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Ostwärts Reisen

Ostern in Armenien

In den ersten Osterferien unserer Tochter nochmal in den Kaukasus. Corona und schließlich Putins Krieg in der Ukraine sorgten für einige Planänderungen. Letztlich flogen wir nach Kutaissi, fuhren über die Kazchi-Säule nach Tiflis und verbrachten vier herrliche Tage in zwei Nationalparks ganz im Osten des Landes an der aserbaidschanischen Grenze. Nun wollten wir kurz nach Armenien. Schließlich hatte meine (mongolische) Ehefrau für geringes Geld recht kurzfristig ein Visum ergattern können und durfte unser (georgischer) Mietwagen auch dorthin. Es war Ostern. Noch nicht im orthodoxen Georgien, dafür aber im Wirkungskreis der armenisch-apostolischen Kirche.

Über die Grenze

Der Nationalpark Vashlovani war der Höhepunkt unserer bisherigen Reise und die Gastfreundschaft von David und Teo passte perfekt zu diesen Eindrücken. Wir frühstückten noch einmal in diesem herrlichen Garten nahe der Adlerschlucht und brachen dann auf in Richtung Armenien. Laut Google.maps würden wir bis zur Grenze ziemlich genau drei Stunden benötigen. Noch einmal durch Tiflis, wovor mir graute, weil ich die Stadt zwar liebe, der Verkehr dort aber meine Nerven frisst. Ein paar Linksausfahrten, Vollbremsungen und Drängeleien später war es geschafft. Die georgische Hauptstadt lag hinter und die Grenze weniger als eine Stunde vor uns.

Als wir angekommen waren, mussten die Passagiere zunächst aussteigen und sich separat kontrollieren lassen. Das ging auf der georgischen Seite erwartbar schnell, die lästigen Formalitäten begannen bei den Armeniern. Sie schickten mich zunächst zum „Doktor“, der bei mir „Fieber messen“ sollte. Keine Ahnung, was das bedeutete, doch letztlich wollte eine ältere Dame in irgendeinem Kabuff nur mein Impfzertifikat sehen. Sie gab mir einen weißen Schnipsel und ich durfte wieder zurück zum Grenzbeamten. Bei unserer Mietwagenfirma hatte ich eine notarielle Beglaubigung bestellt, damit ich das Auto ein- und wieder ausführen darf. Schließlich gehören Armenien und Georgien zu unterschiedlichen Zollgebieten. Dieses und alle anderen Dokumente wurden intensiv geprüft. Immerhin verzichteten sie darauf, sämtliche Koffer zu durchleuchten, wie es noch sechs Monate zuvor der Fall gewesen war. Am Ende mussten wir an irgendeinem Fenster noch den „propusk“, also eine Durchfahrtgenehmigung für Armenien beantragen, was ewig dauerte. Insgesamt verbrachten wir fast eine Stunde mit diesem Kram, was aus mitteleuropäischer Perspektive recht viel klingt, in dieser Weltregion aber völlig normal ist. Das von mit befürchtete Osterreisechaos blieb zwar aus, doch man merkte deutlich, dass der Sowjetmensch hier noch immer präsent ist. Ganz im Gegensatz zu Georgien.

Hinter dem letzten Schlagbaum wussten wir, was zu tun ist. Schnell weg von der Grenze, von niemandem ansprechen lassen und ab ins nächste Dorf, wo sich in einem kleinen Supermarkt eine Wechselstube fand. 500 Armenische Dram entsprachen einem Euro. Das Umrechnen fiel also nicht schwer. Während es in Georgien an Wechselstuben nur so wimmelt, war dies hier die Einzige, die wir auf unserer Reise durch Armenien gesehen hatten.

Kloster Haghpat auf dem Bergplateau gegenüber. Genau zwischen den beiden Fratzen.

Eine bemerkenswerte Stadt

Bis zu unserer nächsten Unterkunft in Alawerdi waren es noch 60 Minuten. Die ersten Dörfer auf dem Weg sahen nicht sehr verheißend aus, doch bald bog die Straße ein in die Schlucht des Debed, eines Nebenflusses der Kura, der sich über annähernd hundert Kilometer tief in den Kleinen Kaukasus schneidet. Mit knapp 15.000 Einwohnern ist Alawerdi die einzige nennenswerte Stadt in der Region. Zu Sowjetzeiten wurde hier Kupfer abgebaut, was einen gewissen Wohlstand brachte. Diese Ära ist allerdings vorbei und so regiert aktuell die Tristesse. Der Stadtkern entstand unter Stalin und gruppiert sich tief unten im Tal um den Lauf des Debed. Was auf den Hinweisschildern als „Altstadt“ beschrieben wird, sind lediglich etwas ältere Plattenbauten. Eine gewachsene Siedlungsstruktur gibt es nicht. In den 1960er Jahren entstand im Süden der Stadt auf einem Bergplateau hoch über dem Debed „Neu-Alawerdi“ – ebenfalls eine reine Plattenbausiedlung. Nicht weit dahinter findet sich mit dem Kloster Sanahin die mit Abstand wichtigste Sehenswürdigkeit. Alawerdi ähnelte dem georgischen Chiatura, welches wir zu Beginn unserer Osterreise besucht hatten. Allerdings war hier alles noch eine Spur intensiver. Das Tal tiefer, die Berge schroffer, der Fluss wilder, die Wohnblöcke sowjetischer und die Industrieanlagen verfallener. Ein morbider Charme, für den man eine Antenne haben muss und der zumindest mich in helle Begeisterung versetzte. Meine Frau war eher unentschieden, was sie von diesem seltsamen Ort halten solle, während ich mich fragte, wie sich diese spezielle Atmosphäre bestmöglich auf ein Foto bannen lässt.

Wir hatten über Booking.com ein Hostel gebucht und mal wieder Probleme es zu finden. Zunächst navigierte uns Google.maps vor einen kleinen Krämerladen, einen typischen магазин für all jene, die mit dem Wort etwas anfangen können. Das konnte es also nicht sein. Dann wurden wir an der ersten Kreuzung nach rechts und dann gleich wieder nach rechts geschickt und standen zwischen einem würfelförmigen verfallenen Plattenbauwohnblock und einem etwas ansehnlicheren Kindergarten. Mehr oder weniger im Nichts. Die dritte Passantin konnte uns endlich weiterhelfen. Eigentlich gäbe es nur das zentrale Hotel am Kreisverkehr, doch dann fiel ihr ein, dass da noch dieser Laden sei, der im zweiten Stock ein paar Zimmer vermiete. Es stellte sich heraus, dass wir beide Male richtig gewesen waren. Der Krämerladen war der Vordereingang. Und gleich hinter unserem Auto führte eine unscheinbare Tür von hinten in den zweiten Stock des Ladens bzw. Hostels. Hier lag auch unser Zimmer. Vom Auto zu unseren Betten waren es in der Luftlinie circa zwei Meter 50.

Kloster Sanahin im Vordergrund.

Kloster, Höhle, Brücke und etliche skurrile Ansichten

Wir wollten zunächst zum Kloster und dann hinunter an den Fluss. Sanahin war nur einen Kilometer entfernt. Die Anlage stammt aus dem zehnten Jahrhundert und befindet sich auf einem Bergplateau mit fantastischen Blicken über die Debed-Schlucht. Auf einem anderen Bergplateau ließ sich in vier Kilometern Entfernung das Haghpat-Kloster erkennen, welches wir ein halbes Jahr zuvor besichtigt hatten und mit dem zusammen Sanahin im Jahre 1996 ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wurde. Sanahin ist die am besten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage Armeniens und atmet spürbar den Geist der vergangenen Jahrhunderte. Abgesehen von den beiden Hauptkirchen lohnen die Chatschkare einen genaueren Blick. Diese typisch armenischen Grabtafeln sind überall auf dem Gelände zu finden. Hinter dem Kloster erstreckt sich auf mehreren Ebenen ein ausgreifender Friedhof, der an sich schon interessant genug ist, darüber hinaus wunderbare Sichten auf das Tal und die Berge bietet. Die Plateaus stechen besonders hervor. Hoch oben, platteben und von einem stechenden weidegrün. In der anderen Richtung der Debed und darüber die würfelförmigen Plattenbauten von Neu-Alawerdi. Ganz in der Nähe von Sanahin ist ein Museum den Brüdern Mikojan gewidmet, die beide hier geboren wurden. Der eine einer der wichtigsten Mitstreiter Stalins und der andere ein berühmter Flugzeugkonstrukteur.

Auf dem Weg ins Tal stoppten wir auf drei Vierteln der Höhe an einem kleinen Restaurant, hinter dem sich eine Felshöhle erstreckte, die von den Betreibern mit großer Liebe zum Detail zu einem kleinen Museum umgestaltet wurde. Hier hatten vor gar nicht allzu langer Zeit noch Menschen gesiedelt, deren Alltag mittels Wachsfiguren und authentischem Mobiliar nachgestellt wurde. Zudem bot sich eine hervorragende Sicht ins Tal. Das Menü gefiel uns auch und so wollten wir auf dem Weg zurück nach Neu-Alawerdi noch einmal hier stoppen und zu Abend essen.

Das Tal des Debed.

Unten interessierte vor allem die Sanahin-Brücke, eine Bogenkonstruktion aus dem zwölften Jahrhundert, die den Debed überspannte und gut erhalten war. Auch sie hatte Eingang ins UNESCO-Welterbe gefunden, doch ich muss gestehen, dass ich mich vor allem für die Aussicht begeisterte. Direkt gegenüber thronte das riesige und vollkommen verfallene Kupferbergwerk. Dahinter die Berge mit ihren markanten Zacken. Unter uns tobte der Debed und über uns hing eine ausrangierte Seilbahnkabine. Eine Szenerie, für die ich am besten Fotos sprechen lasse. Unfassbar gerne wären wir von Neu-Alawerdi runter ins Tal mit der Seilbahn gefahren, aber leider war diese stillgelegt. Wiewohl das Debed-Tal ohnehin ein erhebliches touristisches Potential besitzt, um das sich allerdings niemand so richtig zu kümmern schien. Uns gefiel dieses Verlotterte und Sowjetische, aber wir ließen auch kaum Geld in der Stadt.

Ein russischer Exilant

Nach dem Abendessen brachten wir Soana ins Bett und tranken im Gemeinschaftsraum des Hostels noch ein Glas Wein. Bald gesellte sich der einzige andere Gast zu uns und es wurde ein etwas längerer Abend. Adam war einer dieser Russen, die ihre Heimat nach Beginn des Krieges in Richtung Kaukasus verlassen hatten. Er wollte nicht nach Jerewan zu all den anderen Leidensgenossen, sondern fühlte sich hier oben in den Bergen ganz wohl. Mit seiner russischen ID-Card konnte er nur innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion reisen, also Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Russland und Armenien. Klar, dass er sich für Armenien entschied. Hier wollte er darauf warten, dass ihm sein internationaler Reisepass zugeschickt wird, den er vor einigen Wochen in Sankt Petersburg beantragt hatte. Und dann zur britischen Botschaft in Jerewan, um ein Visum für das Vereinigte Königreich zu beantragen. Einstweilen war er hier sicher und würde bei einer möglichen Generalmobilmachung einer Einberufung in die russische Armee entgehen. Schließlich war er erst 28 und wollte keinesfalls für Putin in den Krieg ziehen. Was er uns über die russische Zivilgesellschaft, den Einfluss der Staatsfernsehens und die Putin-treuen Eliten erzählte, machte wenig Hoffnung. Es wird wohl so bald keine Revolution geben. Er selbst hätte sich in der Vergangenheit auch an Protesten beteiligt, doch aktuell sehe er keinen Sinn darin, sich mit einem Blatt Papier und ein zwei Mitstreitern auf die Straße zu stellen und alles zu riskieren. Wir konnten das aus einer reinen Kosten-Nutzen-Kalkulation gut nachvollziehen. Wirkung tendiert gegen null. Risiko existenziell. Laut Adam würden viele Russen so denken, sei die russische Opposition vollkommen konsterniert.

Neu-Alawerdi vom gegenüberliegenden Bergplateau aus gesehen.

Kirchen, Berge, Schnee

Adam schlief noch, als wir uns am nächsten Morgen auf den Weg in Richtung Giumri machten, der zweitgrößten armenischen Stadt. Ich hatte unsere Gastgeberin gefragt, welche Sehenswürdigkeiten sie uns auf dem Weg empfehlen könnte und sie nannte die Kathedrale von Odzun und das verfallene Kloster von Kobayr. Zunächst jedoch wollten wir auf die andere Seite des Debed und dann hinauf auf das gegenüberliegende Bergplateau. Gestern hatten wir gesehen, wie zwei Autos dort bis fast an die Kante gefahren sind. Die Sicht musste noch besser sein als vom Kloster Sanahin. Dem war auch so und zudem waren wir an diesem Kreuz am Ende dieser Schafsweide vollkommen unter uns.

Die Kathedrale von Odzun liegt topografisch an einem ganz ähnlichen Ort, einem Bergplateau hoch über der Schlucht. Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen in Armenien war sie in einem guten Zustand und stellte mit der wilden Bergwelt im Hintergrund ein hervorragendes Fotomotiv dar.

Das Kobayr-Kloster erforderte einen kleinen Aufstieg, was vor allem Soana gefiel, weil sie die ewige Fahrerei auf dem Kindersitz langsam satthatte. Erst über die Eisenbahnschienen und dann an ärmlichen Hütten vorbei immer weiter den Hang hinauf. Das Kloster selbst wird nicht mehr betrieben und nur noch notdürftig instandgehalten, doch es boten sich wieder einmal hervorragende Aussichten. Zurück nahmen meine Mädels einen anderen Weg, der etwas länger war, aber nicht so steil. Am Ausgang erwartete ich sie mit dem Auto.

Nach wenigen Minuten Fahrt war mit Vanadzor die drittgrößte Stadt Armeniens erreicht, wo sich die Landschaft öffnete und wir in Richtung Westen abbogen. Es ging stetig weiter hinauf, die Bäume wurden weniger und bald tauchten an der Straße die ersten Schneefelder auf. Wir nahmen uns ein wenig Zeit für diese ungeahnten Winterfreunden und veranstalteten eine ausgiebige Schneeballschlacht. Zu unserer Linken war nun ständig der mächtige Aragaz zu sehen, ein 4.090 Meter hoher Vulkan, der sich ziemlich genau in der Mitte zwischen Jerewan und Giumri erhebt. Der höchste Gipfel auf armenischem Territorium, aber nicht der höchste armenische Berg. Als letzterer gilt ohne jeden Zweifel der heilige Ararat, der nunmehr allerdings zur Türkei gehört.

Es war Ostersonntag und kurz vor Giumri wurde uns dies erstmals ins Bewusstsein gerufen. Mitten im Nichts war mit Blick auf den Aragaz ein Friedhof angelegt, auf dem an die tausend armenische Familien offenkundig ihre Vorfahren ehrten, ein bemerkenswerter Kontrast zur ansonsten menschenleeren Straße.

Kathedrale von Odzun.

Ostersonntag in Giumri

In Giumri ereilten uns die üblichen Probleme bei der Suche nach der Unterkunft. Der Ort, den uns Google.maps zeigte, war es dieses Mal wirklich nicht. Das hatten wir uns von verschiedenen Seiten rückbestätigen lassen. Den Namen unseres Gasthauses kannte auch niemand, doch das war nicht so schlimm, weil wir immerhin einen Parkplatz im Stadtzentrum gefunden hatten und es noch früh am Tage war. Wir wollten erstmal gucken, von wo diese armenischen Klänge kamen, die wir die ganze Zeit hörten. Nach lediglich zwei Minuten gelangten wir zum zentralen Platz, wo sich vor einer Bühne eine riesige Menschenmenge versammelte. Überall waren Buden aufgebaut, an denen man kostenlos Lavasch-Brot, bunte, hartgekochte Eier und irgendein Kraut in die Hand gedrückt bekam. Lebensgroße Figuren aus russischen Zeichentrickfilmen spazierten durch die Gegend, grüßten jedes Kind, armenische Flaggen flatterten im lauen Wind, die traditionelle armenische Laute erklang, die Menschen fassten sich an den Händen, tanzten, die Sonne schien. Es war herrlich. Von Giumri hatten wir keine Vorstellung. Es lag halt auf dem Weg, war die zweitgrößte armenische Stadt und in Jerewan waren wir schon gewesen, doch allein für diesen Augenblick hatte sich der Ausflug gelohnt. Soana durfte zusammen mit den versammelten armenischen Kindern am traditionellen Eierklopf-Wettbewerb teilnehmen. Funktioniert wie folgt. Der eine hält ein Ei in der Faust und der andere klopft mit seinem Ei drauf. Dann werden die Eier gedreht und der andere ist mit dem Klopfen dran. Wessen Ei auf beiden Seiten heil geblieben ist, hat gewonnen. Das ganze im KO-Modus und irgendwann gibt es einen Gesamtsieger.

Ostersonntag in Giumri.

Anschließend streiften wir noch etwas durch die Stadt, wobei wir allmählich den Eindruck gewannen, dass es nicht viel besser werden würde. Das Zentrum ist ganz nett, doch man merkte, dass Armenien erstens ziemlich arm ist und dass zweitens das verheerende Erdbeben von 1988 die historische Bausubstanz nahezu vollständig vernichtet hatte. Das Epizentrum befand sich im nahen Spitak und in Giumri, dem damaligen Leninakan, waren die meisten Opfer zu beklagen. Insgesamt starben 25.000 Menschen.

Tanzen und Politik

Ein älterer Herr wusste dann doch etwas mit unserer Adresse anzufangen. Wir baten ihn kurzerhand zu uns ins Auto, damit er uns durch das Gewirr der Einbahnstraßen zu unserer Unterkunft leiten konnte. Wieder kein Schild, doch nach einem kurzen Telefonat kam unser Gastgeber herbei und bestätigte uns, dass wir richtig waren. Ein hübsches Apartment mit einem noch hübscheren Garten. Wir wohnten im Vorderhaus, die Gastgeberfamilie hinter dem kleinen Garten. Sie gaben uns den Tipp, im Ani-Restaurant zu Abend zu essen, weil das Essen dort lecker sei und heute am Ostersonntag eine armenische Live-Band aufspielen würde. Das taten wir auch. Wir hatten etwas Glück, noch einen Tisch zu erwischen, denn zwei Drittel des Lokals waren von einer Feiergesellschaft belegt. Es dauerte nicht lange, bis getanzt wurde und noch etwas später wurden auch wir aufgefordert. Ein fantastischer Abend.

In den Raucherpausen vor dem Restaurant kam ich ins Gespräch mit einigen Armeniern und sie erzählten mir von der misslichen Lage ihres kleinen Landes. Das real existierende Russland unter Präsident Putin mochte auch hier niemand. Doch was soll man tun, wenn man keine anderen Freunde hat und von Westen aus der Türkei und von Osten aus Aserbaidschan massiv bedroht wird? Mit Blick auf den verlorenen Berg-Karabach-Krieg von vor anderthalb Jahren formulierte es einer wie folgt. „Sie treiben uns mit den Türken zusammen dem Abgrund entgegen, reichen uns dann in letzter Sekunde die Hand und spielen sich als Retter auf. Sie können das machen, weil wir sonst niemanden haben. Aber Loyalität oder gar Liebe können sie dafür nicht erwarten.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Vor dem Ani-Restaurant.

Im Schatten der russischen Armee

Der Ostermontag begann mit der Eiersuche im Garten. Der perfekte Ort für diesen Zweck. Wir hatten uns im Lädchen nebenan noch am Abend zuvor mit allerlei Süßkram eingedeckt. Das half uns, Soana zu einem halbtägigen Ausflug zu überreden, denn Giumri bot erkennbar nicht genug Stoff für zwei Tage am Stück. Zunächst fuhren wir hinauf zur Schwarzen Festung, in der heute ein Konzertsaal eingerichtet ist. Direkt daneben erstreckt sich das übliche Kriegerdenkmal, welches so oder so ähnlich in fast jeder größeren Stadt der ehemaligen Sowjetunion zu finden ist. Mutter Armenien thronte über der Stadt. Architektonisch nichts Neues, doch es bot sich ein schöner Blick über Giumri. Danach wollten wir an einem See 15 Kilometer südlich der Stadt die türkische Grenze besichtigen. Aus politischem Interesse für den jahrhundealten Konflikt zwischen Türken und Armeniern, der Anfang des 20. Jahrhunderts in einem der schlimmsten Völkermorde der Menschheitsgeschichte gipfelte. Offenbar war das aber keine so gute Idee, denn wir wurden verfolgt. Nachdem wir ausgestiegen waren und ich ein paar Fotos gemacht hatte, hielt ein weißer Subaru neben mir. Der Fahrer war in zivil gekleidet, fragte mich aber dennoch recht neugierig aus. Freundlich, aber bestimmt. Ich sagte ihm, dass wir nur Touristen seien, uns nicht von der Straße entfernt hätten und dass nirgendwo irgendwelche Verbotsschilder zu sehen seien. Er hielt es dennoch für nötig, die Polizei herbeizurufen. Auf russisch wohlgemerkt. Wer kam, war nicht die Polizei und auch keine Armenier, sondern ein russischer Militärjeep, an dessen Vorderfenster die Flagge der russischen Armee baumelte. Soldat Alexej wollte erst einmal eine Zigarette von mir haben und ich schilderte ihm, was ich schon dem anderen Typen gesagt hatte. Das reichte offenbar aus, doch sie wollten noch unsere Pässe abfotografieren, was wir zuließen, weil uns die Situation zunehmend unangenehm wurde. Im Nachhinein hätte ich aber doch gerne gefragt, mit welcher Berechtigung das alles geschieht und wieso es niemand für nötig hält, sich uns gegenüber auszuweisen und zu erklären, wer hier vertreten wird. Immerhin durfte ich die Fotos behalten.

Nach diesem Schreck fuhren wir zum Haritschawank-Kloster, einer hübschen Anlage oberhalb eines kleinen Canyons. Auch hier wieder ein paar Schneefelder, auf denen sich Soana vergnügte. Über Spitak ging es zurück nach Giumri. Ein hübscher Kreis, von dem sich wunderbare Aussichten auf die kahle Bergwelt und den mächtigen Aragaz-Vulkan im Hintergrund boten.

Aragaz-Vulkan im Hintergrund.

Zurück im Apartment, empfahl uns unser Gastgeber das Fischrestaurant Cherkezi Dzor. Dies sei die erste Adresse der ganzen Stadt, was sich wiederum mit der Aussage von Solongos armenischer Kollegin Roza deckte. Nach einer kurzen Autofahrt waren wir da. Unten im Tal eines kleinen Flüsschens erstreckte sich eine liebevoll eingerichtete Anlage mit etlichen Zuchtteichen. Der Fisch konnte hier also kaum frischer sein. Ein kleines Brauhaus gab es auch. Roza sagte, dass wir Stör ordern sollten, was wir auch taten. Gut, dass der Kellner uns wissen ließ, dass dies ein recht großer Fisch sei und wir vielleicht nur einen halben bestellen sollten. Es war zwar lecker, aber immer noch zu viel. Über uns thronte eine Garnison der russischen Armee, was wir bei dem herrlichen Frühlingswetter erfolgreich ausblenden konnten. Hilft ja nichts.

Den letzten Rundgang durch Giumri hätten wir uns sparen können, doch immerhin fanden wir einen kleinen Laden, in dem wir ein Fläschchen des berühmten armenischen Cognacs als Geschenk für meinen Vater erstehen konnten. Die Stadt ist wahrlich keine Schönheit, doch sie hatte uns eine ganz besondere Zeit und wunderbare Erfahrungen beschert.

In der Nähe von Spitak.

Noch ein paar Tipps zum Schluss

Armenien ist ein schönes, spannendes und auch recht sicheres Reiseland, man sollte jedoch beachten, dass die touristische Infrastruktur hier nicht annähernd so gut ausgebaut ist, wie im benachbarten Georgien. Betrifft Unterkünfte, öffentlichen Verkehr, Restaurants, Wechselstuben etc. Das wird den einen oder die andere zusätzlich reizen, doch es sollte einem bewusst sein. So lässt sich das Tal des Debed ohne eigenes Auto eher schlecht als recht erschließen, weil die Marschrutkas nur sehr selten und unregelmäßig verkehren. Zudem erscheint es sinnvoll, die Unterkünfte bereits im Voraus zu recherchieren oder gar zu buchen. Ohne Russischkenntnisse wird es schwierig, denn Englisch wird nur von Wenigen gesprochen, Russisch hingegen von fast jedem.

Alawerdi möchte ich dringend empfehlen, für Giumri reicht ein Zwischenstopp oder maximal eine Übernachtung. Der Aragaz wird üblicherweise von Jerewan aus angesteuert, weil von dort eine befestigte Straße bis zum Kari-See direkt unterhalb des Massivs führt. Verschiedene lokale Agenturen und auch deutsche Reiseveranstalter bieten Trekking-Touren zu den vier Hauptgipfeln an.

Die armenische Polizei arbeitet mitunter nicht ganz so korrekt wie die Kollegen in Georgien, doch sie lauert den Touristen auch nicht am Straßenrand auf. Sicherheitsrelevante Einrichtungen dürfen nicht fotografiert werden. Die russische Armee betreibt in Giumri einen ihrer größten Stützpunkte im Ausland. Man braucht sich also nicht zu wundern, wenn man dort auf russisches Militärpersonal trifft.

Der Konflikt mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach schwelt stetig weiter. Aktuell herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, ein echter Friede liegt in weiter Ferne. Russlands Krieg in der Ukraine birgt zusätzliche Gefahr, weil die Russen bislang die Waffenruhe überwacht, nun aber einen Großteil ihres Personals in Richtung Ukraine abgezogen haben. Vor diesem Hintergrund mag man von Reisen nach Berg-Karabach aktuell bitte dringend absehen. Wer es dennoch wagt, sollte es tunlichst vermeiden, den Passstempel der selbst ausgerufenen armenischen Republik Arzach einem aserbaidschanischen oder türkischen Grenzer zu zeigen. Kern-Armenien ist aber sicher und war auch vom Berg-Karabach-Konflikt bislang nur peripher betroffen.

Deutsche Staatsbürger benötigen für die Einreise kein Visum. Mit dem eigenen Auto ist es auch kein Problem. Wer einen Mietwagen überführen will, braucht notwendigerweise eine notarielle Beglaubigung für den Zoll, die von einigen georgischen Anbietern erstellt wird. Kostenpunkt 60 bis 80 Euro. Armenien ist Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion, grenzt an diese aber nicht an. Also zolltechnisch eine Insel. Auf dem Landweg wird man üblicherweise von Georgien kommen. Die Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan sind abgeriegelt. Im Süden gibt es einen Übergang in den Iran. Die meisten Reisenden werden jedoch über den Flughafen Zwartnots in der Nähe von Jerewan einreisen.

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