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Ostwärts Reisen

Nach Peking, in Peking und um Peking herum

Mein Schwager Tulga hatte uns zum Hauptbahnhof von Ulaanbaatar gebracht, wo wir den Zug in Richtung Peking bestiegen. Jan, Dirk und ich machten es uns in einem Viererabteil bequem und waren froh, dass das restliche Bett freibleiben durfte. Es dauerte nicht lange bis wir die letzten Vororte Ulaanbaatars hinter uns ließen und in die endlose Leere der Gobi eintauchten. Anfangs konnten wir noch einige Blicke auf die bewaldeten Khentii-Berge erhaschen, doch bald schon wechselte das Panorama in eine plattebene Geröllwüste, die uns über Stunden begleiten sollte. Wir hielten in den Aimakzentren Choir und Sainshand und erreichten in den Abendstunden bei Zamiin Uud die mongolisch-chinesische Grenze.

Weil ansonsten nicht allzu viel zu tun war, hatten wir bereits das eine oder andere Bier geöffnet und waren in freudiger Erwartung auf die sich mit den Grenzformalitäten bietende Abwechslung. Auf mongolischer Seite ging es vergleichsweise schnell, doch als der Zug die Grenzlinie überquerte, änderte sich die Stimmung rapide. Bei meiner letzten Fahrt von Ulaanbaatar nach Peking mussten sich die Fahrgäste während der mehrstündigen festlandchinesischen Abfertigungen lediglich im gleichen Wagen aufhalten und durften auf chinesischer Seite sogar für einige Minuten den Zug verlassen, um sich im Bahnhofsshop von Erenhot mit Wegzehrung einzudecken. Vor allem aber blieben die Toiletten geöffnet. Dieses Mal war es anders. Sobald wir die Grenze überfuhren, riegelte unser chinesischer Schaffner alles ab.

Einfahrt in Erenhot, Posten besteigen den Zug, sämtliche Pässe werden eingesammelt. Dazwischen Ungewissheit. Wer sich auf dem Gang kurz die Füße vertreten wollte, musste sofort wieder rein ins Abteil. Nach einer Stunde kamen die Pässe zurück. Erleichterung. Dirk fand die Kontrollen eher lax, ich hingegen barsch. Achtung Wortwitz. Sowas konnten wir in diesem Augenblick noch. Im Anschluss ging der Zoll durch, um das gesamte Gepäck penibel zu überprüfen. Als die Beamten fertig waren, hielten wir das Schlimmste für überstanden, doch wider Erwarten blieb auch im Stellwerk alles zu. Hier musste die Spurweite vom sowjetischen auf das international übliche System umgestellt werden, was mindestens zwei Stunden in Anspruch nimmt.

Im Speisewagen der mongolischen Eisenbahn auf dem Weg zur Grenze.

Für das kleine Problem hatten wir schnell zwei leere PET-Flaschen zur Hand. Das ging so gut, dass wir keinerlei Veranlassung zur Einschränkung unseres Bierkonsums sahen. Dirk allerdings hatte – noch in Ulaanbaatar – eine Packung Trockenfleisch gekauft, die er als Auslöser für die folgenden Entwicklungen identifizierte.

Anfangs machten wir noch Witze, doch sechs Stunden können unter gewissen Umständen sehr lang werden. Anfängliche Nervosität steigerte sich sukzessive in schiere Verzweiflung. War es nur Schweiß oder schon Tränen? Dirks Bewegungen glichen zunehmend den beschwörenden Tänzen der mongolischen Schamanen. Und auch seine Artikulation tendierte immer stärker in diese Richtung.

Es half nichts. Ich stellte mich möglichst breitbeinig in den Gang, Jan blockierte unauffällig das Schaffner-Abteil und Dirk tat dem Papierkorb im Türbereich Unaussprechliches an. Nach der Anpassung der Spurweite fuhren wir erneut in den Bahnhof von Erenhot ein. Hier wurde die Tüte gewechselt. Wir hätten es selbst gemacht, doch wir wussten nicht wohin. Und wir wollten uns auch nicht verdächtig machen, wo doch das Corpus Delicti so offensichtlich vor sich hin moderte. Der Schaffner kam uns zuvor. Er entriegelte die Türen und entsorgte gleich den ganzen Papierkorb. Seine Miene werde ich nicht vergessen.

Hinter Erenhot hat man es fast geschafft und irgendwann wird auch die Landschaft vielfältiger. Am frühen Nachmittag erreichten wir den Hauptbahnhof von Peking. Wir mussten eigentlich nur kurz über den Bahnhofsvorplatz, doch Jan erlitt beim Einchecken im Hotel einen kleinen Kreislaufkollaps. Die Umstellung von den angenehm gemäßigten Sommertemperaturen in Ulaanbaatar zum feuchtheißen Klima in Peking war zu viel für ihn, doch er sollte sich bald wieder erholen.

Ausklang in Peking

In Peking hatte ich eigentlich alles schon gesehen. Also fuhr ich mit dem Schnellzug nach Tianjin und mit dem Regionalzug in die alte Kaiserstadt Chengde. Ersteres ist mit immerhin 15 Millionen Einwohnern der wichtigste Hafen Nordchinas und eine von nur vier regierungsunmittelbaren Städten Festlandchinas. Neben traditionell chinesischen und modernen Elementen lässt sich hier die koloniale Geschichte der chinesischen Freihäfen nachvollziehen.

Während man von Peking nach Tianjin mit 300 Stundenkilometern in deutlich weniger als einer Stunde dahinsaust, ist die Verbindung nach Chengde wesentlich gemächlicher. Die 160 Kilometer nordöstlich von Peking gelegene Stadt diente den Kaisern der mandschurischen Qing-Dynastie als Sommerresidenz. Etliche Tempel, Parks und Paläste laden zum Verweilen ein. Besonders interessant war der historische Nachbau des Potala-Palastes aus dem tibetischen Lhasa und natürlich ist allein die Fahrt in einem chinesischen Personenzug ein Erlebnis an sich, wiewohl die zwei mal vier Stunden für einen reinen Tagesauflug grenzwertig sind.

Den Potala-Palast in Chengde hatten die Qing-Kaiser im 19. Jahrhundert als originalgetreue Replik des Vorbilds im tibetischen Lhasa errichtet.

Am letzten Tag vor Dirks Abreise wollte ich mir das westliche Umland von Peking erschließen. Die Tanzhe- und Jietai-Tempel schmiegen sich in die waldreichen Berge und verknüpfen auf wunderbare Weise Architektur und Natur. Auf dem Rückweg in die Stadt schaute ich mir den äußerst pittoresken Botanischen Garten an und es war sogar noch Zeit für den dritten Toten auf unserer Reise – Mao-Tse-Tung in seinem Mausoleum auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Den Abend verbrachte ich im Studentenviertel von Wudaokou mit Bier und äußerst interessanten Gesprächen. Es gibt eine progressive Jugend in China und der zunehmende Wohlstand wird dazu führen, dass sie immer stärker ihre Freiheitsrechte einfordert.

In den letzten drei Tagen zu zweit brachte ich Jan noch in die Verbotene Stadt, zur Großen Mauer, zu den Hutongs der Südstadt, zum Himmelstempel und zum Olympiapark samt Stadion. Damit hatte er zumindest die Highlights gesehen. Abends gingen wir zumeist in Sanlitun aus, wo die chinesische Hauptstadt am internationalsten ist.

Die chinesische Mauer wurde dereinst zum Schutz vor den Mongolen errichtet.

Noch ein paar Tipps zum Schluss

Wer Peking schon ausreichend erkundet hat, dem seien ein paar Ausflüge ins Umland empfohlen.

  • Besonders naheliegend ist eine Fahrt ins benachbarte Tianjin mit seinen immerhin mehr als 15 Millionen Einwohnern. Der Superschnellzug braucht weniger als eine halbe Stunde und fährt alle paar Minuten. Tianjin ist bekannt für sein koloniales Erbe und die romantisch beleuchtete Skyline am Hai-Fluss. Zwar auch sehr urban, aber insgesamt etwas entspannter als Peking.
  • Chengde war der Sommersitz der mandschurischen Qing-Dynastie, der letzten Kaiser vor der bürgerlichen Revolution 1911 und der Machtübernahme der Kommunisten 1949. Vom Bahnhof aus sind es noch einige Kilometer Richtung Norden bis zum riesigen Areal der kaiserlichen Sommerresidenz mit all ihren Tempeln, Gärten und Palästen. Die Anreise aus Peking ist allerdings recht lang, sodass man mindestens eine Übernachtung einplanen sollte.
  • Badaling ist der meistbesuchte Ort an der Chinesischen Mauer. Vom Busbahnhof am Desheng-Tor im Norden der Pekinger Innenstadt fährt der 877er Bus direkt dorthin. Die Fahrt dauert etwas mehr als eine Stunde und kostet lediglich zwölf Yuan.
  • Wärmstens zu empfehlen ist auch eine Reise nach Shanhaiguan, wo die Chinesische Mauer auf den Pazifischen Ozean trifft. Von der Festung „Alter Drachenkopf“ am Strand bis zum „Ersten Pass unterhalb des Himmels“ inmitten der Stadt sind es etwas mehr als fünf Kilometer. Dazwischen liegt der Bahnhof, der sich in nur zwei Stunden mit dem Schnellzug aus Peking erreichen lässt. Shanhaiguan bedeutet Berg-See-Pass. Der Ausflug lohnt auch deshalb, weil sich zwischen Shanhaiguan und Qinhuangdao lange Sandstrände am Gelben Meer entlangziehen.
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