Armenien im Schatten von Krieg und Niederlage
Nach einigem Hin und Her hatte ich mich entschieden, eine eigens konzipierte und individuell abgestimmte Tour durch den Süden Georgiens und nach Armenien selbst zu führen. In Kutaissi hatte ich meine Gäste in Empfang genommen und war mit ihnen über den beschwerlichen Zekari-Pass nach Akhalzikhe gereist. Nach einem Tag im Borjomi-Kharagauli-Nationalpark ging es weiter über das spektakuläre Höhlenkloster von Vardzia zur Grenze. Nun stand Armenien auf dem Programm. In politisch äußerst bewegten Zeiten.
Der Ararat von meinem Jerewaner Apartment aus gesehen.
Noahs heiliger Berg
Im kleinen Grenzort Bavra fand ich eine Bank und auch einen Stand mit armenischen SIM-Karten. Weiter ging es durch eine karge Hochebene in die zweitgrößte Stadt des Landes nach Giumri, wo sich gegen Ende der 1980er Jahre die schlimmste Naturkatastrophe der Sowjetgeschichte ereignet hatte und zehntausende Menschen bei einem schweren Erdbeben den Tod fanden. Nicht weit hinter Giumri kam in Richtung Süden ein mächtiger Berg in Sicht, den ich zunächst für den Aragaz gehalten hatte, den 4.090 Meter hohen Vulkan nördlich von Jerewan und höchsten Gipfel auf armenischem Staatsgebiet. Doch als wir den Großraum Jerewan in seinem weiten Talkessel gewahr wurden, haute das irgendwie mit der Richtung nicht hin und endlich erkannte ich meinen Irrtum. Während sich der Aragaz offenbar in den Wolken versteckte, war dies hier der Ararat. Jener Doppelvulkan, an dem laut Altem Testament Noah mit seiner Arche gestrandet war und wo hernach die erste Weinrebe gepflanzt worden sein soll. Der heilige Berg der Armenier ist im Staatswappen verankert. Er ist mit 5.137 Meter noch einmal signifikant höher als der Aragaz, liegt aber heute (leider) nicht mehr in Armenien, sondern in der äußersten Osttürkei nicht weit der iranischen Grenze. Aufgrund seiner Höhe und des trockenen Klimas mit seinen klaren Sichten ist er von Jerewan an vielen Tagen des Jahres zu sehen. Die markante Silhouette aus dem ebenmäßig geformten großen Ararat rechts und seinem immerhin auch fast 4.000 Meter hohen kleinen Bruder links daneben ist überall im Land präsent. Auf Fußballtrikots, Bierflaschen etc. Ararat Jerewan ist der beliebteste Fußballverein Armeniens, die Provinz südlich der Hauptstadt trägt auch diesen Namen. Genauso wie der beste armenische Cognac. So viel zur Bedeutung dieses Berges für die armenische Volksseele.
Der Platz der Republik.
Wer ist hier im Ausland?
In Jerewan kamen wir im Süden des Stadtzentrums unter. Meine Gäste im Hotel und ich in einem nahegelegenen Apartment. Zum ersten Abendessen ging es in die Taverna Jerewan, einem traditionellen Restaurant in der Nähe des zentralen Platzes der Republik, wo wir bei hervorragendem Service und armenischen Klängen den Spätsommerabend genossen. Für einen letzten Absacker fanden wir eine Kellerbar, in der ein russischer Comedy-Abend angekündigt war. Einer der Protagonisten störte sich an der Anwesenheit von uns „Ausländern“, wobei ich ihm gerne mitgeteilt hätte, dass auch er und all seine Freunde unter diese Kategorie fallen, hier in Jerewan nicht zu Hause seien. Ich war professionell und höflich genug, um das zu lassen, doch es zeigt, wie tief das kolonialistische Denken im russischen Volk verankert ist, wenn selbst vorgeblich liberalen Menschen der Fehler nicht auffällt. Sie haben sich nach Jerewan abgesetzt, um hier in Ruhe und gefahrlos ihre Putin-Witzchen zu reißen. Soweit ok. Schießen Sie immerhin keine Ukrainer tot. Noch besser wäre es, wenn sie ihrem Gastland den nötigen Respekt erweisen und es nicht als russischen Wurmfortsatz interpretieren würden. Tatsächlich war Jerewan nur ein Vorgeschmack auf die aktuell enorme Präsenz russischer Menschen im südlichen Kaukasus. Regimegegner, Mobilisierungsflüchtlinge und jüngst auch eine Unmenge von Touristen. Woanders dürfen bzw. trauen sie sich auch nicht mehr hin.
Im ehemaligen russischen Vasallenstaat Armenien dreht sich die Stimmung gerade massiv. Kaum verwunderlich, denn die Russen hatten ihre armenischen Alliierten im Krieg gegen Aserbaidschan schmählich im Stich gelassen, waren im Gegenteil Bakus wichtigster Waffenlieferant. Auch sahen sich die sogenannten russischen „Friedenstruppen“ nicht in der Lage, einige wenige Aktivisten von der Blockade des Latschin-Korridors abzuhalten, mit der das armenisch besiedelte Berg-Karabach über Monate hinweg ausgehungert wurde. Einen schändlicheren Verrat kann es kaum geben und so ist es nachvollziehbar, dass die einstige Nibelungentreue zu Moskau zunehmend infrage steht. Noch immer befindet sich in Giumri einer der größten Auslandsstützpunkte der russischen Armee, doch dessen Stunden könnten gezählt sein. Erst unlängst haben armenische Truppen ein gemeinsames Manöver mit US-amerikanischen Teilstreitkräften abgehalten. Und um nach meinen – sicherlich nicht-repräsentativen – Gesprächen mit den Menschen vor Ort zu urteilen, scheinen auch die vielen Exil-Russen in den Straßen der Hauptstadt auf stetig schwindende Gegenliebe zu stoßen. Zu arrogant, zu selbstgewiss und zu unsensibel ihr Auftreten.
Blick vom Siegesmonument über die Stadt und bis zum Ararat.
Rundgang durch die Metropole
Jerewan ist eine dynamische, liebenswerte und quirlige Stadt, allerdings weitgehend ohne historische Bausubstanz, sodass sich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten bequem an einem Tag abhandeln lassen. Nicht weit von unserem Hotel begann der Straßenmarkt Vernissage, an dem armenische Kunsthandwerker seit den 1980er Jahren ihre Produkte feilbieten und der am anderen Ende in den Platz der Republik übergeht. Letzterer markiert das eindeutige Zentrum der Hauptstadt mit dem Geschichtsmuseum, dem herrschaftlichen Marriott-Hotel und verschiedenen Regierungsgebäuden. Ein prächtiges Ensemble, das in den Nachtstunden kunstvoll illuminiert wird und auch akustisch was zu bieten hat, dann nämlich, wenn der „singende Brunnen“ zu festen Zeiten in der Nacht klassische Klänge zu Gehör bringt.
Vom Platz der Republik über einen langen Parkgürtel zum Rathaus von Jerewan und dort rechts hoch zur Blauen Moschee, dem wichtigsten islamischen Gotteshaus Armeniens, das vor allem deshalb Akzeptanz findet, weil es dem Iran untersteht, zu dem Armenien gute Beziehungen pflegt bzw. pflegen muss. Nichts verdeutlicht die prekäre geostrategische Lage dieses winzigen Landes so sehr wie der Umstand, dass es die Mullahs in Teheran und den russischen Mafia-Staat zu seinen einzigen Alliierten zählt. Nicht aus eigener Entscheidung, sondern aufgrund der vollständigen Abwesenheit anderweitiger Optionen. Auf den letzten Überbleibseln des einstmals riesigen armenischen Siedlungsgebietes. Eingeklemmt zwischen Todfeinden, ohne nennenswerte Ressourcen, abgeschnitten vom Meer und daher abseits der wichtigen Handelsrouten.
Zizernakerberd-Mahnmal für den Genozid an den Armeniern.
Und so passt es thematisch, dass wir von der Blauen Moschee ein Großraumtaxi nach Zizernakerberd bestellten, wo seit den 1960er Jahren an die anderthalb Millionen Armenier erinnert wird, die vor etwa hundert Jahren in einer Abfolge aus Massakern und Todesmärschen von den Türken umgebracht wurden. Die Regierung in Ankara hat sich dafür bis heute nicht entschuldigt, sondern sorgt im Gegenteil überall dort für diplomatische Verwicklungen, wo sich Staaten trauen, an dieses unermessliche Leid zu erinnern. Noch immer werden Armenier in der Türkei massiv diskriminiert und es ist auch kein Zufall, dass Ankara der wichtigste Alliierte der Aliyev-Diktatur in Baku ist, tatkräftige Unterstützung leistete bei der letztlich erfolgreichen Wiedereroberung von Berg-Karabach und der anschließenden Vertreibung der alteingesessenen armenischen Bevölkerung.
Beim Besuch dieses eindrücklichen Museums und vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen beschlich mich das Gefühl, dass der Aghet – so wird der Genozid in Armenien genannt – niemals endet, dass das armenische Volk in seinem historischen Dilemma auf ewig gefangen ist und die Welt – mal wieder – nur zusieht. Hier oben auf einem Hügel nordwestlich der Innenstadt haben etliche Würdenträger ihre Bäumchen gepflanzt. Im Schatten des mächtigen Obelisken und der ewigen Flamme. Doch fast alle waren und sind zeitgleich gute Kunden der aserbaidschanischen Öl- und Gas-Diktatur. Im ersten Krieg Anfang der 1990er Jahren herrschte noch Waffengleichheit, konnten die Armenier mit ihrer ungleich höheren Motivation etwas ausrichten. Nach drei Jahrzehnten Öl- und Gas-Boom hier und wirtschaftlicher Stagnation dort waren sie schlichtweg chancenlos. Man kann nur hoffen, dass Aliyev nun zufrieden ist, doch die ersten Ansprüche auf die armenische Sjunik-Region zwischen der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan und dem Kernland wurden bereits angemeldet.
Die Kaskaden von Jerewan.
Wir bestellten uns wieder ein Taxi, was mit der russischen Yandex-App ausgesprochen gut funktionierte. Es ging zum Siegesmonument und den darunter liegenden Kaskaden, wo sich unsere Stimmung angesichts der bezaubernden Szenerie und der prächtigen Sichten wieder aufhellte. Geplant war die Anlage schon zu Sowjetzeiten, doch dann hatten die chronische Finanzschwäche und vor allem das Erdbeben von 1988 eine zeitnahe Realisierung verhindert. Nach der Jahrtausendwende war es der Initiative eines Exil-Armeniers aus New York zu verdanken, dass das Projekt wieder aufgenommen wurde. Unter seiner Ägide wurden die Treppen hinauf in den Berg fertiggestellt und innendrin sowie rundherum ein Museum für moderne Kunst eingerichtet. Der Abschnitt zwischen der obersten Ebene und dem Siegesmonument steht allerdings noch aus, doch schon heute sind die Kaskaden der architektonische Höhepunkt einer jeden Jerewan-Reise.
Der übliche Stadtspaziergang führt von den Kaskaden über das monumentale Opernhaus und weiter durch die Fußgängerzone zum Platz der Republik. Nachdem all diese Höhepunkte ausreichend besichtigt waren, hatten wir noch etwas Muße für den ausgreifenden Großmarkt von Jerewan, der sich direkt hinter unserem Hotel über mehrere Blocks ausbreitete. Am Abend war das Sherep eine sichere Wahl. Die erste und beste Adresse für das gepflegte Gastmahl in der armenischen Hauptstadt. Unbedingt vorreservieren.
Kathedrale von Etschmiadsin – Hauptsitz der Armenisch-Apostolischen Kirche, der ältesten Staatskirche weltweit.
Über Umwege an den Sewan-See
Von Jerewan zum Sewan-See sind es auf direktem Wege nur etwa 60 Minuten Fahrt. Für uns wurden es deutlich mehr, weil ich zwischendrin einige kulturhistorische und landschaftliche Höhepunkte ersten Ranges abarbeiten wollte. Zunächst steuerten wir die Stadt Etschmiadsin 30 Minten westlich von Jerewan an, die etwas überschwänglich als das armenische Rom gefeiert wird. Aktuell wird die Kathedrale sowie das Gelände rundherum als Hauptsitz der Armenisch-Apostolischen Kirche restauriert und runderneuert. Durchaus beeindruckend, doch der Petersdom ist es nicht und vor allem die Straßen rundherum erinnern eher an staubige Sowjetzeiten als an das bella vita zwischen Forum Romanum und der Engelsburg.
Blick ins Tal unterhalb von Garni.
Das nächste Ziel befand sich auf der anderen – der östlichen Seite – der Hauptstadt, doch weil wir nicht noch einmal durch Jerewan wollten, wurde die Stadt in einem weiten Bogen gen Süden umfahren, wobei die türkische Grenze und der dahinter in der klaren Sommersonne strahlende Ararat immer näher rückten. Die Landschaft war karg und unwirtlich, changierte zwischen Halbwüste und Wüste, wusste dem Auge aber durchaus zu gefallen. Und auch die Straße war neu und gut zu befahren.
Nach einer Stunde war Garni erreicht, ein kleines Städtchen, welches in den vergangenen Jahren mit seinem hellenistischen Tempel und den Weihestätten der jesidischen Minderheit in Armenien zu einem Touristenmagnet avanciert ist. Spektakulär auch die Lage über einer engen Schlucht, die in allen denkbaren Grün-Tönen schimmerte und sich wohltuend von der kargen Einöde ringsherum unterschied. Nicht verpassen sollte man die „Sinfonie der Steine“ unten im Tal. Achteckige Basaltformationen, die über etliche hundert Meter wie riesige Orgelpfeifen den Fluss flankieren. Eine bemerkenswerte Szenerie. Es gibt einen Parkplatz. Der Weg am Fluss unterhalb der Felsformationen erfordert einen kleinen Eintritt und kann nur zu Fuß durchlaufen werden.
Die „Sinfonie der Steine“ unten am Fluss.
Zehn Kilometer weiter östlich endet die Straße am Geghard-Kloster. Gegründet wurde es im vierten Jahrhundert, als frühchristliche Mönche den heidnischen Kult um die hiesige Quelle in ihre eigene Liturgie überführten. Das Quellwasser sprudelt noch immer und kann in einem Nebenraum bis heute genossen und besichtigt werden. Rund um das Kloster nur wilde, menschenleere Bergwelt. In der Luftlinie wären es von hier zum Sewansee nur 20 Kilometer, doch einige Vulkanriesen versperrten den Weg. Wir mussten also zurück nach Jerewan und dann auf die Autobahn, was insgesamt auch nur etwas mehr als eine Stunde erforderte.
Soldatenfriedhof kurz vor Garni.
Das Armenische Meer…
im nördlichen Becken des Sewan erstreckt sich weit in den See hinein eine Halbinsel, die gekrönt ist von einem prächtigen Kloster. Das Sewanawank bzw. Sewankloster ist die berühmteste Ansicht weit und breit, vielleicht sogar des ganzen Landes. Ein uralter, klassisch armenischer Kirchenbau hoch über diesem riesigen Hochgebirgssee, wo selbst an sonnigen Tagen das andere Ufer mitunter hinter dem Horizont verschwindet. Die Halbinsel war dereinst eine Insel und hat nur aufgrund des massiv gesunkenen Seespiegels eine Verbindung zum Ufer erhalten. Schuld waren der ressourcenintensive Bergbau am Südufer und die extensive Agrarwirtschaft. Seit einigen Jahren ist das Problem jedoch gebannt, konnte der Trend aufgehalten werden. Drei große Seen gelten traditionell als „armenische Meere“. Der Van-See liegt allerdings heute in der Türkei und der Urmia-See im Iran. Einzig der Sewan ist im winzigen Rest-Armenien verblieben. Mit knapp 1.300 Quadratkilometern auf knapp 2.000 Höhenmetern einer der größten Hochgebirgsseen der Welt.
Das Sewan-Kloster im Norden des Sees.
Nach einigem Hin und Her waren wir in einem gemütlichen Gasthaus in einem kleinen Bauerndorf untergekommen. Zu Abend aßen wir direkt am Seeufer in einer rustikalen und belebten armenischen Taverne. Am nächsten Morgen steuerten wir zunächst das pittoreske Hayrawank-Kloster und danach den Noratus-Friedhof an. Letzterer erstreckt sich auf einer weit in den Sewan hineinragenden Halbinsel, die das Seebecken in einen nördlichen und den größeren südlichen Teil gliedert.
Uralte Chatschkare auf dem Friedhof von Noratus.
Bemerkenswert sind die Chatschkare, die traditionellen armenischen Grabstelen, die sich hier in einer ausnehmenden Vielfalt und Güte zeigen, zudem besonders alt sind, weshalb das Gelände vollkommen zurecht im UNESCO-Welterbe gelistet ist. Aufgrund dieser Provenienz ist der Friedhof auch aktuell als Grabstätte begehrt, lässt sich ein jeder hier beisetzen, der etwas auf sich hält und über die nötigen Mittel verfügt. In dieser Hinsicht lässt sich Noratus mit dem jüdischen Friedhof unterhalb des Ölbergs in Jerusalem oder dem heiligen Koya-Berg in Japan nahe Osaka vergleichen. Hervorzuheben sind die kunstvollen Steinmetzarbeiten. Auch jene neueren Datums wissen durchaus zu beeindrucken.
…und die Armenische Schweiz
Weil wir das Sewankloster und das nördliche Seebecken schon am Tag zuvor besichtigt hatten, blieb Zeit für die „Armenische Schweiz“ nördlich des Sees. Ein knapp dreieinhalb Kilometer langer Tunnel markiert die abrupte Grenze zwischen beiden Naturräumen. Die Fahrt ist angesichts der engen Röhre, der schlechten Beleuchtung, der abgasgetränkten Luft und des Gegenverkehrs beklemmend, vermittelt aber einen erstaunlichen Kontrast. Auf der einen Seite karge Hochsteppe und auf der anderen dichtbewaldete Höhenzüge. Man fährt buchstäblich hinunter in die Berge, denn die Ufer des Sewan sind weitgehend eben, während sich rund um den Kurort Dilijan eine herrliche Mittelgebirgslandschaft ausbreitet, die an Schwarzwald oder Harz erinnert, allerdings fast 700 Höhenmeter tiefer liegt als der See. Dilijan war dereinst ein Hotspot des Kurtourismus im sowjetischen Riesenreich. Die Nomenklatura machte hier regelmäßig Urlaub und baute sich schöne Datschen. Übriggeblieben ist nur wenig, doch immerhin dient Dilijan als Ausgangspunkt für Wanderungen in diesem fruchtbarsten und artenreichsten Teil Armeniens. Wir hatten dafür allerdings keine Zeit und steuerten direkt das antike Kloster Haghartsin wenige Kilometer nordöstlich von Dilijan an. Es liegt umgeben von Bergen inmitten eines ausgedehnten gemäßigten Regenwaldes, geht zurück auf armenische Mönche, die im zehnten Jahrhundert vor den Christenverfolgungen im Byzantinischen Reich fliehen mussten.
Sicht auf Alawerdi von der anderen Seite der Schlucht.
Alawerdi – Sowjettristesse at it’s best
Das Yasaman war etwas gediegener als das Lavasch am Abend zuvor. Beide Restaurants liegen direkt am See und sind die besten Tipps an dessen Nordwestufer. Am Morgen drauf ging es wieder zurück nach Georgien, wo wir mit dem prächtigen Tbilisi den Endpunkt der Reise ansteuerten. Allerdings hatte ich noch vor der Grenze einen besonderen Ort als Zwischenstopp eingeplant. Die Bergbaustadt Alawerdi liegt in der spektakulären Schlucht des Debed. Der eine Teil unten am Fluss und der andere auf einer von mehreren plattebenen Hochweiden, die plötzlich – wie abgeschnitten – über hunderte Meter um 90 Grad zur Schlucht abfallen. Oben in Neu-Alawerdi findet sich ein Museum der Brüder Mikojan, von denen der eine als einer der wichtigsten Getreuen Stalins fungierte und der andere als Pionier des sowjetischen Flugzeugbaus. Weit bemerkenswerter ist allerdings das uralte Kloster Sanahin. Unbedingt sollte man auch den dahinterliegenden Friedhof besuchen, von dessen höchster Ebene sich ein herrlicher Blick über die Debed-Schlucht freigibt. Neu-Alawerdi selbst besticht vor allem durch seine verfallene Plattenbauarchitektur. Quadratische Kästen, die sehr sowjetisch wirken und einen einzigartigen Kontrast zur spektakulären Landschaft bilden. Auf dem Weg hinunter von Neu-Alawerdi nach Alt-Alawerdi lohnt dringend ein Stopp am Mendz-Er-Cave-Restaurant. Gute Küche mit einer unbeschreiblichen Aussicht über die Schlucht. Nebenan in einer kleinen Höhle ist ein ethnografisches Museum eingerichtet, in dem für ein nur kleines Entgelt die armenischen Lebenswelten vor der umfassenden Sowjetisierung nachgestellt sind.
Angesichts des Namens Alt-Alawerdi mag die eine oder der andere so etwas wie historische Bausubstanz erwarten, doch tatsächlich sind die Platten hier nur ein bis zwei Jahrzehnte älter als oben in Neu-Alawerdi. Ein Stopp lohnt dennoch, denn von einer pittoresken Bogenbrücke über den Debed bietet sich eine grandiose Sicht auf die stillgelegte, riesige Kupfermine, die – von hohen Bergzinnen gekrönt – in die andere Seite der Schlucht hineingebaut wurde. Über der Brücke eine Kapsel der ebenfalls nicht mehr operierenden Seilbahn. Auch hier Sowjet-Tristesse pur. Vielleicht muss man ein Faible haben für derartige Eindrücke, doch ich bin ganz sicher nicht allein.
Wohnblocks in Neu-Alawerdi.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Armenische Dram kann man direkt an der Grenze tauschen. Der Kurs dort ist nicht schlechter als anderswo. SIM-Karten gibt es im Dörfchen Bavra wenige Kilometer weiter. Diese Info bezieht sich auf den Übergang Ninotsminda/Bavra. Am weit wichtigeren Übergang in Richtung Tbilissi (Sadakhlo/Bagratashen) finden sich unmittelbar hinter dem letzten Schlagbaum mehrere Shops für alle Bedarfe.
Giumri lohnt mit seiner hübschen Innenstadt einen kurzen Stopp, aber keine Übernachtung.
In Jerewan sind die Hotelpreise in die Höhe geschossen. Dank der Russen. Als Alternative bietet sich ein Apartment an, von denen stetig mehr auf Booking.com und anderen Portalen gelistet sind. Das Genozid-Museum in Zizernakerberd öffnet spät und schließt früh, ist dafür aber kostenfrei. Zur Sicherheit sollte man tagesaktuell noch einmal im Internet nachprüfen.
Am Sewan-See ist man gut beraten, wenn man ein Gästehaus oder Hotel in Ufernähe bucht. In der gleichnamigen Stadt Sewan gibt es nichts, was die Anreise lohnt.
Dilijan eignet sich als Ausgangspunkt für Wanderungen durch die Armenische Schweiz. Auch hier wird die touristische Infrastruktur stetig dichter. Die Stadt selbst gibt allerdings nicht viel her. Es sei denn, man will das Kurbad besuchen.
Alawerdi ist ein Traum. Lage, Architektur, Kultur. Vom Sanahin-Kloster lässt sich auf der anderen Seite das Haghpat-Kloster entdecken, welches ebenfalls zu den ältesten und schönsten Armeniens gehört. Die Kathedrale von Odzun und die Burgruinen von Kobayr sind auch nicht weit. Niemand versteht, warum dieser bemerkenswerte Ort noch immer so schlecht erschlossen ist. Andererseits macht das womöglich den Reiz aus. Das Hotel in Neu-Alawerdi würde ich lassen, denn es ist noch sehr sozialistisch. Insbesondere in Bezug auf den Service. Im Mini-Hostel gleich nebenan kommt man besser unter. Rund um die Debed-Schlucht kann man gut ein, zwei Tage rumbringen, ohne dass sich Langeweile einstellt.