individuell beauftragten Guides, wird man nur mühsam vorankommen. Insofern mag der Couchsurfing- und Trampen-Ansatz der internationalen Backpacker-Gemeinde mildernde Umstände erhalten, weil sich die Mongolei individuell ansonsten eben kaum bereisen lässt.
Den Tourismuszahlen in der Mongolei haben die geschilderten Defizite bislang keinen größeren Schaden zufügen können, doch das muss nicht so bleiben. Schließlich bemühen sich die zentralasiatischen Nachbarn aktuell in breit angelegten Marketing-Offensiven um internationale Gäste.
Ein kurzer Ratgeber zum Jurtencamp:
- Belegung mit maximal fünf Personen
- Reservierungen nicht immer möglich und wenn getätigt, nicht immer verlässlich
- i.d.R. fünf Einzelbetten entlang der Außenbegrenzung, Bettwäsche zum Selbstbezug
- Frühstück i.d.R. inklusive, oft verstehen sich die Preise auch als Vollpension
- i.d.R. eng begrenzte Auswahl der in der Kantine zur Verfügung stehenden Speisen
- der Jurtenofen muss nach Instruktion durch das Personal i.d.R. selbst angeheizt werfen
- sanitäre Anlagen i.d.R. in einem separaten Anbau zur gemeinsamen Nutzung durch alle Gäste
- Parkplätze i.d.R. kein Problem
- wenn man zusammen mit Mongolen reist, sollten zunächst diese nach den Preisen für eine Jurte fragen
- oft bieten die Nomaden der Umgebung verschiedene Dienstleistungen an – bspw. kurzer Ausritt, Anmietung von Fahrrädern, Verkauf von Airag (vergorene Stutenmilch) u.Ä.m.
- Angebotsdichte der Jurtencamps nimmt sukzessive ab, je weiter man sich von Ulaanbaatar entfernt
Jurtencamp in der Mongolei. Foto: © Oleg Bor
Hotels sind in der Mongolei vor allem in Ulaanbaatar verbreitet. Auf dem Land ist zu Sowjetzeiten zwar auch das eine oder andere gemauerte Gasthaus entstanden, doch oft ist die Gebäudesubstanz derart erodiert, dass ein Jurtencamp eindeutig vorzuziehen ist. Ausnahmen gelten für Ölgii, Khovd, Ulaangom und Erdenet.
Auch bei den Hotels in Ulaanbaatar verfügen nur wenige über eigene Websites oder sind auf den gängigen Portalen gelistet. Tatsächlich lassen sich zumeist nur die Spitzenhäuser finden, was einen völlig falschen Eindruck von den Preisen in der mongolischen Hauptstadt vermittelt.
Einige Mittelklassehotels lassen ihre Kontaktdaten zumindest auf Google registrieren, was eine Nachfrage nach Preisen und Bedingungen ermöglicht. Speziell in Ulaanbaatar hat sich in den vergangenen Jahren auch eine bezahlbare und teilweise annehmliche Alternative herausgebildet. Und zwar die wachsende Zahl an Apartments, die über Booking.com, AirBnb und andere Webseiten angeboten werden. Die Standards sind allerdings noch recht unterschiedlich, weshalb es sich lohnen kann, sich umfassend mit den jeweiligen Rezensionen zu befassen.
Sibirien
Jenseits der mongolischen (Nord)Grenze ist es deutlich einfacher. Es beginnt schon damit, dass annähernd jede touristische Unterkunft auf irgendeinem Portal gelistet ist. Am weitesten verbreitet ist Booking.com, jedoch sollten die russischen Anbieter nicht unberücksichtigt bleiben. Yandex hat mit Abstand die größte Verbreitung. Daneben bieten regionale Kooperationen Übersichten über Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort.
Was in der Mongolei das Jurtencamp, ist in Sibirien das Gostevoy Dom (Gästehaus). Wobei „dom“ – also Haus – etwas irreführend klingt, weil es sich zumeist um einfache Bungalows handelt. Diese können jedoch urgemütlich sein und sind in der Regel zu mehreren angeordnet. Ein eigenes Badezimmer ist manchmal vorhanden, wenn nicht, gibt es – analog zum mongolischen Jurtencamp – einen kleinen Sanitätskomplex zur gemeinsamen Nutzung für alle Gäste. Nicht selten ist dort auch eine russische Sauna (Banja) untergebracht. Gleiches gilt für die Küche die – im gehobenen Segment im Zimmer respektive Häuschen –, zumeist aber in einem zentralen Wirtschaftshaus untergebracht ist. Im Garten finden sich zumeist ein Grillbereich und ein kleiner Spielpatz.
Im Umkreis der touristischen Hauptattraktionen Sibiriens – vor allem am Baikal und im Altai – hat sich mittlerweile eine auskömmliche Infrastruktur herausgebildet. An anderen Orten ist die Auswahl kleiner und sind die Standards zumeist niedriger.
In den größeren Städten Sibiriens finden sich zum einen noch die alten Hotels aus der Sowjetära, haben sich zum anderen aber auch die großen internationalen Ketten etabliert. Die Preise können sehr stark variieren. Eine Alternative sind Apartments, die von den großen Reiseportalen, aber auch von russischen Vermittlern angeboten werden.
Gostevoy dom im Sajangebirge.
Zentralasien
Analog zur Mongolei ist in Zentralasien die touristische Infrastruktur noch deutlich ausbaufähig. In den größeren Städten Kasachstans hat sich mittlerweile ein auskömmliches Angebot entwickelt, doch außerhalb dieser eng bemessenen geografischen Grenzen ist die Auswahl teilweise arg begrenzt. In den kleineren Städten konkurrieren zumeist zwei bis drei ältere Hotels aus der Sowjetzeit um die wenigen Gäste. Die Gebäude sind zwar zumeist restauriert, doch am Service hat sich bis heute nicht allzu viel geändert.
In Kasachstan und Kirgisistan kann das eigene Zelt eine sinnvolle Alternative darstellen, weil Camping in diesen Ländern überall erlaubt ist und die allgemeinen Sicherheitsstandards als zumindest auskömmlich beschrieben werden können. In Kirgisistan hat sich – analog zur Mongolei – das eine oder andere Jurtencamp herausgebildet, oft werden aber auch einzelne Jurten von den Nomaden an Gäste vermietet. Für Hotels gilt im Wesentlichen das, was zu Kasachstan bereits gesagt worden ist. In Bishkek und Osch sind die auf Booking.com und anderen Portalen gelisteten Apartments deutlich vorzuziehen. Ergänzt wird das Angebot im unterpreisigen Segment durch eine wachsende Zahl an Hostels.
Kirgisische Jurte. Foto: © Peretz Partensky
Tadschikistan ist aufgrund der politischen Verwerfungen, der schwierigen Topografie und der fehlenden eigenen Rohstoffressourcen ein teures Reiseland. Kulturell bestehen einige Spezifika, die sich die Reisenden bewusst machen sollten. Das persische Ritual des Tarof besagt, dass die Gastgeber dreimal teilweise vollkommen überzogene Offerten machen, die der Gast genau dreimal ablehnen muss. Erst beim vierten Mal kann man sich überlegen, ob man zusagt oder nicht. Grundsätzlich sollte man aber wissen, dass die Familien hier zumeist bettelarm sind und sich die allzu gastfreundlichen Bewirtungen eigentlich nicht leisten können. Hotels gibt es nur in den größeren Städten. Abseits davon ist man auf Homestay-Angebote oder auf das eigene Zelt angewiesen.
Usbekistan besitzt von allen zentralasiatischen Staaten die beste touristische Infrastruktur. Das Angebot in Taschkent, Samarkand und Buchara ist enorm, doch auch in den kleineren Städten lassen sich problemlos gute Unterkünfte finden. Auf den Seiten von Booking.com und anderen sind zudem etliche Apartments gelistet. In Karakalpakistan, dem extrem dünn besiedelten Westen des Landes, bieten einige Jurtencamps ihre Dienste an. Grundsätzlich sollte man nicht vergessen, sich registrieren zu lassen, weil andernfalls hohe Strafzahlungen drohen.
Turkmenistan ist ohnehin ein extrem abgeschlossenes Land. Im Regelfall wird man mit einem sieben Tage gültigen Transitvisum durchs Land hetzen und versuchen, zumindest die Höhepunkte mitzunehmen. Man kann privat unterkommen, doch man sollte darauf achten, seine Gastgeber nicht in Gefahr zu bringen. Der Inlandsgeheimdienst hat seine Augen und Ohren nahezu überall. Ansonsten gibt es in den größeren Städten ein hinreichendes Angebot an exklusiven Hotels, die allerdings teilweise sehr teuer sind. Im mittleren und unteren Preissegment nehmen nur wenige Unterkünfte Ausländer auf.
Kaukasus
Im Gegensatz zu den abenteuerlichen Weiten Zentralasiens, Sibiriens und der Mongolei sind die drei kaukasischen Staaten ein schierer Touristentraum. Die Unterkünfte sind zahlreich, die Preise niedrig und die Gastgeber verlässlich. Georgien ist touristisch am weitesten entwickelt, doch auch jenseits der Grenze in Armenien und Aserbaidschan lässt sich problemlos ein akzeptables Dach über dem Kopf zu einem angemessenen Preis finden.
An den touristisch relevanten Zielorten macht sich eine Vielzahl kleinerer Anbieter gegenseitig Konkurrenz. Mit niedrigen Preisen und gutem Service. Die Hauptstädte Tbilissi, Jerewan und Baku sind etwas teurer als die ländlichen Regionen, doch auch hier wird der Reisende auf moderate und akzeptable Offerten stoßen.
Batumi am Schwarzen Meer verfolgt enorme Ambitionen im internationalen Badetourismus, für einen nachhaltigen Erfolg müsste sich jedoch zunächst die Wasserqualität verbessern. Die von Georgien abtrünnige Provinz Abchasien besitzt ein noch höheres touristisches Potential, welches aufgrund der politischen Friktionen jedoch nicht ansatzweise ausgeschöpft werden kann.
Das georgische Batumi am Schwarzen Meer.