Von Racha im Kaukasus in die Steppen des Ostens nach Vashlovani
Wir waren in Soanas Osterferien von Berlin nach Kutaissi geflogen und nun in Westgeorgien im Einzugsgebiet des Rioni, jenes Flusses, der in der Antike als Kolchis bekannt war und den Jason und die Argonauten hinauffuhren, um das Goldene Vlies zu stehlen. Von der Mündung bis zur Quelle. So wie wir. Erst zu den Magnetstränden von Ureki, dann eine Bootstour durch das Rioni-Delta, weiter zu herrlichen Thermalquellen direkt am Flussufer und schließlich über den Okatse-Canyon ins wilde Racha. Dort, wo der beste Wein Georgiens gedeiht, die Nordmanntannen wachsen und die Gipfel des Hohen Kaukasus aus der Ferne grüßen.
In Oni, einem der beiden Hauptorte der Region, hatten wir einen Wintereinbruch erlebt, waren umgeben von unendlichem Weiß. Am Abend zuvor ist schier die ganze Nation explodiert, weil sich Georgien zum ersten Mal für ein großes Fußball-Turnier qualifiziert hatte, nämlich für die EM im Sommer in Deutschland. Ich durfte dabei sein im Partykeller einer georgischen Familie. Es wurde spät und feuchtfröhlich. Einem epischen Abend folgte ein etwas schmerzhafter Morgen.
Entlang des Oberlaufs des Rioni auf dem Weg nach Shovi.
Ein einziger Wintertraum
Soana weckte mich irgendwann auf, weil ich sicher nicht den ganzen Tag verschlafen wollte. Dem war auch so, doch der Kopf tat weh. Gut, dass wir keine großen Pläne hatten und unsere Wetter-App anhaltendes Schneetreiben vorhergesagt hatte. Wir wollten in das Bergdorf Shovi, das 30 Kilometer nordöstlich von Oni in einem Seitental gelegen war. Anderthalb Kilometer vor dem Ort mussten wir einsehen, dass es keinen Sinn mehr machte und der Schnee zu hoch war. Also ließen wir den Mitsubishi am Straßenrand stehen und gingen zu Fuß weiter. Die Sonne war herausgekommen und tauchte die Berge in ein herrliches Licht. Soana genoss es sichtlich, zumal wir unter riesigen Nordmanntannen und inmitten totaler Einsamkeit plötzlich Zeugen eines echten Filmdrehs wurden. Offenbar irgendwas Melodramatisch-Mystisches. Die Crew war international. Niemand störte sich an unserer Anwesenheit, solange wir nur leise sein würden.
Filmdreh unter mächtigen Nordmanntannen.
Einen Kilometer weiter führte eine Brücke über einen rauschenden Bergfluss. Hier hätte das Dorf Shovi begonnen, wenn es nicht einige Monate zuvor im August 2023 einem verheerenden Erdrutsch zum Opfer gefallen wäre. Ich hatte am vergangenen Fußballabend schon davon gehört. Entfernte Verwandte unserer Vermieter waren unter den 80 Todesopfern. Es war krass. Hier muss ein ganzer Berg heruntergekommen sein, denn endlose Wellen von Geröll bedeckten das Tal. Hier und dort ragte noch eine Ruine heraus, doch die meisten Bauten waren vollkommen verschüttet. Eine absurde Szenerie, die auf beklemmende Weise mit der friedlichen Winterlandschaft kontrastierte. Wir waren keine Katastrophen-Touristen, sondern wollten nur zum Ferienhaus Stalins, das in einen geschützten Hang hineingebaut war und daher als eines von nur wenigen Gebäuden die Katastrophe überlebt hatte. Es war nicht schwer zu finden, doch wir hatten den Abzweig verpasst, sodass wir über die Geröllmassen klettern mussten. Als wir das Haus erreicht hatten, löste sich mit lautem Getöse ein Eiszapfen vom Dach. Es wirkte wie eine Warnung, doch wir trauten uns dennoch hinein in diese Ruine aus wackligen Brettern, Löchern im Boden, baufälligen Treppen und einsturzgefährdeten Balkonen. Man konnte sich fühlen wie Indiana Jones. Faszinierend, doch getrübt vom Wissen um die Katastrophe zuvor.
Das Ferienhaus des Diktators.
Wir sollten einfach über das Torgatter klettern, wurde uns in diesem Künstler-Gasthaus erklärt, in dem wir am Abend zuvor gegessen hatten. Das taten wir nun und gelangten im Handumdrehen wieder an die Brücke am ehemaligen Ortseingang. Auf der anderen Seite hatte es doch noch ein Auto durch die Schneemassen geschafft. Drei junge Männer aus Tbilissi mit erkennbar großem Spaß an Offroad-Touren durch ihre überaus bergige Heimat. Es war klar, dass sie uns mitnehmen würden. Ehrlicherweise rechneten wir schon damit. Das Gesprächsthema ergab sich von selbst, denn sie planten eine Reise nach Deutschland Mitte Juni. Nach Dortmund, Hamburg und Gelsenkirchen, wo Georgien zuerst gegen die Türkei, dann gegen Tschechien und schließlich gegen Portugal antreten wird.
Unter den weiten Geröllfeldern liegt das Dorf Shovi begraben.
Weil noch etwas Zeit war, fuhren wir die Straße im Tal des Rioni bis hoch ins Bergdorf Khebi, wo der Asphalt endete und zwei antike Wehrtürme erhalten waren. Der Weg dorthin wurde uns von einem Arbeiter gewiesen, führte durch einen kleinen Fluss und dann durch tiefsten Schnee hinauf auf den Hang. Oben bot sich eine herrliche Sicht. Im Turm war eine kleine Kirche eingerichtet. Soana konnte auch deshalb für den neuerlichen Spaziergang motiviert werden, weil sie auf Schritt und Tritt von einer Hündin begleitet wurde. Auf dem Weg zurück nach Oni stoppten wir noch ein, zweimal am Fluss, bevor wir wieder in das Gasthaus einkehrten, in dem wir am Tag zuvor in weiser Voraussicht das Abendessen reserviert hatten. Mit der kunstvollen Einrichtung und dem köstlichen Essen der maximale Gegensatz zum Eat & Go nebenan.
Abschied von Racha.
Wieder hinab in Stalins Geburtsstadt
Einen funktionsfähigen Schlüssel für unser Ferienhaus hatte es nie gegeben, sei in Racha auch nicht nötig, wie uns beschieden wurde. Bezahlt hatte ich schon an diesem epochalen Fußball-Abend, sodass wir einfach losfahren konnten. Wenngleich sie sich doch noch einmal meldeten, um herzlichste Wünsche für die weitere Reise zu übermitteln. Die Schlechtwetterfront war durchgezogen. Heute zeigte sich der Kaukasus in seinem besten Licht, gab den Blick frei auf die Bergriesen im Hintergrund, die in den Tagen zuvor nicht zu sehen waren.
Eine nagelneue Straße führte von Oni über das Racha-Massiv, welches die gleichnamige Region vom Rest Georgiens trennt. „Trennte“, muss man sagen, denn die neue Trasse wird auch im Winter geräumt. Wir fuhren durch einen meterhohen Schneekorridor. In der Ferne leuchteten die Berge des Hohen Kaukasus im gleißenden Sonnenlicht. Zwischendrin durfte Soana noch einmal im Schnee spielen, was auch hier wieder von einigen Vierbeinern begleitet wurde.
In dieser ärmlichen Schuhmacherhütte ist Stalin im Jahre 1878 geboren worden.
Am Tag zuvor waren wir in Stalins Ferienhaus gewesen, weshalb sich Soana gewünscht hatte, auch den Ort seiner Geburt zu besichtigen. Da war sie zwar schon gewesen, hatte aber jede Erinnerung daran verloren. Gori ist mit seinen 50.000 Einwohnern die fünft- oder sechstgrößte Stadt Georgiens, je nachdem, ob man das abchasische Suchumi mitzählen will oder nicht. Der mit weitem Abstand bekannteste Sohn des Landes wird mittlerweile fast überall außerordentlich kritisch gesehen, wobei die Ausstellung des Stalin-Museums eine unrühmliche Ausnahme macht und nahezu ausschließlich aus lächelnden Blumenmädchen, der Industrialisierung der Sowjetunion und dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg besteht. Erst seit einigen Monaten widmet sich ein winziger Raum unter einer halben Treppe auch den Untaten dieses Blutsäufers. Mich störten vor allem die vielen russischen Touristen, die hier durch die Flure flanierten und einem der größten Massenmörder der Geschichte huldigten. Ohne jede kritische Distanz. In einem Land, von dem sie ein Viertel des Territoriums besetzt halten und inmitten eines Vernichtungskrieges gegen die freie Ukraine. Ich wollte schnell weiter.
Um hierhin zu kommen, mussten wir knapp 20 Mal barfuß durch den Fluss.
Die Idee war, so weit wie möglich in die Ateni-Schlucht hineinzufahren, die sich von Gori aus in südlicher Richtung in den Kleinen Kaukasus schneidet. Nahe der Ortschaft Blisi sollte es einen Wasserfall geben und an der Straße wies auch ein Schild dorthin. Gut, dass ich den zunehmend schlechter werdenden Weg nicht zu weit hineingefahren war und wir auf zwei westliche Touristen trafen, die uns beschieden, das Auto an Ort und Stelle zu lassen und zu Fuß weiterzugehen. Sie hätten aber auch sagen können, dass der besagte Wasserfall nicht dort ist, wo Google.maps ihn verortete, sondern drei Kilometer weiter, und dass man, um ihn zu erreichen, knapp 20-mal durch einen kalten Bergfluss waten muss. Dann hätten wir es uns vermutlich nochmal überlegt. Doch wie es so ist. Je weiter man kommt und je näher man sich dem Ziel wähnt, desto weniger will man umkehren. Meine Frau und vor allem Soana hatten keinen besonderen Spaß an diesem Abenteuer, doch letztlich haben wir es doch geschafft. Ein schöner Ort, der nach Ansicht meiner beiden Mädels die Strapazen der Anreise aber nicht ganz rechtfertigte. Immerhin waren wir auf dem Rückweg deutlich schneller, weil wir einfach barfuß geblieben sind und die Schuhe mit uns herumtrugen.
An der Ateni-Sioni-Kirche.
Auf dem Rückweg ins nahe Gori stoppten wir an einer prächtigen, hübsch in den Hang hineingebauten Kirche. Von der Straße war ein Weg aus Metallgittern gelegt, doch der Bau selbst war verschlossen. Stattdessen kraxelten Soana und ich den Hang über der Kirche hinauf. An verlassenen Wohnhäusern vorbei bis hoch zu dem großen Kreuz, von dem sich herrliche Blicke auf die Kirche und das weite Ateni-Tal boten. Als wir wieder unten waren, sprach uns eine junge Dame an. Ich dachte, sie wolle uns ermahnen, keine heiligen Hügel zu entweihen und nicht durch fremdes Eigentum zu latschen. Weit gefehlt, denn sie fragte nur, ob wir die Kirche sehen wollen. Sie hätte uns auf dem Gelände herumturnen sehen und daher die Schlüssel besorgt. Erst am Abend erfuhr ich, dass dies die Sioni-Ateni-Kirche war, die mit ihren kunstvollen Fresken aus dem achten Jahrhundert ein kulturhistorisches Highlight ersten Ranges markiert.
Blick von der Festung in Gori.
Unsere Unterkunft lag auf dem Gelände eines kleinen Weingutes. Fünf Bungalows, von denen wir das mittlere bezogen. Alles neu, geordnet und pieksauber. Sogar mit Spielplatz. Dafür etwas teurer und auch ein wenig unpersönlich. Für das Abendessen wollten sie knapp 35 Euro pro Person haben. Ohne Wein. Wir dachten uns, dass wir im nahen Gori sicherlich etwas Günstigeres finden würden. Auf einem Georgien-Blog hatte ich das Shin da Gori aufgetan. Versteckt in einer kleinen Seitengasse gelegen und außerordentlich liebevoll eingerichtet. Nach der Nummer mit dem Wasserfall am Nachmittag waren meine Mädels zu keinen weiteren Wanderungen mehr bereit. Ich aber wollte mir noch die Zitadelle von Gori erschließen, von der sich vermutlich herrliche Fotos machen ließen. Und so verabschiedete ich mich nach der Bestellung für eine halbe Stunde und fuhr mit dem Auto zum Fuß der Burg. Wahrlich schöne Blicke. Stets mit den schneebedeckten Bergen des Hohen Kaukasus im Hintergrund.
Auf dem Weg zurück war es gut, dass ich mich im Netz der Einbahnstraßen im Stadtzentrum ein wenig verfranst hatte, denn auf diese Weise wurde ich gewahr, dass Gori entgegen meinen Erwartungen eigentlich ganz hübsch war und mehr als nur das berüchtigte Stalin-Museum zu bieten hatte. Im traditionellen georgischen Mauerwerk restaurierte Gassen, ein wuseliger Markt, etliche Kirchen, weite Parks, darüber die mächtige Burg, dahinter die Kura. Zusammen mit dem Stalin-Museum und dem viel zu groß geratenen Rathaus im sowjet-klassizistischem Stil ergibt dies eine hübsche Mischung, die durchaus eine Übernachtung rechtfertigt. Zumal mit dem Höhlenkloster Upliszikhe und der Ateni-Schlucht auch die Umgebung was zu bieten hat. Ich schreibe das, weil die meisten Reisenden Gori, wenn überhaupt, nur im Vorbeigehen mitnehmen oder als Tagesausflug aus Tbilissi.
An der Svetizchoveli-Kathedrale der alten georgischen Hauptstadt Mtskheta.
Frühstück in Mtskheta
Ein kleiner Schock am Morgen. Soana klagte über Übelkeit. Wir haben uns schon so sehr daran gewöhnt, dass sie nie krank wird und stets fröhlich mitmacht, dass wir derartige Komplikationen bei unseren überaus ambitionierten Reiseplänen von vornherein ausklammern. Und auch dieses Mal war es nicht so schlimm. Bis zum Nachmittag zwackte es noch etwas, danach war es gut. Das Frühstück in der Unterkunft war uns zu teuer, weshalb wir die nur eine Autostunde östlich gelegene alte Hauptstadt Mtskheta ansteuerten. Hier hatten wir schon viele herrliche Stunden verbracht und wollten auch dieses Mal kurz vorbeischauen. Die Fahrt führte nicht wie üblich über die Autobahn, sondern die Landstraße entlang durch die weite Steppenlandschaft im Tal der Kura. Als wir in Mtskheta ankamen, erwachte der alltägliche touristische Trubel. Für unser verspätetes Frühstück fanden wir ein kleines Café direkt an der heiligen Svetizchoveli-Kathedrale. Nebenan wurde Eis aus eigener Hand hergestellt, was für unsere Kleine trotz der Bauchschmerzen eine große Freude war.
Hoch über der Adlerschlucht bei Dedoplis Tskaro.
Ostern in Dedoplis Tskaro bei David und Teo
Auf dem Weg weiter nach Osten mussten wir Tbilissi umfahren, was mit all den trägen Lkws und der abgasverseuchten Luft keine wirkliche Freude war. Soana hätte sich beinahe übergeben, doch die aus Deutschland mitgebrachten „Anti-Kotz-Kaugummis“ taten doch noch ihren Dienst. Der Kakheti-Highway ist die zentrale Trasse aus Tbilissi in Richtung Osten zur aserbaidschanischen Grenze bei Lagodekhi. Anfangs voll, nervig und mit etlichen selbstmörderischen Überholmanövern, dann stetig ruhiger werdend und auch landschaftlich schöner. Bei Chalaubani verließen wir endlich den sogenannten Highway, der gar keiner ist, sondern nur eine überaus befahrene zweispurige Landstraße. Von hier war es noch etwas mehr als eine halbe Stunde bis Dedoplis Tskaro, der einzigen Stadt im dünn besiedelten Südostzipfel Georgiens. Hier hatten wir gleich drei Übernachtungen geplant. Von Karfreitag bis Ostermontag. Bei Davit und Teo, die wir zwei Jahr zuvor besucht hatten und die mittlerweile zu lieben Freunden geworden sind. Die zwei vollen Tage wollten wir mit wilden Fahrten durch den Vashlovani-Nationalpark verbringen, was etwas Vorbereitung erforderte.
Bai David und Teo in Dedoplis Tskaro.
Zunächst muss man zum Besucherzentrum des Nationalparks, um dort eine Art Eintrittsticket zu erstehen. Mit der Quittung fährt man dann ans andere Ende der kleinen Stadt zur Garnison der Grenzpolizei, die die Grenzgebietszutrittsgenehmigung ausstellt. Dies allerdings nur für konkret zu spezifizierende Tage, was uns später zum Verhängnis werden sollte. Wobei der Fehler nicht bei uns lag. Wir hatten richtig beantragt, sie hatten falsch ausgestellt und wir hatten es leider verabsäumt, den Schrieb vor Ort nach Übergabe noch einmal gründlich gegenzuchecken.
Im Zentrum von Dedoplis Tskaro ließ sich an einem kleinen Markt alles besorgen, was man in der Steppe benötigen könnte. Soana wurde erfolgreich mit der Fütterung der Straßenhunde abgelenkt, sodass wir heimlich allerlei Süßkram für die kommenden Ostertage erwerben konnten.
Am späten Nachmittag waren wir endlich in unserer Unterkunft, diesem herrlichen Garten direkt an der Adlerschlucht mit mehreren kleinen Bungalows für Familien. Einfach, aber mit viel Geschmack und Liebe zum Detail hergerichtet. Wie bei jeder neuen Begrüßung würdigten wir zunächst die erfolgreiche Qualifikation Georgiens für die Fußball-EM im Sommer. Die beiden planten bereits ihre Reise dorthin. Dann lud ich bei David gegen ein geringes Entgelt unsere Dreckwäsche ab und wir bestellten für eine Stunde später das Abendessen. Die Zwischenzeit wollten wir für einen kurzen Spaziergang durch die mittlerweile wohlvertraute Adlerschlucht nutzen, einem Durchbruch durch das Gombori-Massiv von den Steppen des Südens nordwärts in die Ebene des Alazani. Wir nahmen den Weg am Rande der Schlucht, wo sich berauschende Blicke in alle Richtungen boten. Laut David sei mittlerweile aber auch unten ein hervorragender Wanderweg angelegt, der auf der anderen Seite zu einem kleinen See führt, an dem wieder Straßenanschluss besteht und wo ein kleiner Campingplatz eingerichtet ist.
Blick ins weite Tal des Alazani mit dem Hohen Kaukasus im Hintergrund.
Beim Abendessen gab mir David ausführliche Instruktionen für unsere Fahrt durch den Vashlovani-Nationalpark – ein riesiges, nahezu unbewohntes Gebiet ohne jede Infrastruktur, welches den äußersten Südostzipfel des Landes einnimmt und wo Soana ihre ersten Fahrstunden absolvieren wollte.
Wilde Fahrten durch den Vashlovani-Nationalpark
Wir brachen früh auf, weil uns David um die sieben Stunden reine Fahrzeit prognostiziert hatte. Die ersten 25 Kilometer waren noch hervorragend ausgebaut. Danach wurde es schwierig. Zuerst auf einer schlaglochübersäten Straße zum Dorf Kasristskali. Parallel führte wohl ein Steppenweg, doch den hatte ich nicht gefunden. Die Insassen eines vorbeirasenden, schweren Geländewagens wussten auch nicht, wo dieser zu finden war, weshalb wir uns weiter auf der Schlaglochstraße abmühten und froh waren, als wir endlich nach rechts in die Steppe einbiegen konnten. Hier durfte sich Soana das erste Mal hinters Lenkrad setzen. Nicht mehr auf Papas Schoß, sondern mit ihrer Sitzerhöhung allein auf dem Fahrersitz, wo sie mit den Füßen gerade so an Gas- und Bremspedal herankam. Mit jedem Meter wurde sie besser und konnte bald hervorragend die Spur halten. Nur mit der Wegbeobachtung haperte es ein wenig, denn sie fuhr immer gleich schnell, egal welche Hindernisse im Weg waren.
Soana am Steuer.
Immer wieder die Schweizer
Nach ein paar Kilometern erreichten wir zielsicher den Eingang zum Nationalpark, wo wir uns erst einmal gründlich informierten. Ein paar Minuten später kam auch der schwere Geländewagen vorbei, den wir auf der Schlaglochstraße nach einem besseren Weg gefragt hatten. Vater und Sohn aus Zürich, weshalb wir Deutsch sprechen konnten. Sie waren mit allerlei Offline-Karten und ihrem halben Panzer deutlich besser ausgerüstet als wir mit Google.maps auf dem Handy und unserem Stadtauto. Ich fragte sie, ob wir nicht in Kolonne zum Point Echo fahren wollen, einem Ort nicht weit entfernt, den mir David dringendst ans Herz gelegt hatte und den wir bei unserer letzten Reise nach Vashlovani noch verpasst hatten. Es war fantastisch, denn von diesem Bergrücken aus ließ sich der gesamte Park überblicken. Mit all den unterschiedlichen Landschafts- und Vegetationsformen – der Steppe im Norden, der Wüste im Süden und den weiten Badlands im Osten. In der Ferne konnte man den Mingacevir-Stausee in Aserbaidschan erkennen und dahinter das Murovdag-Massiv, welches schon zu Berg-Karabach gehörte. Den Namen soll der Punkt von seinem ausgeprägten Echo haben, was unsere beiden Schweizer sogleich mit einigen Jodlern verifizierten. Sie waren nett, aber auch ein wenig angeberisch mit ihrem Auto und der wilden Geschichte, die sie zu erzählen hatten. Auf gut Glück los mit dem Auto in Richtung Osten, bis es in Georgien zusammengebrochen sei und sie sich diesen Mietwagen geholt hatten. In zwei Tagen schließlich mit dem Flieger zurück nach Zürich. Wo sie nicht alles gewesen waren, welch widrigen Umständen sie getrotzt hätten und wie generös sie gegenüber den Einheimischen waren. Es war im Grunde nicht sehr schlimm, nur halt ein wenig zu dick aufgetragen für unseren Geschmack.
Am Point Echo.
Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, möglichst alle Teile des Parks zu erkunden, die wir vor zwei Jahren noch verpasst hatten. Für diese große Runde mussten wir zunächst an der Grenzpolizei vorbei nach Mijiniskure zum südöstlichsten Punkt Georgiens direkt am Ufer des Alazani. Ich hatte den Weg auf Anhieb gefunden. Die Piste mitten durch die weiten Badlands hinunter zum Fluss war ein wenig anspruchsvoll, doch schließlich war auch dies geschafft. Wir erreichten eine Rangerstation und einige Bungalows samt Picknickareal. Eine kleine Reisegruppe baute gerade ihre Zelte auf. Schweizer und Österreicher samt ihren georgischen Guides. Wenig später trafen auch Vater und Sohn aus Zürich ein und staunten nicht schlecht, dass wir schon wieder schneller gewesen waren. Der Reisegruppe erzählten sie sogleich ihre Geschichte, während wir es uns am Picknicktisch gemütlich machten.
Die Badlands oberhalb von Mijniskura, dem südöstlichsten Punkt Georgiens.
Laut Davids Erläuterungen sollten wir uns nun in Richtung Norden am Alazani entlangkämpfen, bevor nach knapp zehn Kilometern nach links ein weiterer Weg durch die Berge führt. Das taten wir, waren aber die Einzigen hier und zunehmend verunsichert aufgrund der stetig schlechter werdenden Pistenverhältnisse. An einem geschlossenen Gatter waren wir kurz davor umzukehren, doch es ließ sich leicht öffnen und nur einen Kilometer weiter war endlich eine kleine Grenzstation erreicht, von der tatsächlich ein Weg zurück in die weite Steppenlandschaft rund um Kasristskali führte. Vom Shavi Mta, dem Schwarzen Berg, konnte man noch einmal die gesamte Szenerie überblicken. Dahinter begann die Steppe und Soana durfte noch einmal ans Steuer. Wir wollten hoch ins knapp 20 Kilometer entfernte Dorf Kvemo Kedi, wo es wieder Anschluss an eine Asphaltstraße geben solle. Dem war auch so. Nur einmal hatten wir uns kurz verfahren, doch dieser Fehler hatte lediglich zehn Minuten gekostet.
Der Alazani bildet hier die Grenze zu Aserbaidschan.
Mir war ein wenig mulmig vor diesem Tag gewesen, weil es laut David wieder sehr viel Fahrerei werden würde, doch Soana hatte ihren Spaß und machte fantastisch mit. Es blieb sogar noch Zeit für einen Abstecher zur Festung Khornabuji zwei Kilometer nördlich von Dedoplis Tskaro. David hatte erzählt, dass die Straße dorthin erst kürzlich fertig geworden sei. Die Sichten waren wieder fantastisch. Unter uns das weite Tal des Alazani und in der Ferne glänzten die weißen Bergriesen des Hohen Kaukasus in der Sonne.
Wie am Tag zuvor wollten wir wieder bei David und Teo zu Abend essen und wieder wurde ich bei dieser Gelegenheit ordentlich gebrieft, was für den kommenden Tag zu beachten sei.
Blick auf die Festung Khornabiuji zwei Kilometer nördlich von Dedoplis Tskaro.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Die Region Racha im Norden Georgiens ist mittlerweile hervorragend angebunden, lässt sich deutlich besser erreichen als etwa Swanetien weiter westlich. Sowohl aus Kutaissi als auch aus Tbilissi führen hervorragende Straßen hierher ins Gebirge. Wir waren ein wenig früh dran gewesen im Jahr und daher etwas beschränkt in den Möglichkeiten, doch im Sommer und auch im Herbst locken etliche spektakuläre Orte inmitten des Hohen Kaukasus. Heiße Quellen, Wasserfälle, Höhlen und natürlich die Berge. Für die Unterkunft in Oni ist das Family Guest House ein heißer Tipp. Auf Booking und anderen Portalen nicht vertreten, sodass man sie selbst anschreiben muss. Die Location samt Telefonnummern lässt sich auf Google finden.
Gori ist weit mehr als nur das Stalin-Museum und rechtfertigt durchaus eine Übernachtung. Ein Stadtspaziergang könnte am Museum beginnen und über das Monument für die georgischen Kriegshelden hoch auf die Burg führen. Hinunter durch die kleinen restaurierten Gassen unmittelbar südlich der Burg zum Stadtmarkt und anschließend an der modernen Verwaltungshalle sowie am Stadion vorbei zum Akhalbagi-Park direkt am Ufer der Kura. Schließlich wieder ostwärts zurück auf die Stalin-Avenue und dort zum überdimensionierten Rathaus. Insgesamt etwa drei Kilometer bzw. 45 Minuten reiner Fußweg.
Mit der Ateni-Schlucht und der Ateni-Sioni-Kirche sowie dem Höhlenkloster Upliszikhe finden sich gleich zwei kulturhistorische Highlights erster Güte im unmittelbaren Umfeld von Gori.
Mit dem Zug lässt sich Gori mehrmals am Tag aus Tbilissi erreichen. Fahrzeit: Eine Stunde.
Der Bahnhof etwas südlich der Innenstadt auf dem anderen Kura-Ufer ist mit seinem sowjetischen Charme für sich schon eine kleine Attraktion.
Der zentrale Busbahnhof liegt direkt unterhalb der Burg neben der im modernen Stil errichteten Public Service Hall.
Der Vashlovani-Nationalpark ist ein absoluter Geheimtipp. Jenseits der üblichen Reiserouten gelegen, warten hier spektakuläre Landschaften und Abenteuer pur. Die Stadt Dedoplis Tskaro ist der ideale Ausgangspunkt, zumal man hier bei der Nationalparkverwaltung und der Grenzpolizei die nötigen Bescheinigungen organisieren muss. In unmittelbarer Nähe lohnen die Adlerschlucht, die Khornabuji-Festung und der heilige Elias-Felsen mit seinem Kloster den Besuch. Alle drei Ziele sind mittlerweile mit neuen Asphaltwegen angebunden, wiewohl es infrastrukturell ohnehin gerade sehr stark nach vorne geht in diesem entlegensten Teil Georgiens.
Steppenlandschaft bei Kasristskali im Vashlovani-Nationalpark.
Im Nationalpark selbst bietet sich folgende Rundtour an. Zunächst geradeaus ins Dorf Kasristskali, wo nach rechts in die Steppe abgebogen wird und nach knapp sieben Kilometern der Eingang zum Nationalpark erreicht ist. Von dort ein kleiner Abstecher nach Nordwesten zur nur drei Kilometer entfernten Bärenschlucht “Datviskhevi”. Anschließend wieder zurück und weiter Richtung Südosten zum Echo Viewpoint mit seinen fantastischen Aussichten. Dann an der Station der Grenzpolizei vorbei durch die Badlands hinunter nach Mijniskure, dem südöstlichsten Punkt Georgiens direkt am Alazani. Hier seien unbedingt ein Picknick und ein kurzer Spaziergang auf diesen Bergrücken mit dem Metallgerüst hoch über dem Fluss empfohlen. Es sind nur 20 Minuten – mit phänomenalen Aussichten.
Weiter mit dem Auto am Alazani Richtung Norden bis zu einer weiteren Grenzstation, wo der Weg nach Westen abbiegt und durch das Bergmassiv zurück in die Steppe führt. Hier lohnt der Shavi Mta, der Schwarze Berg, einen kurzen Stopp mit wieder grandiosen Sichten. Schließlich stetig Richtung Norden durch die Steppe bis Kvemo Kedi, wo wieder Anschluss an die Asphaltstraße besteht, über die sich in etwas mehr als einer halben Stunde Dedoplis Tskaro erreichen lässt.
Alles in allem machbar an einem Tag, wenn man früh aufbricht, nicht allzu sehr trödelt und sich nicht verfährt. Bitte unbedingt vor Sonnenuntergang den Park verlassen, denn ansonsten droht eine unfreiwillige Übernachtung im Auto. Im Park gibt es keinerlei Infrastruktur. Lediglich in Mijniskure stehen ein paar Hütten, in denen man übernachten kann oder in deren Nähe man seine Zelte aufschlägt.