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Ostwärts Reisen

Ein Tag, der Vieles verändert. Gedanken zum Krieg in der Ukraine.

Ich rate ansonsten immer zu einem vorsichtigen Umgang mit Superlativen und Historisierungen. Auch absolute Aussagen sind mir ein Graus, zumindest in Politik und Geschichte. Aktuell scheint der Begriff von einer Zeitenwende aber durchaus berechtigt. Europa steht in einem mehr oder minder offenen Krieg gegen das faschistische Russland. Schuld daran ist genau ein Mann. Wladimir Putin. Russland – zumindest jenes unter Putin – ist wieder Feindesland . Man kann nur hoffen, dass die Aggressoren scheitern, denn ansonsten werden die Begehrlichkeiten stetig weiter nach Westen und Süden ausgreifen.

Zarenreich, Sowjetunion und das heutige Russland

Putin zitiert immer wieder die Geschichte, weshalb auch ich an dieser Stelle einen kurzen historischen Exkurs einfügen will.

Der russische Imperialismus hatte bis zum Ersten Weltkrieg ein Riesenreich geschaffen, welches in seiner Ausdehnung fast ohne Vorbild war, später aber ohne Not und weitgehend freiwillig gestutzt wurde. Russland ist zwar das mit Abstand flächengrößte Land der Welt, doch der Verlust der Kulturlandschaften im Westen und Südwesten schmerzt offenbar. Zumindest Herrn Putin, der in Ukrainern und Belarussen keine eigenständigen Ethnien, sondern bestenfalls Untergruppen des russischen Volkes sieht und der die Auflösung der Sowjetunion bei allen sich bietenden Gelegenheiten bedauert.

Die Schaffung formell eigenständiger Sowjetrepubliken war aus Putins Sicht ein historischer Fehler. Vorher gehörte alles zum Zarenreich, danach gab es zumindest ein formelles Recht auf einen Austritt aus der Union. Insofern ein Minusgeschäft. Fraglos. Allerdings war dies der Preis, den die Bolschewiki im sowjetischen Bürgerkrieg den kleineren Völkern zu zahlen bereit waren, um Zersetzungsprozesse an den Rändern aufzuhalten und sich voll auf den Kampf gegen die Konterrevolution konzentrieren zu können. Auch sah sich die neue sozialistische Elite mitnichten in der Tradition Russlands. Das Gegenteil war der Fall. Viele wandten sich explizit gegen den russischen Nationalismus, strebten eine internationalistische Gemeinschaft an, innerhalb derer nationale Interessen keine Rolle spielen sollten. Viele der bolschewistischen Revolutionäre waren auch keine Russen, sondern Georgier, Ukrainer, Tataren, Juden, Armenier etc.

Nach dem Sieg im Bürgerkrieg und der Konsolidierung des Sowjet-Staates verloren die innersowjetischen Grenzen ohnehin jegliche Bewandtnis, war es vollkommen unerheblich, ob man im ukrainischen Donbass oder im benachbarten Rostow am Don lebte. Kaum jemanden interessierte es, wenn Chruschtschow mehr oder weniger erratisch die Krim seiner ukrainischen Heimat zuschanzte, wenn Kirgisen plötzlich zu Kasachen wurden oder Rumänen zu Moldawiern. Es wurde eh alles aus Moskau diktiert, was aber nicht heißen soll, dass das Zentralkomitee eine russische Veranstaltung gewesen wäre. Die Russen haben nicht weniger gelitten als alle anderen auch und die Verbrecher gehörten ebenfalls ganz unterschiedlichen Ethnien an.

Barrikaden in der Nähe des “Weißen Hauses”, des Regierungsgebäudes der ehemaligen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Foto: © Ivtorov

Doch zurück in die jüngere Vergangenheit. Im Baltikum und im Kaukasus gab es starke nationale Identitäten, erwachten angesichts der immer weiter abnehmenden Kohäsionskraft der Zentralregierung machtvolle Unabhängigkeitsbestrebungen. Ganz anders in Belarus, der Ukraine oder in Russland, wo es zuvorderst darum ging, das verhasste Zentralkomitee loszuwerden. Dass Jelzin zusammen mit dem Kasachen Nasarbajew, dem Ukrainer Krawtschuk und dem Weißrussen Schuschkewitsch die Union auflöste, hatte vielmehr persönliche Gründe. Jelzin wollte seinen Vorgesetzten Gorbatschow entmachten und tat dies, indem er ihm das Land wegnahm, welches er vorher noch regiert hatte. Mit seiner Unterschrift wurden weite Gebiete aufgegeben, die nicht nur besetzt, sondern durch eine lange russische Siedlungsgeschichte geprägt waren. Man denke nur an den weiten kasachischen Norden oder eben an den Osten der Ukraine.

Dennoch. Was auch immer im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen schiefgelaufen sein mag, eines ist klar. Weder hat man Lenin zur Schaffung einer formell föderativen Sowjetunion gedrängt noch Jelzin die Hand geführt, als er selbige aufzulösen bereit war. Und man hat sich auch nicht dazu hinreißen lassen, die Akzeptanz für eine russische Einflusssphäre bzw. einen wie auch immer gearteten Sicherheitsabstand schriftlich zu verankern. Ein solches Dokument existiert nicht. Wenn es existieren würde, hätte es uns Putin längst gezeigt. Und überhaupt wäre es nicht mit Russland, sondern der Sowjetunion geschlossen worden und somit seit deren Auflösung Ende 1991 hinfällig.

Wäre ich Russe und Nationalist (weder noch), würde ich mit dieser Entwicklung auch hadern. Dumm gelaufen, weil ohne jede militärische Niederlage große Teile des Zarenreiches verlorengingen. Immerhin ein Gebiet, das größer ist als die Europäische Union, wobei das Baltikum und der Kaukasus nicht einmal mitgerechnet sind. Knapp 30 Millionen Russen lebten nun plötzlich jenseits der eigenen Grenzen, was es nicht einfacher macht. Schließlich ist es etwas anderes, wenn man glaubhaft machen kann, vermeintlich bedrängten Landsleuten zu Hilfe zu eilen. Auch da hat Putin einen Punkt. Und zwar die moralische Verlogenheit des sogenannten Westens. Nach dem Motto: Was Du kannst oder Dir anmaßt, mach ich jetzt einfach auch. In Europa mag es imperialistische Kriege lange nicht gegeben haben, doch so weit ist der Irak von Europa auch nicht entfernt. Und auch die Anerkennung des Kosovo hatte ein Präjudiz geschaffen, um ähnliche Konflikte auf der Krim und im Donbass zu konstruieren. Zumal dies unmittelbare Grenzregionen darstellten, in denen mehrheitlich russischsprachige Menschen lebten.

Von Seiten der NATO wird stets auf die territoriale Integrität verwiesen, doch auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist im Völkerrecht verankert. Richtig ist vermutlich, dass die Implosion der Sowjetunion einen historisch derart einzigartigen Vorgang darstellt, dass die juristischen Maximalpositionen verlassen werden müssen, um irgendwo in der Mitte zu einer tragfähigen Lösung zu kommen.

Wer ist hier Faschist?

Ja es stimmt. Russland ist schwach. (Fast) ohne verarbeitende Industrie, mit einer rohstoffbasierten Wirtschaft, die mittelfristig unter den harten Sanktionen leiden wird, und vor allem ohne eine attraktive politische Botschaft. Bei aller Brutalität war der Sowjetsozialismus doch vorwärtsgewandt und bemüht, etwas Neues und Besseres aufzubauen. Wurde zumindest behauptet. Heute versuchen uns die Moskauer Chefideologen auf eine Reise ins Mittelalter nehmen zu wollen. In einen illiberalen Führerstaat, konservativ, patriarchalisch, ungleich und unfrei, wo jeder herausragende Nagel gnadenlos in die Wand gerammt wird und keinerlei Raum für Selbstbestimmung, offenen Diskurs und Innovation bleibt. Nicht sehr verheißend und ich wundere mich, wie viele selbsterklärte Linke in Deutschland diese Entwicklung verklären. Erstaunlich, dass man Vielen noch immer sagen muss, dass das heutige Russland mit den sozialistischen Träumen einer neuen Gesellschaft rein gar nichts zu tun hat. Eine zutiefst korrupte Autokratie, in der Moral und Anstand zersetzt werden. Religiöser Fundamentalismus, die Degradierung von Frauen zu guten Müttern bzw. hübschen Accessoires, die Dekadenz der Eliten, die Marginalisierung von Minderheiten, Homophobie, extreme Vermögensungleichheit, eine gelenkte Justiz, Medien als Propagandawerkzeuge und all dies mit der Tendenz zu immer mehr Zynismus und Brutalität. Putin schimpft gerne auf die Faschisten in der Ukraine, was von Vielen in Deutschland bereitwillig kolportiert wird. Doch wenn ich mir einen Faschisten herbeiträumen soll, dann sieht er so aus und spricht so wie der „kleine Wolodja“. Erklärt sich zum Bewahrer nationaler Werte, hat für Schwache und Marginalisierte nur Verachtung übrig, ersäuft in der eigenen Dekadenz und Gier, hält sich für unfehlbar, schafft einen Führerstaat, in dem die Massen ihm und seiner Propaganda verfallen sollen und verfolgt seine Gegner ohne jedes Erbarmen. Mit den bewährten Methoden der Tscheka und modernsten Kampfstoffen wie Nowitschok. Wolodymyr Selenski ist im Übrigen Jude.

Die neue Normalität

Das Militär und die schier grenzenlosen Rohstoffe sind die einzigen Stärken Russlands und deshalb ist es gar nicht verwunderlich, wenn diese Karten auch gespielt werden. Andere Trümpfe besitzt Putin nicht, doch leider steht Europa – um im Bild zu bleiben – genau auf diesen Farben recht blank. Das wird sich ändern müssen, denn mit den aktuellen Entwicklungen scheint klar, dass das Putin-Regime gestoppt werden muss. Freiwillig stehenbleiben wird es nicht. Das hat Russland – aus Putins historischem Verständnis – schon viel zu oft getan. Putin und seine erzkonservativen Kreise werden sich weiter mühen, die selbst empfundenen Ungerechtigkeiten wettzumachen. Ihr Problem ist aber, dass sie viel zu hässlich sind, als dass sich irgendjemand freiwillig mit ihnen abgeben will. Dass sie also Gewalt anwenden müssen. Wie heißt es so schön? Willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein. Die EU mag ihre Herausforderungen haben, doch die große Mehrheit der Menschen – selbst in Russland – würde lieber in Berlin als in Moskau leben. Russland verfügt über die größten Ressourcen weltweit, doch in den sibirischen Wäldern müssen noch immer alte Muttchen mit selbst geschlagenem Holz gegen den eisigen Winter anheizen. In den kurzen Sommern das Gemüse ziehen, welches das Überleben sichert. In kärglichen Verschlagen und getrennt von der Welt durch Berge aus Schlamm. All dies, während der unsagbare Reichtum des Landes von einer Putin-treuen Elite auf den Kopf gehauen wird, deren Ruchlosigkeit und Gier sich in Worten kaum beschreiben lässt. Eine einzige Schande.

Putin hatte die Chance, die russische Gesellschaft zu erneuern. Anfangs schien er im Kampf gegen die mafiösen Oligarchen noch erfolgreich, doch schon bald zeigte sich, dass er an deren Stelle nur sein eigenes monströses System setzte. Schon ein kurzer Blick in seine Biografie zeigt, dass er Moral und Anstand nie als handlungsleitende Kategorien betrachtete. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schon gar nicht.

Um zum Anfang des Textes zurückzukommen: Natürlich sind Russen, Ukrainer und Belarussen ethnisch eng miteinander verwandt, vielleicht sogar ein Volk. Vielleicht wären viele Ukrainer in einem freiheitlichen, rechtstaatlichen und demokratischen Rahmen bereit, den Bund zu erneuern. Doch verwandt oder nicht. Niemand will einer solchen Führung unterliegen. Putin selbst und sein absurd charakterloses Umfeld sind der Grund dafür, dass so viele Osteuropäer in die EU und auch in die NATO wollen.

Vielleicht wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht, doch inwiefern ein anderer, Russland stärker integrierender Ansatz zu besseren Ergebnissen geführt hätte, bleibt hochspekulativ. Putin hat schon immer gelogen und gemordet, auch zu Beginn seiner Amtszeit. Er hätte sich vermutlich auch dann nicht zu einem verlässlichen Partner entwickelt, wenn man ihm freundlicher begegnet wäre. Mit mindestens der gleichen Berechtigung ließe sich annehmen, dass er eine solche Herangehensweise als Schwäche interpretiert und noch früher die Konfrontation gesucht hätte.

Europa muss nun den Rücken gerade machen und sich militärisch rüsten. Kurzfristig zusammen mit den US-Amerikanern, mittelfristig kann und sollte der aktuelle Krieg ein Fanal sein für die Entwicklung einer eigenständigen europäischen Außen- und vor allem Sicherheitspolitik. Die EU ist groß genug, um ihre Interessen selbst zu vertreten, auch militärisch. Interessen, die im Übrigen nicht immer deckungsgleich sind mit jenen der USA.

Den Russen ist zu wünschen, dass sie diese verbrecherische Clique baldmöglichst zum Teufel schicken. Helfen kann man ihnen dabei nicht. Leider. Das Schicksal der Ukraine wird man sich in Georgien, Taiwan und ganz sicher auch in Peking genauestens anschauen. Nicht nur deshalb verdient sie unsere Unterstützung.

Für Ostwärts Reisen gilt, dass die von uns beworbenen Regionen nicht betroffen sind. Sie sind dort weiterhin sicher. Dennoch werden Reisen nach Südsibirien bis auf Weiteres nicht stattfinden können. In Georgien macht man sich sicher Sorgen und der Ausgang in der Ukraine wird sich unter Umständen auch dort auswirken. Einstweilen ist das Land aber offen, sicher und wahnsinnig schön mit großartigen Landschaften und fantastischen Menschen. Die Mongolei ist auch wieder für Touristen aus dem Ausland zugänglich. Dort schaut man mit großen Beklemmungen auf Festlandchina, aktuell ist eine Eskalation aber nicht zu erwarten. Also nichts wie hin, denn immerhin Corona scheint sich langsam zu verabschieden.

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