Irkutsk, Sajan und mit der Baikalrundbahn nach Listwjanka
Schon wieder eine Corona-Reise. Wir hatten es trotz aller Widrigkeiten nach Moskau geschafft, zeigten meiner Mama die Höhepunkte der russischen Hauptstadt und nahmen dann den zwar günstigen, aber recht unkomfortablen Pobeda-Flieger nach Irkutsk. Wir mieteten ein Auto an und durchstreiften die sibirische Metropole. Nach einer Übernachtung konnte es endlich losgehen an den Baikal.
In den Bergen des Sajan
Mama und Solongo wollten am Morgen noch einmal zum Irkutsker Rynok. Erstens, weil sie sich auf dem Weg in die Berge des Sajan mit Proviant eindecken wollten und zweitens, weil sie den spezifischen Duft des sibirischen Marktlebens liebten. An einem kleinen Imbissstand wurde ein gepflegtes burjatisches Frühstück gereicht. Dann noch einmal tanken und auf zum Baikal und weiter in den Sajan. Die Straße wand sich durch die welligen Höhen des Baikalgebirges. Mehrfach kreuzte sie die Trasse der Transsibirischen Eisenbahn, die sich nicht weit entfernt ebenfalls durch die Berge mühte, aber nur selten zu sehen war.
Tal der Kyngyrga im wilden Sajan.
Nach anderthalb Stunden Fahrt erblickten wir bei der Siedlung Kultuk erstmals unseren verheißenen See, stoppten aber nur kurz an einem kleinen Strand und nahmen dann die Straße nach Westen in Richtung der mongolischen Grenze. Hier war deutlich weniger Verkehr, als auf der Interkontinentalen zwischen Irkutsk und Baikal. Das weite Tunkinsker Tal folgte dem Lauf des Irkut und schillerte an diesem wunderbaren Sommertag in sämtlichen Grüntönen. Alle paar Meter kreuzten Viehherden den Weg und wenn es noch Jurten gegeben hätte, wäre es wie in der Mongolei gewesen. Passend dazu begrüßten uns nach 40 Kilometern eine Stele und ein kleiner lamaistischer Tempel in der Republik Burjatien. Vom Abzweig ins Resort Arschan wären es nur knapp anderthalb Fahrtstunden zur Grenze gewesen, weshalb wir bei aller landschaftlichen Schönheit auch ein wenig wehmütig wurden. Dazu wird sicherlich beigetragen haben, dass die Burjaten in der Region eindeutig in der Mehrheit waren und dass sie sich – abgesehen von dem bedauernswerten Umstand, dass sie auch untereinander fast nur noch Russisch sprachen – in keiner Nuance von den Mongolen in der Mongolei unterschieden.
Angekommen in Burjatien.
Arschan ist ein gemütlicher Kurort am Fuße mehr als 3.000 Meter hoher Berge. Vom Zentrum des Dorfes zieht sich ein langgestreckter Markt entlang des Flüsschens Knygyrga immer weiter hinauf ins Gebirge. Am Wegesrand sprudeln die Heilquellen, die der maßgebliche Grund dafür sind, dass dieses beschauliche Nest in den entlegenen Bergen des Sajan in ganz Russland bekannt ist.
Wir spazierten jedoch zunächst in Richtung Süden durch den Wald zum kleinen Bodkhidkharma-Tempel. Wir hätten dieses wunderbare Plätzchen auf einer ausgedehnten Lichtung inmitten der Taiga und gekrönt von mächtigen Bergketten noch viel mehr genießen können, wenn uns nicht Heerscharen von Mücken vollkommen zerstochen hätten. Bemerkenswert, dass dies nur hier passierte und uns ansonsten weder in der Unterkunft noch sonst in der Region ein einziges Insekt behelligte.
Am Bodkhidkharma-Tempel.
Untergebracht waren wir in einem kleinen Bungalow am Dorfrand. Unmittelbar hinter dem Grundstück breitete sich ein fruchtbarer Mischwald aus und ein kleines Bächlein plätscherte durch unseren Garten. Verena und Andrej hatten hier in den vergangenen Jahren ein wahres Kleinod zusammengezimmert. Zwei kleine Gasthäuser und dazwischen die große Banja, die auch sogleich angefeuert wurde. Wir schwitzten, prügelten uns mit den traditionellen Weniks – angefeuchteten Birkenzweigen –, kühlten uns im gerade rechtzeitig einsetzenden Starkregen wieder ab, tranken Bier, spielten Karten und fühlten uns sehr sibirisch.
Soana war es in der Banja offenkundig zu heiß.
Am nächsten Tag fuhren wir so weit wie möglich mit dem Auto in die Berge hinein, stellten es dann ab und wanderten immer weiter die Kyngyrga hinauf. Meine Mama wäre beinahe ins Wasser gestürzt, als wir auf zwei Baumstämmen das wilde Flüsschen überquerten. Das war allerdings das einzig Abenteuerliche an der Wanderung, denn die Wege waren gut und die anderen Naturfreunde zahlreich. Das Tal wurde stetig spektakulärer und verengte sich schließlich zu einer tiefen Schlucht. Am Ende des Weges war über mehrere Wasserfälle der Kyngyrga eine Seilbrücke gespannt, von deren anderem Ende aus man sich in schneller Fahrt an einem Seilzug wieder zurück zum Ausgangspunkt befördern konnte. Dieser Freizeitspaß scheint in Sibirien große Popularität zu genießen, denn ähnliche Anlagen haben wir später auch in Listwjanka und auf der Insel Olkhon gesehen. Solongo und ich trauten uns das ganze Programm, während meine Mama und Soana mit entsprechender Sicherung lediglich die spektakuläre Seilbrücke überquerten.
An den Wasserfällen der Kyngyrga.
Insgesamt ist die knapp zwei Kilometer lange Wanderung vom Ortszentrum zum Wasserfall auch für ungeübte Routengänger leicht zu absolvieren. Sie bietet atemberaubende Blicke, endet an einem spektakulären Ort und immer wieder kann man sich an Heilquellen erfrischen. Zurück in Richtung Ortsmitte werden an etlichen Marktständen touristische Souvenirs mit Bezug zu Sibirien und der Mongolei feilgeboten. Hier kam Solongo das erste Mal mit einheimischen Burjaten ins Gespräch, die sich über den Besuch einer waschechten Mongolin angesichts geschlossener Grenzen sichtlich wunderten.
Den Abend verbrachten wir standesgemäß im „Mongol“-Restaurant bei Teigtaschen, Suppe und selbstgemachten Nudeln. Sehr zufrieden mit unserem kleinen Abstecher in die Berge, waren wir nun endlich in Sibirien angekommen.
Mit der Baikalrundbahn zur Angara-Quelle
Nun wollten wir uns zum ersten Mal trennen. Ich würde Mama, Solongo und Soana in den Zug nach Port Baikal am Ausfluss der Angara aus dem See setzen und anschließend das Auto über Irkutsk nach Listwjanka steuern, wo wir uns am Abend wiedertreffen sollten. Ich hatte gelesen, dass einige Male in der Woche ein kleiner Nahverkehrszug auf den Resten der alten Baikalrundbahn unterwegs sei und dass sich zumindest in den Sommermonaten am Endpunkt der Fahrt in Port Baikal noch die letzte Fähre über den Angara-Ausfluss nach Listwjanka erreichen ließe. Ob diese Informationen stimmten und ob wir tatsächlich noch Tickets kaufen könnten, würden wir erst am Bahnhof von Sljudjanka erfahren.
Zunächst jedoch wollten wir auf Anraten von Verena und Andrej einen letzten Ausflug im Tunkinsker Tal unternehmen. Schließlich gab es in Arschan selbst wider Erwarten kein Thermalbad, sondern lediglich einige Quellen zum Trinken. Das sei aber nicht schlimm, weil wir auf der zentralen Straße durch das Tal kurz hinter dem Abzweig nach Arschan im Ort Zhemzhug auf eine ausgedehnte Anlage mit verschiedenen Heilbecken stoßen würden. Dem war auch so und wir hätten hier im warmen Wasser direkt am Ufer des Irkut gerne etwas mehr Zeit verbracht.
Von Zhemzhug sind es etwa hundert Kilometer auf gut ausgebauter Straße bis nach Sljudjanka. Wir genossen noch einmal die sehr mongolischen Impressionen im Tunkinsker Tal und hofften ansonsten, dass unser ambitionierter Plan für den heutigen Tag aufgehen würde.
Bahnhof von Sljudjanka.
In Sljudjanka gleich zum Bahnhof. Ja. Es fuhr ein Zug. Allerdings nicht um 14 Uhr, sondern erst um 14:40 Uhr. Die Umsteigezeit auf die Fähre würde sich damit auf lediglich zehn Minuten verkürzen, doch dies reiche im Regelfall aus, so die Dame am Schalter. Das war schonmal gut. Erleichterung allenthalben und angesichts der „geschenkten“ 40 Minuten konnten wir sogar noch schnell in den Supermarkt und zum Strand. Das Ticket kostete pro Person umgerechnet 1 Euro 40 Cent.
Der Abschnitt der Krugobaikalskaya (Baikalrundbahn) zwischen Sljudjanka und Port Baikal gehört zu den spektakulärsten Schienenwegen der Welt und ist darüber hinaus auch industriegeschichtlich von höchster Relevanz. Im frühen 20. Jahrhundert war dies der letzte Lückenschluss der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Moskau und Wladiwostok. Von Irkutsk aus zogen sich die Gleise an der Angara entlang bis zum Baikal. Danach galt es, die überaus anspruchsvolle Topografie am Ufer bis zur Südwestspitze des Sees mit etlichen Traversen, Tunnels und Brücken zu überwinden. Bevor dies in jahrelanger Schwerstarbeit gelungen war, verkehrten zwei Eisbrecher zwischen Port Baikal und Mysovaya auf der anderen Seite, was erstens nicht ganzjährig möglich und zweitens sehr umständlich war. Mit Fertigstellung der Baikalrundbahn war schließlich ein wesentlicher Meilenstein bei der Erschließung des asiatischen Russlands erreicht.
In den 1950er Jahren verkam die Strecke zwischen dem Angara-Ausfluss und der Südwestspitze des Baikal allerdings zur Sackgasse, weil mit dem neuen Wasserkraftwerk in Irkutsk die obere Angara zu einem riesigen See angestaut wurde, die Gleise hin zum Baikal im Wasser versanken und parallel eine direkte Strecke von Irkutsk nach Kultuk gebaut wurde.
Es ist dem Einsatz einiger sowjetischer Eisenbahnenthusiasten zu verdanken, dass die Strecke nicht zurückgebaut wurde und noch immer Züge verkehren dürfen. Nicht zuletzt ist dies die einzige Möglichkeit, über längere Zeit am Westufer des Baikal entlangzufahren, denn Straßen führen auf dieser Seite stets nur stichartig ans Ufer. Angesichts der alten Gleise und der vielen Ingenieurbauwerke fahren die Züge allerdings äußerst gemächlich und benötigen für die knapp 90 Kilometer mehr als fünf Stunden. Die wenigen Siedlungen an der Strecke werden ausschließlich über die Schiene versorgt und ziehen in den Sommermonaten etliche Touristen an.
Panorama-Fotos an der Baikalrundbahn.
Mama, Solongo und Soana waren vollauf begeistert. Die Gleise verliefen im Regelfall direkt über dem See, womit sich nahezu durchgängig spektakuläre Blicke boten. Immer mal wieder konnte an den Haltepunkten ausgestiegen werden, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Und am Ende in Port Baikal erwartete sie ein zufriedener Glatzkopf im Union-Berlin-Trikot, um den letzten Höhepunkt des Tages gemeinsam zu absolvieren.
Punkt 20:15 Uhr legte die letzte Fähre über den Angara-Ausfluss ab. Während wir so dahintuckerten, versank im Hintergrund die Sonne langsam im Irkutsker Stausee. Die Gleisanlagen von Port Baikal entfernten sich immer weiter von uns und auf der anderen Seite erstreckte sich bis zum Horizont das „sibirische Meer.“
Auf der Fähre über den Angara-Ausfluss aus dem See.
Ich hatte das Auto direkt am Fähranleger von Listwjanka geparkt und nach nur fünf Minuten Fahrt waren wir an unserer neuen Unterkunft angelangt. Zweckmäßig eingerichtet, aber durchaus gemütlich. Wir aßen in einer burjatischen Jurte zu Abend und ließen einen perfekten Tag mit einem Glas Wein auf unserer Terrasse ausklingen.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Wir wissen nicht genau wann, doch eines schönen Tages wird der Grenzübergang zwischen Mondy auf der burjatischen Seite und der Siedlung Khankh in der Mongolei auch für Drittstaatler geöffnet sein. In diesem Fall ließe sich ein wunderbarer Kreis zwischen Irkutsk, den Bergen des Sajan, dem mongolischen Khovsgol-See, Ulaanbaatar, der burjatischen Hauptstadt Ulan-Ude, dem Südufer des Baikal und zurück nach Irkutsk vollziehen.
Das Tunkinsker Tal folgt stetig dem Lauf des Irkut und bietet wunderbare, auenlandhafte, mongolische Ansichten. Die heiße Quelle in Zhemzhug liegt nicht weit vom Abzweig nach Arschan entfernt und lässt sich daher hervorragend mit diesem pittoresken Resort in den Sajan-Bergen verbinden.
Der Matanya-Zug von Sljudjanka nach Port Baikal ist ein wahrer Geheimtipp. Eine Tour über mehrere Stunden am Baikal entlang wird günstiger kaum zu haben sein. Allerdings wird nur in den Sommermonaten noch eine Fähre über den Angara-Ausfluss nach Listwjanka verkehren.