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Ostwärts Reisen

Naadam – das jährliche Hochamt der mongolischen Kultur

Zurück in Ulaanbaatar nahte das Naadam-Fest. Neben dem buddhistischen Neujahr Tsagaan sar (Weißer Mond) sind das die wichtigsten Feiertage im mongolischen Kalender. Jedes Jahr vom 10. bis zum 13. Juli werden die Traditionen und Bräuche der Steppe gefeiert. Trachten, Tänze, Lieder, reich gedeckte Tafeln und im Mittelpunkt die drei „männlichen“ Sportarten – Bogenschießen, Geländereiten und Ringen. Die Mongolen feiern sich selbst und vermitteln einen Eindruck vom kulturellen Reichtum der ansonsten eher spartanisch anmutenden nomadischen Lebensweise. Meine künftige Schwiegermama hatte Tickets für das Ringerfinale im Nationalstadion organisiert. Für mich ein ganz besonderes Vergnügen, weil ich in Japan zum Sumo-Enthusiasten geworden war und dieser ur-japanische Sport seit Jahren von mongolischen Ringern dominiert wurde. Schon auf unserer kurzen Reise mit Deegii-san in die Zentralmongolei hatten wir im Feriendomizil meines größten Sumo-Helden vorbeigeschaut. Asashoryu, der mit bürgerlichem Namen Dolgorsürengiin Dagwadordsch heißt, konnte oder wollte nie die überzogenen Erwartungen der japanischen Öffentlichkeit nach vollständiger Assimilation erfüllen. Er gestattete sich eigene Ansichten und wurde dafür mit medialen Hetzjagden bestraft. Dazu nur eine von vielen Geschichten: Sumo-Ringer sind eigentlich aufgerufen, überall und stets traditionelle japanische Kleidung zu tragen. Das steht zwar nirgends geschrieben, doch es gehört sich halt so. Eines von vielen unnützen Dogmen in Japan, die bis in die ureigenste private Sphäre hineinreichen. Asashoryus Verbrechen war es, bei einem Privaturlaub auf Hawaii mit einem Hawaiihemd abgelichtet worden zu sein. Das löste eine monatelange Kampagne aus. Einfach irre und Asashoryu sagte das auch, weshalb ich ihn mochte, aber die meisten Japaner ihn kaum ertragen konnten. Ganz sicher spiegelten sich in meiner Sympathie für diesen mongolischen Recken die eigenen Probleme, die ich langsam aber stetig mit meinem Gastland aufbaute. Doch auch rein sportlich war es bemerkenswert, wie sich Asashoryu mit überragender Technik gegen deutlich schwerere Gegner durchsetzen konnte. Während sich der japanische Stil weitgehend darauf beschränkte, den Kontrahenten aus dem Ring zu drängen, setzen die Mongolen auf Wurftechniken. Sie hatten damit übergroßen Erfolg und ließen japanische Ringer über fast ein ganzes Jahrzehnt hinweg kein einziges Turnier gewinnen.

Beim Ringerfinale im Nationalstadion.

Der Grund für die filigrane Ringertechnik der Mongolen ist denkbar einfach. Es gibt in der unendlichen Steppe keine Ringbegrenzung. Es reicht also nicht, den Gegner einfach nur wegzuschieben. Man muss ihn zu Boden bringen, nicht notwendigerweise mit dem gesamten Körper, aber doch zumindest mit Rücken, Knien oder Ellbogen. Aus der Nähe betrachtet, ist das mongolische Ringen hochspannend. Im Stadion mit Solongo und ihrer Mama bedauerte ich allerdings, dass wir unser Fernglas vergessen hatten. Doch allein wegen des Beiwerks hatte sich der Ausflug gelohnt. Vollbesetzte Ränge, im Mittelkreis waren die neun Standarten Dschingis Khans aufgepflanzt und immer wieder wurden die Kämpfe von allerlei kulturellen Darbietungen unterbrochen.

Die Eintrittskarte besitzt noch immer einen Ehrenplatz in unserer Wohnung, doch sie hätte mir schon in den folgenden Stunden gute Dienste leisten können. Leider hatte ich nicht an sie gedacht.

Nationalfeiertag im Datschenviertel und die fehlende Eintrittskarte

Wir waren eingeladen zum großen Naadam-Essen bei Solongos Familie, die mich mit einer geradezu lässigen Selbstverständlichkeit in ihren Kreis aufnahm. Wie viele Hauptstädter, hatten auch Solongos Verwandte eine Datscha. Dies sei nach der politischen Transformation sehr einfach gewesen. Man hätte nur einen Zaun ziehen müssen und schon gehörte es einem. Und so hatte sich im Norden der Stadt nach und nach ein riesiges Areal herausgebildet, das im Sommer von halb Ulaanbaatar bevölkert wird.

Hier feierte Solongos Familie mit schätzungsweise 40 bis 50 Personen. Immer wieder kamen Besucher vorbei, die zumindest der Großmutter ihre guten Wünsche entbieten wollten. Sie hatte einige Tage zuvor einen der höchsten Orden der Mongolei erhalten, was einen weiteren Grund für die Zusammenkunft bildete. Trotz des formellen Anlasses war die Atmosphäre sehr entspannt. Die Jungen sprachen Englisch oder Japanisch und die Alten Russisch. Ich kam also klar, konnte jedoch nicht verhindern, dass die Gespräche bei mehr als zwei Teilnehmern wieder ins Mongolische drifteten. Ich stand hier nicht im Mittelpunkt und das war gut so.

Am Abend ging es ins Bungalow. Die älteren Generationen saßen um einen großen Tisch und ließen ein zeremonielles Wodkaglas kreisen. Jeder der dran war, musste mit dem Finger ein paar kleine Wodkaspritzer in alle vier Himmelsrichtungen schnipsen, einen Trinkspruch aufsagen und ein Lied anstimmen. Mindestens nach der ersten Strophe, manchmal schon nach wenigen Akkorden, fielen alle in den Gesang ein. Die Vielfalt der Lieder und die Textsicherheit der Gäste beeindruckten mich, doch das Glas kam näher und näher und ich wurde zunehmend nervös. Junge Deutsche, zumal kinderlos, sind nicht sonderlich versiert in traditionellem Liedgut. Ich wollte aber auch keinen Rock- oder Popsong anstimmen. Das schien mir unangemessen. Am Ende wusste ich mir nur mit Hans Albers‘ „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ zu helfen. Rein textlich auch fürchterlich unangemessen, wie mir später aufging, doch am Tisch sprach dankenswerterweise niemand Deutsch. Solongo musste sich später von ihrer Oma ausschimpfen lassen, warum sie mir nicht geholfen hätte, doch auch sie hörte mein Lied in diesem Moment zum ersten Mal. Ich konnte die Kläglichkeit der Darbietung in den Augen der Anwesenden nachlesen. Hier mischte sich reichlich Mitleid mit einer erklecklichen Portion Fremdscham. Es war gut, als es vorbei war und ich im Garten bei einer Zigarette ausschnaufen konnte. In meiner Jackeninnentasche entdeckte ich die Eintrittskarte vom Ringerfinale und hätte mich ohrfeigen können. Auf der Rückseite war der Text der mongolischen Nationalhymne aufgeführt. Kyrillisch war nach elf Jahren Schulrussisch kein Problem und den Klang der Worte kannte ich bereits. Ich mochte schon als Kind Flaggen, Grenzen und Hymnen und vor einigen Wochen war ich – noch in Berlin – im Internet auf eine Pop-Version der mongolischen Hymne gestoßen. Die Melodie gehört für mich zu den schönsten überhaupt und das Video dazu beschwor auf sympathische Art den Behauptungswillen einer kleinen Nation. Der Text wurde abwechselnd von zwei weiblichen und zwei männlichen Popstars dargebracht – mit patriotischer Inbrunst und Orden am Revers. Alles in allem sehr gelungen. Ich kannte also Text und Melodie und hätte ohnehin nur die erste Zeile alleine singen müssen. Es wäre ein Triumph geworden und jetzt ärgere ich mich schon wieder, wo ich diese Zeilen schreibe. Doch so oder so. Ich hatte eine neue Familie gewonnen.

War man mit der Wodka-Schale an der Reihe, musste ein Lied angestimmt werden.

Im Schoß der Familie und ein letzter Abend

In den folgenden Tagen war ich Teil des mongolischen Alltags. Cousinen kamen und gingen, brachten ihre Kinder vorbei, holten sie wieder ab. Wir machten Besorgungen und trafen uns am Abend in größerer Runde zum Essen. Entweder bei wechselnden Verwandten oder im Restaurant. Ulaanbaatar bot schon damals eine reiche Auswahl guter koreanischer Lokale. Die Vorliebe für die koreanische Küche hatte ich in Japan entwickelt und ich teilte sie mit allen meinen neuen Familienmitgliedern. Am Ende der Reise machten wir noch zwei Ausflüge. Zunächst in eine Jugendherberge am Dugan-Fels und dann ins Ferienresort nach Terelj 50 Kilometer östlich von Ulaanbaatar. Ersteres war ein Reinfall mit unspektakulärer Landschaft, heruntergekommenen Zimmern und faulem Personal. Letzteres geriert zu einem würdigen Abschluss.

Letzter Ausflug nach Terelj und zum Reiterstandbild Dschingis Khans.

An meinem letzten Abend – Solongo blieb noch zwei Wochen länger – trafen wir uns zum letzten Mal mit Munkhtsetseg. Ich weiß nicht mehr genau, wie es anfing, doch es endete in einem Club, wo eine philippinische Live-Band aufspielte. Ich fand es süß, wie die Jugend von Ulaanbaatar diesen kleinen Funken Internationalität feierte. Pop- und Rockgrößen verirren sich höchstselten in dieses abgelegene, kalte Land und so musste eine vollkommen unbekannte südostasiatische Combo als letzter Schrei in der Hauptstadt herhalten. Während des Konzerts wurden zwei deutsche Ingenieure auf uns aufmerksam, weil wir untereinander Deutsch sprachen. Sie hatten jeweils eine einheimische Prostituierte im Arm und begannen bald, sich lang und breit über die Defizite des mongolischen Volkes auszulassen. Es war ein bisschen lustig, Munkhtsetseg bei ihrer ganz persönlichen Kernschmelze zuzusehen. Sie bearbeitete die beiden Herren derart, dass sie bald den Club verließen. Am Ende hatten wir noch den Sänger der philippinischen Band im Schlepptau. Es war schon morgens, als wir kurz zu Solongos Mama fuhren, ich mich höflich verabschiedete, meine Koffer nahm und per Taxi den Flughafen ansteuerte. In Berlin-Tegel traf ich einen der beiden deutschen Ingenieure wieder, doch das war dann auch schon wieder egal.

Ein paar Tipps zum Schluss

Naadam ist natürlich ein Höhepunkt für jeden ausländischen Touristen. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass dies die teuersten drei Tage im gesamten Jahreslauf sind und man einen deutlichen Aufpreis zahlen wird. Das Bogenschießen ist eher unspektakulär, wesentlich spannender dagegen sind der Zieleinlauf des Geländereitens und natürlich das Ringerturnier im Nationalstadion. Vom Sukhbaatar-Platz aus werden die neun Standarten Dschingis Khans in einer feierlichen Prozession zu Pferde und in festlichen Gewändern zum Nationalstadion verbracht. Eine äußerst sehenswerte Alternative für all jene, die keine Eintrittskarte ergattern konnten.

Und auch wenn man nicht genau Mitte Juli in Ulaanbaatar sein sollte, lässt sich mit etwas Glück zumindest auf dem Land etwas Naadam-Atmosphäre schnuppern. Denn dort werden in den Sums (Landkreisen) und in den Aimaks (Provinzen) die regionalen Vorausscheide abgehalten. Ebenfalls begleitet von allerlei folkloristischen Darbietungen, traditioneller Küche und viel Wodka.

Touristen sollten sich allerdings bewusst machen, dass mit fortschreitender Stunde und steigendem Alkoholpegel das Risiko steigt, in Handgreiflichkeiten verwickelt zu werden.

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