Das Japanische Meer und die Berge Zentraljapans
Nach Jahren mal wieder in Japan, wo ich zwischen 2005 und 2009 mit einigen Unterbrechungen gelebt hatte. Seinerzeit musste ich im Sinne meiner emotionalen Gesundheit die Heimreise antreten, hatte sich herausgestellt, dass ich mit Land und Leuten überhaupt nicht mehr zurechtkam.
Das Geschäft brachte mich zurück. Japan passt zwar eher nicht zu Kaukasus, Mongolei und abenteuerlichen Touren in den wilden Osten, doch immerhin stimmt die Himmelsrichtung, habe ich das Land wortwörtlich studiert, spreche die Sprache und war fast überall schon gewesen. Und auf den ersten Blick weiß Japan fast jeden zu überzeugen, offenbart nur bei genauerem Hinsehen einige Risse. Touristisch eine Destination erster Güte mit fantastischen Landschaften und einer reichen Kultur.
Ich hatte drei Dinge zu erledigen. Infos sammeln, für ein Japan-Buch, das 2024 erscheinen wird, Reisen vorbereiten, die ab sofort auf meiner Webseite buchbar sind, und Partner treffen, mit denen man in Zukunft kooperieren könnte.
Ich flog von Prag über Taipeh nach Osaka, mietete mir dort ein Auto und raste im Höllentempo durchs Land. In den ersten Tagen hatte ich mich an der Pazifikküste Honshus nach Tohoku vorgearbeitet. Nun ging es auf die andere Seite ans Japanische Meer und anschließend in die Berge Zentraljapans.
Blick vom Bergtempel in Yamagata.
Die drei heiligen Berge von Dewa
Von Sendai ans Japanische Meer, wo das Wetter aus Sibirien kommt, die Jungen wegziehen und nur die Alten bleiben. In die Präfektur Yamagata, in die ich vor Jahren schon einige Male gereist war. Kurz vor der Stadt Yamagata ist der Yamadera, der Bergtempel, in die Hänge der Japanischen Alpen hineingebaut. Tausend Stufen führen nach oben, wo sich von einem Pavillon fantastische Sichten ins Tal und auf die herbstlich bunt verfärbten Berge boten.
Weiter in die nahegelegene Präfekturhauptstadt mit ihren immerhin 250.000 Einwohnern. Es war noch früh am Morgen, ich lag gut in der Zeit und wollte meine verbliebenen tausend Euro tauschen. Bei der ersten Bank war ich gescheitert, doch man verwies mich auf die Zentrale der Yamagata Bank am Shinkansen-Bahnhof. Ich kam auch gleich dran, doch nach dem zehnten, in japanischer Sprache auszufüllendem, Formular ahnte ich, dass es womöglich doch nicht so schnell gehen würde. Als ich glaubte, es endlich geschafft zu haben, ließ mich die Dame am Schalter wissen, dass ich nun eine halbe Stunde auf mein Geld warten müsse. Ich starrte sie mit ehrlicher Entgeisterung an. Die japanische Bürokratie trägt kafkaeske Züge…
Das große torii am Zugang zum Yudono-Schrein.
Mit diesem Zeitaufwand hatte ich nicht gerechnet, weshalb ich mich nun sputen musste. Schließlich standen noch alle drei der heiligen Berge von Dewa auf dem Programm. Dewa ist eine historische Region, weitgehend deckungsgleich mit den heutigen Präfekturen Akita und Yamagata. Üblicherweise besucht man zuerst den Haguro-san, der für die Geburt steht, dann den Gas-san, der den Tod versinnbildlicht, und schließlich den Yudono-san, der als heiligster der drei Schreine die Wiedergeburt symbolisiert. Ich hielt mich wieder nicht an die richtige Reihenfolge, doch die Götter hatten mir das in Ise schon nicht übelgenommen. Zunächst also zum Gas-san, den ich leider nur bis zur halben Höhe besichtigen konnte. Die Seilbahn hatte nur eine Woche zuvor ihren Dienst eingestellt, weil bald die Schneesaison begann. Alternativ führte ein Wanderweg nach oben, doch das hätte mich in eine Richtung einen halben Tag gekostet. Immerhin waren die Sichten fantastisch. Der Gas-san kam so karg und kahl daher, dass sich die Assoziation mit dem Tod auch mir aufdrängte.
Weiter zum Yudono-san über eine unsagbar schmale Bergstraße, die vermutlich bald geschlossen wird. Noch war das Tor offen und ich froh, keinem Gegenverkehr begegnet zu sein. Links der Abgrund, haufenweise Löcher im Asphalt und alles dunkel vom nassen Laub. Ich war solcherlei Wege aus dem Kaukasus gewohnt, hätte sie in Japan aber nicht erwartet. Mit jedem weiteren Tag der Reise sollte sich herausstellen, dass sie gar nicht so selten sind. Auf den letzten Kilometern führte eine Mautstraße zum Yudono-san, dem einzigen der drei Schreine, der sich nicht auf dem Gipfel, sondern am Fuß des Berges erstreckt.
Herbstverfärbung am Yudono-Schrein.
Vom großen Parkplatz waren es noch zwei Kilometer zum Schrein. Ich hätte auch einen Shuttle-Bus nehmen können, doch der fuhr nur selten und der Spaziergang durch dieses in allen Herbsttönen schillernde Tal war viel zu schön. Oben angekommen, muss man sich Schuhe und Socken ausziehen, weil durch den gesamten Schrein warmes mineralhaltiges Quellwasser plätschert. Eintritt wird zwar nicht verlangt, doch Voraussetzung für das Betreten ist ein schintoistisches Reinigungsritual, welches wiederum 500 Yen kostet. Immerhin bekam ich dafür ein Amulett, das ich in den kommenden Tagen wie meinen Augapfel hütete. Mein Programm war derart überambitioniert, dass ich das bisschen Glück gebrauchen konnte.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz mal wieder das übliche Getratsche. Zwei junge, recht ansehnliche Mädels tauschten sich über dieses und jenes aus, kommentierten jede meine Bewegungen. Ich tat so, als ob ich sie nicht verstehen würde, machte zwischendurch immer mal wieder Fotos und hielt so die Distanz. Schön zu hören, dass, wenn die eine jemals etwas mit einem Ausländer anfangen würde, es ein Typ wie ich sein würde. Ich war Gentleman und schwieg dazu. Bin ja auch verheiratet.
Das Zuishinmon-Tor zum Haguro-Schrein.
Schließlich zum Haguro-san. Der Berg der Geburt lag im Einzugsbereich von Tsuruoka, der mit 130.000 Einwohnern zweigrößten Stadt der Präfektur und unweit der Küste des Japanischen Meeres. Seit einigen Jahren kann man für wenig Maut bis nach oben fahren, wobei der Haguro im Gegensatz zum knapp 2.000 Meter hohen Gas-san eher einem Hügel gleichkommt. Der Haguro-Schrein gehört zu den wenigen Beispielen einer genuin japanischen Architektur, wie sie sich sonst nur noch in Ise, Izumo und wenigen anderen Orten besichtigen lässt.
Ein schöner Spazierweg führt zum unteren Teil des Schreins, doch ich konnte das Auto ja nicht oben lassen. Es stellte sich heraus, dass mein Ryokan direkt neben dem prächtigen Zuishinmon-Tor, dem Eingang zum unteren Bereich, lag. Die fünfstöckige Pagode wurde gerade restauriert, doch allein der schöne Teich mit seinem Wasserfall und den kleinen, traditionellen Holzverschlagen für die Naturgottheiten lohnte den kurzen Gang. Im Ryokan wurde Fieber gemessen, was mich daran erinnerte, dass Corona bzw. die Maßnahmen dagegen in Japan deutlich massiver und länger präsent waren als in Mitteleuropa. Für das Abendessen blieb nicht viel Auswahl, denn nur der Andenkenladen gegenüber bot noch bis 18 Uhr eine warme Suppe. Andernfalls hätte ich eine halbe Stunde mit dem Auto nach Tsuruoka gemusst, worauf ich keinerlei Lust hatte.
in jedem Holzverschlag sitzt ein anderer Gott.
Am Japanischen Meer
Tsuruoka war der nördlichste Punkt der Reise. Nun ging es zurück in Richtung Osaka. Und zwar zumeist am Japanischen Meer entlang, also jener Seite abseits der großen Metropolen, wo der hektische Tourist eher nicht hinkommt. Entsprechend dürftig ist die Infrastruktur ausgebaut und so gab es in Richtung Niigata nur eine zweispurige Schnellstraße, zwischendrin auch längere Abschnitte Landstraße. In der Ferne war mit Sado die größte Insel des Japanischen Meeres zu erkennen. Hinter Niigata begann endlich die Autobahn. Zuerst nach Tokyo und dann in Richtung Nagano. Bis Joetsu noch an der Küste und dann die letzten Kilometer landeinwärts in die Berge. An meinem Ryokan fuhr ich vorbei, weil es erst kurz nach Mittag war. Um mein immenses Programm zu bewältigen, stand ich jeden Tag früher auf und auch heute war ich wieder hervorragend durchgekommen.
Die Affen am Onsen-Becken.
Eine geradezu ikonische Szenerie
Erster Programmpunkt war der Snow Monkey Park. Vermutlich hat jeder, der sich ein wenig für Japan interessiert, schonmal die rotarschigen Affen gesehen, wie sie es sich inmitten tief verschneiter Landschaft in einer Thermalquelle gutgehen lassen. Yukata-Mädchen unter Kirschbäumen, der Shinkansen, wie er am Fuji vorbeidonnert, die große Kreuzung in Tokyo-Shibuya und eben die Affen im Onsenbecken – womöglich sind das die vier meistgezeigten Ansichten Japans. Zu den Affen sei gesagt, dass das Becken viel kleiner ist als es aussieht und dass man selten die vielen Touristen sieht, die natürlich auch da sind. Wiewohl es erträglich und nicht allzu überlaufen war. Ich war so weit herangefahren wie möglich und stellte den Kasten am Straßenrand ab. Ein Weg führte hinunter zum Fluss, von wo es noch anderthalb Kilometer zum Eingang des Affenparks waren. Ein schöner Spaziergang. Kurz vor dem Besucherzentrum öffnete sich die Vegetation und die wabernden Schwefelquellen kamen in Sicht. Dies hier war eines von vielen Jigoku-Höllentälern Japans, die alle so heißen, weil sie der buddhistischen Hölle zu entstammen scheinen.
Der Eintritt kostet 800 Yen. Vom Kassenhäuschen war es nicht mehr weit zu den eingefassten Becken. Die Affen sind Gäste gewohnt, allzu nah sollte man ihnen aber nicht kommen. Selbstverständlich ist das Mitbringen von Essen und Getränken verboten.
Mein Kasten am höchsten Punkt des japanischen Straßennetzes.
Der Kasten und sein Höhenrekord
Nach dem Affenpark wollte ich so weit wie möglich hinauf in die Berge und da ich an diesem Tag gut in der Zeit lag, schaffte ich es bis hinüber in die Gunma-Präfektur, die schon zur Kanto-Region rund um Tokyo zählt. Kurz vor Kusatsu Onsen, einem der bekanntesten Kurbäder Japans, erstreckt sich das Shirane-Vulkanfeld. Äußerst beindruckend und mächtig dampfend, doch an diesem Tag wegen vulkanischer Aktivität gesperrt. Das war aber egal, denn das Schönste an dieser Straße waren die fantastischen Sichten. An der Passhöhe markierte eine Stele den höchsten Punkt des japanischen Straßennetzes. 2.172 Meter auf denen ich Ende Oktober noch immer in kurzer Hose und T-Shirt umhersprang.
Ein paar Kurven dahinter führte von einem einsamen Parkplatz ein herrlicher Wanderweg durch alpine Matten ins pittoreske Manza Onsen-Kurbad. Noch ein paar Kurven zurück in Richtung Affenpark erstreckte sich die baumlose Shiga-Hochebene, die das größte und beliebteste Ski-Gebiet Japans ist. Auf dem Weg hinunter nach Yudanaka Onsen zu meinem Ryokan erstrahlten die Berge in allen Schattierungen des Herbstes. Mich begleitete dieser Anblick schon seit Tagen, doch ich konnte mich noch immer daran erfreuen. Meines Erachtens steht der japanische Indian Summer dem in Nordamerika in nichts nach.
Fantastische Sichten über die Berge Zentraljapans mit ihren alpinen Matten.
Chinesischer Ryokan und ein US-amerikanischer Sake-Sommelier
Mein Ryokan lag in der Nähe des Endbahnhofs einer kleinen, aus Nagano kommenden, Regionalbahnlinie. Nicht weit entfernt vom Yomase-Fluss in einem herrlichen Tal, in dem allerorten die Thermalquellen dampften. Hier im Umkreis von Nagano sind die Berge Zentraljapans am höchsten, wurden 1998 die Olympischen Winterspiele ausgetragen, benötigt man mit dem Shinkansen oder dem Auto nur anderthalb bzw. drei Stunden nach Tokyo.
Am Abend traf ich mich mit einem Tourismusunternehmer in einer kleinen, im westlichen Stil gehaltenen Bar. Dabei war auch ein US-Amerikaner, der schon seit Jahrzehnten in Japan lebte und es mit seiner IT-Firma zu Wohlstand gebracht hatte. Er schien bestens integriert, weil gerade auf dem Weg zur japanischen Meisterschaft der Sake-Sommeliers. Jede der 47 Präfekturen entsendet einen Kandidaten und dieser Ami war der erste Ausländer überhaupt, der einen Präfektur-weiten Ausscheid gewonnen hatte.
Mein Ryokan wurde von einer außerordentlich fürsorglichen chinesischen Familie geführt. Mit angeschlossenen Onsen, eigenem Badezimmer und Terrasse sowie hervorragendem Frühstück aufs Zimmer zu einem lächerlichen Preis von knapp 50 Euro.
Das Kurbad Yudanaka Onsen im Tal des Yomase-Flusses.
Die Olympiastadt Nagano
Heute durch die Berge in Richtung Süden nach Takayama. Der erste Zwischenstopp galt dem nahen Nagano. Der Togakushi-Schrein 20 Kilometer nordwestlich der Stadt beschwört eine Begebenheit aus der Schöpfungsgeschichte Japans, als sich die Sonnengöttin Amaterasu aus Scham in einer Höhle versteckt hatte und somit das Licht aus der Welt verschwand. Die anderen Götter konnten sie mit einer List herauslocken. Und weil das Ganze nicht nochmal vorkommen sollte, riss eine der Gottheiten die Tür aus der Verankerung und schleuderte sie so weit wie möglich hinfort. Die Episode soll sich im Süden Kyushus abgespielt haben, doch die Tür war bis in die Berge Zentraljapans geflogen. Togakushi bedeutet „versteckte Tür“.
Der Zuweg zum oberen Schrein ist flankiert von 300 mächtigen Sicheltannen. Vom Parkplatz müssen um die zwei Kilometer auf Waldpfaden zurückgelegt werden bis der Berghang erreicht ist, in den der obere Schrein hineingebaut wurde. Direkt am Parkplatz findet sich ein Heimatmuseum, welches insbesondere die Ninja-Kultur thematisiert und einem lokalen Krieger gewidmet ist, der sich im zwölften Jahrhundert hier in dieser Kunst ausbilden ließ.
Der mittlere und der untere Schrein liegen direkt an der Straße, weswegen hier kein längerer Spaziergang vonnöten ist. Die heiligen Bäume rund um die Gebetshalle des mittleren Schreins sind um die 800 Jahre alt.
Am oberen der drei Togakushi-Schreine in der Nähe von Nagano.
Die Stadt Nagano breitet sich weit unten im Talkessel aus. Vom Togakushi führt die Straße in teilweise abenteuerlich abschüssigen Serpentinen hinunter. Eindeutiges Highlight ist der Zenkoji-Tempel im Stadtzentrum. Google.maps führte mich mitten durch die von Souvenirläden und Imbisslokalen gesäumte Nakamise-dori und unmittelbar am Sanmon-Tor vorbei, welches den Beginn des inneren Tempelbezirks markiert. Einen Parkplatz fand ich westlich des Tempels. Hier befanden sich das Präfekturmuseum von Nagano sowie zwei Kunst-Galerien. Das modernistisch gestaltete Areal bildete einen schönen Kontrast zum Tempel nebenan.
Der Zenkoji lässt sich frei besichtigen. Einzig die Haupthalle erfordert einen kleinen Eintritt. Im Untergeschoss kann man in kompletter Dunkelheit einen Tunnel begehen, um den „Schlüssel zum Paradies“ zu finden. Erlösung wird jedem gewährt, der den tatsächlich an der Wand hängenden Schlüssel berührt.
Der Zenkoji-Tempel in Nagano.
Bissel genervt an einer der schönsten Burgen Japans
In Nagano lässt sich an vielen Ecken die olympische Tradition nachvollziehen, doch dafür hatte ich keine Zeit. Stattdessen direkt auf die Autobahn in Richtung Matsumoto, das nach einer weiteren Fahrstunde erreicht war. Die Burg zählt neben Himeji zu den schönsten und besterhaltenen Festungsbauten Japans. Ungewöhnlich ist die Lage mitten in der Ebene und nicht wie sonst auf dem Gipfel eines Hügels oder Berges. Umgeben von einem herrlichen Park mit großzügigen Sichten. Allerdings ziemlich überlaufen und hektisch. Mehrere dutzend übereifrige Anweiser teilten der träge dahintrottenden Besucherschlange auf Schritt und Tritt mit, wie sie sich verhalten soll. Rechtsrum, linksrum, hohe Stufen, nicht den Kopf stoßen, nichts vergessen, auf Gegenverkehr achten, langsam gehen… Sechs Stockwerke hoch und wieder runter. Ohne jede Pause. Ich war genervt. Japan begann mich zu triggern. Ständig wird man von Mensch und/oder Maschine mit Verhaltensanweisungen vollgeschrien. Was ist mit all den Pfeilen auf dem Boden und den dutzenden Hinweisschildern? Und überhaupt war das hier selbsterklärend. Was für ein armseliges Dasein muss es sein, an einer Holztreppe zum vierten Stock einer Burg zu stehen und acht Stunden lang exakt die gleichen Worte zu schreien. Ohne Unterlass. Merkten diese Menschen, was sie mir und vor allem sich selbst damit antaten? Vermutlich nicht. Die Burg ist schön, doch ich war froh, wieder draußen zu sein und mich halbwegs frei durch den Garten bewegen zu können.
Burg von Matsumoto.
Fähnchen schwenkende Männchen
Die letzte Etappe des Tages führte mich über das Hotaka-Massiv nach Takayama in der Präfektur Gifu. Auf der Passhöhe wollte ich den Abzweig nach Kamikochi Onsen nehmen, um mir auch dieses pittoreske Kurbad inmitten vulkanischer Quellen anzuschauen. Allerdings schien der Tunnel gesperrt. Einzelne Busse und registrierte Autos durften durch, doch ich offenbar nicht. Ich wollte einen der Fähnchen schwenkenden Opis fragen, wie ich auf anderen Wegen ans Ziel gelangen könne, doch der führte nur einen grotesken Tanz auf, sprang vor meinem Auto herum und kreuzte wie wild die Arme. Je näher ich ihm kam, desto intensiver wurde es. Auf meine Anfragen reagierte er nicht. Ich war bedient. Vor jeder Baustelle – egal ob Autobahn oder Landstraße und sei es nur für den Heckenschnitt – stehen am Anfang und auch am Ende jeweils drei bis fünf Opis und schwenken Flaggen. Sie tun dies freiwillig, weil sie der Gesellschaft auch als Rentner noch nützlich sein wollen, nehmen wohl an, dass das irgendwie erwartet wird. Und wenn es der eine tut, dann müssen die anderen dem Beispiel folgen. Die traurige Wahrheit ist, dass dieser Personaleinsatz irre ist, dass diese Menschen keinerlei Mehrwert leisten. In Deutschland und allen anderen Ländern der Welt erbringen einfache Schilder diesen Dienst. Und es ist ja nicht so, dass es die in Japan nicht gäbe. Mitnichten. Baustellen sind durch Kegel, Schilder, digitale Anweisungen und Absperrungen gefühlt dreimal so intensiv gesichert wie in Europa. Die Opas mit ihren grünen und roten Flaggen kommen on top. Der einzige Sinn, der mir einfällt, ist, dass sie dem Reisenden mit Infos zur Seite stehen, aber auch das schien nicht vorgesehen. Gott oder wer auch immer hat uns nur dieses eine Leben gegeben und die Opis entschieden sich dafür, die letzten Jahre inmitten von Abgasen auf windigen Autobahnen und Landstraßen zu verbringen. Ohne jeden Sinn. Sollen sie machen, aber es sind die Auswüchse einer zutiefst konformistischen Kultur, die für das Wohl und Wehe des Einzelnen keinerlei Interesse aufbringt und bis ins Absurde abdriftet. Und genau deshalb ärgerte es mich.
Azusa-Stausee auf dem Weg nach Kamikochi Onsen.
Rundgang durch das alte Takayama
Ich ließ Kamikochi Onsen aus und machte mich auf den Weg nach Takayama, wo genug zu tun war. In Europa sind mittelalterliche Stadtkerne nichts Besonderes, doch in Japan ist die alte Bausubstanz fast nirgendwo erhalten, bietet Takayama eine von wenigen Gelegenheiten, tief in das historische Japan einzutauchen.
Der Takayama-Schrein im Süden der Innenstadt liegt nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Während der Edo-Zeit, als die Region dank ihres Holzreichtums stark prosperierte, residierten hier die Verwalter des Shogunats. Nur wenige Meter vom Schrein entfernt, überquert die pittoreske Nakabashi-Brücke den Miyagawa-Fluss. Auf der anderen Seite biegt links die Sanmachi-Straße ab, wo sich die meisten der restaurierten Manufakturen und Kaufmannsvillen finden. Weiter in Richtung Norden kommt man zum Miyagawa-Morgenmarkt und – jenseits des Enako-Flüsschens – zu zwei ehemaligen Handelshäusern, die als Museum offenstehen. Die Straßenzüge rechts und links des Miyagawa sind mittlerweile zu einem Flächendenkmal gewachsen und strahlen eine äußerst warme Atmosphäre aus.
In der Tempelstadt von Takyayama.
Neben den Gassen am Fluss muss der Besucher unbedingt den Tempelbezirk im Osten der Stadt durchlaufen. Ein hervorragend ausgeschilderter, circa zwei Kilometer langer Rundweg führt mitten hindurch. Vom Hachiman-Schrein, wo jedes Jahr im Oktober eines der beliebtesten Festivals in Japan ausgetragen wird, in Richtung Süden, wo die kleinen, versteckten Tempel in den Hang hineingebaut sind und schließlich am Soyu-Hondo-Tempel rüber zum Shiroyama-Stadtpark, von wo es nicht mehr weit ist in die Innenstadt mit den restaurierten Gassen.
Ich absolvierte die Strecke wie immer im Dauerlauf. Nicht nur, weil ich keine Zeit hatte, sondern auch, weil nach dem Kaiserwetter der vergangenen Woche Regen einsetzte.
Es war nicht einfach, eine geeignete Lokalität für das Abendessen zu finden. Die kleine Stadt erfährt aktuell einen Tourismusboom und scheint darauf noch nicht ganz vorbereitet. In einem Nudelsuppenlanden unweit des Bahnhofs wurde ich endlich fündig.
Mein Ryokan war außerordentlich international. Sowohl das Personal als auch die Kundschaft. Wie immer traf sich in den wenigen für Booking.com freigeschalteten Unterkünften das reiselustige Volk aus Europa und Nordamerika.
Die Gassen von Takayama bei Nacht.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Yamagata ist auf den klassischen Reiserouten nur selten zu finden. Vollkommen zu Unrecht, denn die Region weiß sowohl landschaftlich als auch kulturell zu beeindrucken. Die drei heiligen Berge von Dewa sind ein Highlight erster Güte. Zudem liegt südlich der Stadt Yamagata eines der schönsten und bekanntesten Onsen-Resorts – Zao. Von Tokyo aus benötigt der Yamagata Shinkansen weniger als drei Stunden. Sinnvoll erscheint eine Kombination mit dem nahen Sendai und der Bucht von Matsushima.
Auch Nagano ist an den Shinkansen angebunden. Das Kurbad Yudanaka Onsen lässt sich von hier mit dem Regionalzug erreichen. In den Bergen verkehren lokale Busse, ist man mit einem Mietwagen aber deutlich flexibler.
Matsumoto und auch Takayama lassen sich mit Regionalzügen erreichen. Takayama ist das Zentrum der historischen Hida-Region im Norden der heutigen Präfektur Gifu. Mit hervorragenden Möglichkeiten zum Wandern, Heilbaden und Bergsteigen. Das hiesige Rindfleisch gilt als das beste Japans – noch vor dem Kobe Beef.