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Ostwärts Reisen

Tschernobyl (Ukraine)

Der Reaktor mit seinem betonenen Sarkophag steht im Grenzgebiet der Ukraine zu Belarus. In einer weiten sumpfigen Ebene an den Ufern des Prypjat kurz vor dessen Mündung in den Dnepr. Umgeben von tiefen Wäldern, in denen sich bis heute eine beeindruckende Biodiversität entwickelt hat. Für mitteleuropäische Verhältnisse war die Gegend schon immer dünn besiedelt. Nach der Reaktorkatastrophe ist sie auf beiden Seiten der ukrainisch-belarussischen Grenze zur Sperrzone erklärt worden, finden sich im Umkreis von 50 Kilometern nur wenige kleinere Siedlungen.

Kiew ist im Süden etwas mehr als hundert Kilometer entfernt und lässt sich in weniger als zwei Stunden erreichen. Theoretisch auch mit dem Boot, denn Tschernobyl liegt am nordwestlichen Ende des Kiewer Stausees, in dem der Dnepr auf mehr als hundert Kilometern Länge zu einer riesigen Wasserfläche aufgestaut wird. Aus Nordwesten strömt dem See der Pripyat zu, der von seiner Quelle bei Brest an der belarussisch-polnischen Grenze bis zur Mündung kurz hinter Tschernobyl 760 Kilometer misst und damit einer der längsten Nebenflüsse des Dnepr ist.

Luftaufnahme der Geisterstadt Pripyat. Oben links der Sarkophag von Reaktor 4. Foto: Omar David Sandoval Sida

Tschernobyl war mit knapp 13.000 Einwohnern eine typische sowjetische Kleinstadt. Heute liegt sie in der äußeren „exklusiven Zone“, die besucht werden kann, in der man sich aber nicht dauerhaft aufhalten darf. Seit einigen Jahren wurde und wird jedoch toleriert, wenn zumeist ältere Menschen wieder zurückkommen, sodass Tschernobyl heute wieder um die hundert ständige Bewohner zählt. Vor dem Überfall auf die Ukraine ließ sich die Stadt auch von Touristen recht einfach bereisen. Die 30-Kilometer-Zone beginnt bei einem Checkpoint in der Nähe des Dorfes Ditiatky. Dort müssen die Pässe präsentiert werden, wobei die Zutrittsgenehmigung in der Regel auch vor Ort erteilt wird, man sich den Antrag bei der staatlichen Behörde für das Management der „exklusiven Zone“ also sparen kann.

Tschernobyl ist von einem überaus morbiden Charme mit verfallenen Wohnblocks, überwucherten Plätzen und Tieren, die in den verlassenen Straßen herumstreunen. Die besagte staatliche Agentur zur Verwaltung der „exklusiven Zone“ ist der größte Arbeitgeber vor Ort, wobei die Angestellten nur zeitweise hier arbeiten, damit ihnen die radioaktive Strahlung keinen bleibenden Schaden zufügt.

Es gibt eine spärliche Infrastruktur aus einem Lebensmittelladen, einer Tankstelle, zwei kleinen Hotels und einem Restaurant. Auch die orthodoxe St. Elias-Kirche hat wieder geöffnet. Die meisten Besucher werden sich aber eher für die spezielle Atmosphäre in den Straßen der Stadt interessieren.

Die Trasse, an der Tschernobyl liegt, führt theoretisch weiter in die Großstadt Tschernihiw, endet aber bald, weil ein kleiner Zipfel belarussischen Territoriums im Wege liegt. Jenseits der Brücke über den Dnepr beginnt wieder die Ukraine, doch die Brücke ist gesperrt, weil Belarus sein Territorium für Russlands feigen Überfall auf die Ukraine zur Verfügung gestellt hatte und damit Kriegspartei ist. Mit Beginn des Krieges hatten die Russen die Gegend weitgehend widerstandslos eingenommen, zogen nach einigen Wochen aber genauso kampflos wieder ab, sodass Tschernobyl selbst in keine größeren Auseinandersetzungen verwickelt war. Allerdings hatten die Russen alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war, sorgten so für einen Schaden von mehr als hundert Millionen US-Dollar. Zeitweise hatten zehntausende russische Soldaten in den verfallenen Ruinen gehaust. Seit Anfang April 2022 steht das Gebiet wieder unter der Kontrolle der freien Ukraine.

Der neue Sarkophag von Reaktor 4. Foto: Tim Porter

Ziemlich genau im Zentrum der Geisterstadt zweigt die Kirov-Straße links ab und führt nach etwas weniger als 20 Kilometern zum Kraftwerk selbst. Kurz hinter Tschernobyl beginnt die innere „exklusive Zone“, müssen an einem Checkpoint wieder die Pässe präsentiert werden. Von hier ab darf man sich nicht mehr frei bewegen, sondern muss sich von zertifizierten Guides herumführen lassen. Das Kraftwerk selbst und auch der havarierte Reaktor 4 samt seines neuen Sarkophags lassen sich von außen besichtigen. Nach einer Explosion war es am 26. April 1986 hier zu einer Kernschmelze gekommen, einem Super-GAU, dem größten anzunehmenden Unfall. Günstige Winde hatten dafür gesorgt, dass die größeren Städte der Umgebung nur wenig Strahlung abbekamen, dass das nahegelegene Kiew, aber auch Tschernihiw, die belarussische Hauptstadt Minsk sowie die russischen Großstädte Brjansk und Smolensk weitgehend verschont blieben. Am schlimmsten hatte es Gomel im Südosten von Belarus getroffen. Konkrete Angaben zu den genauen Opferzahlen bleiben schwierig, doch mindestens lässt sich sagen, dass die Zahl von Krebserkrankungen, Missbildungen und Fehlgeburten in den betroffenen Gebieten massiv in die Höhe schnellte. Von den Liquidatoren, die den ersten Sarkophag errichteten, hatte kaum jemand die folgenden Jahre überlebt. Die ganze Region wurde evakuiert und darf sich seitdem weitgehend ungestört von menschlichen Eingriffen entwickeln. Nicht zuletzt war Tschernobyl das Fanal für den nahenden Untergang der Sowjetunion. Zeitgleich ging der Krieg in Afghanistan verloren, mehrten sich die ökonomischen Probleme, begehrten immer mehr Völker des Riesenreiches gegen die russische Dominanz auf. Der Sarkophag des havarierten Reaktors 4 wurde vor einigen Jahren erneuert. Heute ist das Strahlungsniveau erheblich gesunken, sodass ein kurzer Besuch als unproblematisch eingestuft werden kann. Gleiches gilt für den nahen Kühlturm und den zentralen Aufmarschplatz.

Unmittelbar hinter dem Kraftwerk beginnt in nordwestlicher Richtung die Stadt Pripyat, welche aus Anlass des Kraftwerksbaus gegründet worden war und dereinst bis zu 50.000 Menschen eine Heimstatt geboten hatte. Eine sozialistische Musterstadt mit ausgeprägtem Komfort. Geräumige Apartments, fließend Wasser, Fernwärme und Elektrizität. Schulen, Kindergärten, Spielplätze, Restaurants, ein Kino und sogar ein eigener Vergnügungspark samt Riesenrad. Inmitten des kargen Sowjetsozialismus eine vermeintlich heile Welt, die mit dem 26. April 1986 endgültig unterging.

Heute strahlt Pripyat den Reiz vieler Geisterstädte aus, wirkt dabei aber besonders morbide und aus der Zeit gefallen. Ich kann jeden verstehen, der sich von dieser düsteren Stimmung faszinieren lässt und sehe keinerlei Widerspruch zu einer empathischen Haltung den Opfern gegenüber. Schließlich weiß auch meine Heimatstadt Berlin mit allerlei obskuren Hinterlassenschaften des Kalten Krieges und des real existierenden Sozialismus zu gefallen.

Kiew liegt nur etwas mehr als hundert Kilometer südlich von Tschernobyl.

Für die Natur war die Katastrophe ein Gewinn, zumindest mittel- und langfristig. Die bewaldete Sumpflandschaft der Umgebung hat sich zu einem der bemerkenswertesten Habitate Mittel-/Osteuropas entwickelt. Nirgendwo sonst durfte ein derart ausgreifendes Gebiet so lange ohne jeden menschlichen Einfluss bleiben. Und damit sich daran nichts ändert, erhalten Touristen keinen Zugang, wird darüber hinaus intensiv nach Wilderern und Holzdieben gefahndet. Einige Gehöfte in den tiefen Wäldern sind von zurückgekehrten Einsiedlern bezogen worden, die sich weitgehend selbst versorgen und stillschweigend toleriert werden. Nach der ukrainischen Unabhängigkeit war die Gegend immer mal wieder Objekt umfassender Feldforschungen, gaben sich Physiker, Mediziner, Biologen und Ethnologen die Klinke in die Hand. Alle anderen bleiben draußen. Der Tourismus ist auf die Stadt Tschernobyl, das ehemalige Kraftwerksgelände und die Geisterstadt Pripyat beschränkt. In Kiew finden sich mehrere Agenturen, die Touren dorthin anbieten. Allerdings nur bis zum russischen Überfall. Seit der Befreiung der Region ist man damit beschäftigt, die russischen Hinterlassenschaften, Minen etc. fortzuräumen, gilt das Gebiet als militärische Sperrzone. Es bleibt zu hoffen, dass die Ukraine bald siegen wird, der Tourismus in diesem schönen Land anläuft und auch dieser einzigartige Ort wieder besichtigt werden kann. Ein kleines Strahlungsrisiko ist geblieben, doch üblicherweise werden ständig Geigerzähler mitgeführt, sodass sich die Gefahren realistisch einschätzen und damit minimieren lassen. Überdies wird man beim Verlassen des Gebietes auf eine radioaktive Kontamination untersucht werden. In den vergangenen Jahren hat es diesbezüglich keine Zwischenfälle gegeben.

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