Ecological ground zero - vom Aralsee zur Aralkum (Usbekistan/Kasachstan)
Ich kann mich noch entsinnen, wie wir im letzten Jahr der DDR den Geografie-Unterricht vollständig in russischer Sprache absolvieren mussten. Dran war gerade die Sowjetunion und ich erinnere mich an meinen Tischnachbarn Attila, mit dem ich in einen Lachkrampf geriet ob der für uns reichlich komisch anmutenden Namen Karakum und Kysylkum sowie Amudarja und Syrdarja. Für knapp elfjährige Bengels hatte das natürlich keinerlei politische Bewandtnis. Wir waren nur albern, doch unsere Lehrerin fand es trotzdem fürchterlich unangemessen. Schließlich wurde hier im Dienste des Sozialismus ein großer Teil der zentralasiatischen Wüste und Halbwüste für den Baumwollanbau urbar gemacht. Von vielen sowjetischen Großprojekten war das wohl das verwegenste. Die Baikal-Amur-Magistrale machte als weiterer Verkehrskorridor zwischen dem Fernen Osten und dem europäischen Russland durchaus Sinn, genauso wie die verschiedenen Straßen- und Schienenprojekte, die in der Arktis der Erschließung reichhaltiger Bodenschätze dienten, der Schifffahrtskanal zwischen der Ostsee und dem Weißen Meer hingegen war keine so gute Idee, weil nur für kleinere und mittlere Schiffe passierbar. Noch weniger erschießt sich einem jedoch der Gedanke, zwei Wüstenflüsse abzuleiten, um damit flächendeckend das karge Ödland zu bewässern. Es muss doch klar gewesen sein, dass das wertvolle Nass am anderen Ende fehlen würde, dass sich mit der gleichen Menge Wasser nicht ein dutzendfach höherer Ertrag realisieren lässt. Auch für allzu ambitionierte Ingenieure, Geologen und Hydrologen muss doch gelten, dass eins plus eins zwei macht und nicht zweihundert. Tatsächlich war der Widerspruch deutlich hörbar, wurde das Projekt vornehmlich politisch vorangetrieben.
Der Amudarja und der Syrdarja sind die mit Abstand wichtigsten Flüsse Zentralasiens. Während der eine aus den Bergen des Pamir herabströmt, wird der andere von den Gletschern des Tienschan gespeist. Der Syrdarja dient bereits im dicht besiedelten Fergana-Tal extensiv der Bewässerung. Später wird er im kasachischen Schardara-See aufgestaut, wovon während der Schneeschmelze und der dadurch bedingten Überschwemmungen Wasser in den benachbarten, bereits auf usbekischem Territorium liegenden, Aydar-See abgeleitet wird. Auch im weiteren Verlauf wird dem Fluss ein Großteil seines Wassers zu landwirtschaftlichen Zwecken entzogen, weshalb er über Jahre hinweg hinter der ehemaligen kasachischen Hauptstadt Kysyl-Orda in der Wüste versiegte und erst seit einiger Zeit wieder den angestauten Rest-Aral im Norden des ehemaligen Seebeckens erreicht.
Hier erstreckte sich dereinst der drittgrößte See der Welt. Foto: Staecker
Der Amudarja darf zumindest in seinem Unterlauf noch weitgehend ungestört fließen. Als Panj bildet er die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Ab der usbekischen Grenze trägt er den Namen Amudarja und fließt in der Folge auf turkmenisches Territorium, wo ihm – nicht weit hinter der Grenze – mit dem Karakumkanal ein Großteil des Wassers abgenommen wird. Der Kanal ist anderthalbtausend Kilometer lang, soll die gleichnamige Wüste bewässern und mündet bei der Stadt Turkmenbasy ins Kaspische Meer.
Auch im weiteren Verlauf wird dem Amudarja entlang der Oasen an der usbekisch-turkmenischen Grenze massiv Wasser entzogen. Erschwerend kommt hinzu, dass sein einst wichtigster Zufluss – der die Oasen von Samarkand und Buchara bewässernde Serafschan – ihn nicht mehr erreicht. Und so versiegt der Amudarja bis heute kurz hinter der Oase Nukus in der Wüste.
Der Aralsee 1985. Um den heutigen Aral zu sehen, bitte einfach auf den Pfeil klicken. Foto: NASA
Mit knapp 70.000 Quadratkilometern Fläche war der Aralsee dereinst nach dem Kaspischen Meer, dem Oberen See in Nordamerika und vor dem Viktoriasee in Afrika der drittgrößte See der Erde. Seine durchschnittliche Tiefe betrug immerhin etwas mehr als 50 Meter und sein Volumen circa elftausend Kubikkilometer. Die Salinität lag bei weniger als zehn Prozent, weshalb das Wasser auch für die Landwirtschaft genutzt werden konnte. Die Auen rund um den Aral waren dereinst fruchtbar und der See fischreich. Heute lässt sich dort eine ökologische Katastrophe beobachten, die keine Vergleiche kennt. Der See ist fast vollständig ausgetrocknet. Lediglich im Norden und im Westen sind zwei Wasserflächen erhalten, die zusammen allerdings nur etwa ein Zehntel des ursprünglichen Areals bedecken. Das Volumen ist gar um den Faktor zwölf zurückgegangen und die Salinität hat sich extrem erhöht. Geblieben ist eine Salz- und Staubwüste, die zu allem Überfluss durch den jahrzehntelangen Eintrag von Herbiziden und Düngemitteln beeinträchtigt ist. Der Aralsee hat sich zur lebensfeindlichen Wüste Aralkum gewandelt, die zunehmend für andere Regionen zur Bedrohung wird. Schließlich liegt das Areal in einer Windschneise, weshalb die Salze und Gifte in weite Teile Zentralasiens getragen werden. Im Zuge der Austrocknung des Sees soll die globale Luftverschmutzung um fünf Prozent angestiegen sein, konnten Pestizide vom Aralsee sogar im Blut antarktischer Pinguine nachgewiesen werden. Besonders gravierend jedoch ist die ökologische Katastrophe für Zentralasien selbst. Die Kindersterblichkeit nahm rapide zu, Krankheiten verbreiteten sich, das Krebsrisiko stieg deutlich. Zudem gefährden die vom Wind fortgeschleppten Salze viele andere Anbauregionen in Zentralasiens, tragen dort zu einer zunehmenden Versalzung bei.
Mittlerweile hat Kasachstan durch den Bau eines Damms zumindest die nördliche Wasserfläche vor dem Austrocknen retten und weitgehend stabilisieren können. Dies geht allerdings zulasten des westlichen Restsees, weshalb Usbekistan dieses Projekt als nationalen Egoismus brandmarkte. Darauf wurde – mit gewisser Berechtigung – entgegnet, dass sich der usbekische Teil ohnehin nicht mehr retten ließe, weil der Amudarja aufgrund der unverändert extensiven usbekischen Baumwollwirtschaft das Gebiet nicht mehr erreiche. Stattdessen soll nun mit Hilfe internationaler Organisationen eine flächendeckende Bepflanzung mit strapazierfähigen Gräsern versucht werden, die die Salze und Gifte im Boden binden sollen.
Dem Projekt ist gutes Gelingen zu wünschen. Grundsätzlich verdient der Aralsee bzw. die Aralkum-Wüste eine deutlich größere öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie verdeutlicht, wie sich der Mensch durch eigene Hybris selbst ins Fleisch schneiden kann.
Die etlichen verlandeten Fischerboote und Motorschiffe inmitten endloser Wüstenlandschaft vermitteln ein dystopisches Szenario. Das ist natürlich interessant und eine Reise wert, die allerdings gut vorbereitet sein will. Unbedingt sollten sämtliche Vorräte aus sicherer Entfernung mitgebracht werden. Kurzzeitige Aufenthalte gelten als unproblematisch, dennoch empfiehlt sich das Tragen einer Atemmaske. Auf usbekischer Seite müssen zudem ausreichend Treibstoffvorräte mitgeführt werden, weil sich in der gesamten Region keine einzige Tankstelle findet.
Die Anfahrt kann entweder von Kasachstan oder von Usbekistan aus erfolgen. Die letzte größere Stadt auf usbekischer Seite ist Nukus, mit etwa 300.000 Einwohnern die Hauptstadt der autonomen Region Karakalpakistan. Von dort sind es etwa 200 Kilometer bis Moynak, der ehemaligen Küstenstadt am Aralsee. Nicht weit entfernt liegt ein verrosteter Schiffsfriedhof in den Weiten der neu entstanden Aralkum-Wüste. Das südliche Ende des westlichen Restsees ist von Moynak noch etwa hundert Kilometer entfernt. Befestigte Straßen gibt es nicht, sodass unbedingt ein einheimischer Führer gebucht werden sollte. Nukus ist über Moskau mit dem Flugzeug erreichbar. Ansonsten sind es von Buchara knapp 600, von Samarkand 800 und von Taschkent 1.100 Kilometer bis nach Nukus. Alternativ lässt sich die Strecke auch mit dem Zug bewältigen.
Der ehemalige Hafen der kasachischen Stadt Aralsk. Foto: Staecker
Auf kasachischer Seite ist das 30.000 Einwohner zählende Aralsk das Eingangstor zum gleichnamigen ehemaligen See. Auch hier lassen sich Schiffsfriedhöfe sowie ein kleines Museum bestaunen. Von Aralsk sind es zum nördlichen Restsee nur etwa 20 Kilometer. Nächstgelegener internationaler Flughafen ist der von Kysyl-Orda in 450 Kilometer Entfernung. Die Straße dorthin und weiter in die 900 Kilometer entfernt gelegene Millionenstadt Schymkent ist zwar in exzellentem Zustand, allerdings gibt es entlang der Strecke nicht allzu viel zu sehen. Zwar liegt der Weltraumbahnhof Baikonur auf dem Weg, doch es ist höchst unwahrscheinlich, hierfür eine Besuchsgenehmigung zu erhalten. Wie in Usbekistan lässt sich die Strecke auch mit der Eisenbahn zurücklegen.