Burjatische Badefreuden zwischen Sintflut und Feuersbrunst
Meine Frau Solongo, unsere kleine Soana und meine Mama hatten mich in Berlin allein gelassen, um zusammen mit der mongolischen Familie den Baikal zu erkunden. Nach einem Tag in Ulaanbaatar waren sie gemeinsam in den Zug gestiegen und erreichten nach einer kurzen Nacht die burjatische Hauptstadt Ulan-Ude. Ich hatte aus ferner Distanz die Reise vorbereitet. Züge, Unterkünfte, Autos und ein paar Vorschläge für Ausflüge vor Ort. Und weil gleich so viele liebe Frauen auf einmal unterwegs waren, blieb ich am Ball und wollte genau wissen, wie alles läuft. Seit ein, zwei Tagen wuchs jedoch die Sorge. Im Wetterbericht war ein monströses Regenband zu sehen, welches sich von Irkutsk über den gesamten Süden Burjatiens bis nach Kyakhta ausdehnte. Schon im Frühjahr hatte es in der Region riesige Überschwemmungen durch Starkregenfälle gegeben. Als Auslöser vermuten Meteorologen die extremen Waldbrände der vergangenen Jahre. Die Asche würde vom Wind gen Süden getrieben, wo sie kurz vor den Höhenlagen der südsibirischen Gebirge extreme Regenfälle auslöste. Und das, was hier für die Siedlung Vydrino am Südbaikal vorhergesagt wurde, war kein normaler Regen, das war eine Katastrophe. Tatsächlich konnte ich in den folgenden Tagen in den russischen Medien einige dramatische Bilder von heftigen Überschwemmungen recherchieren.
Ganz anders im Norden Burjatiens und vor allem in der Region Transbaikalien, die – trotz des Namens – etwa tausend Kilometer vom See entfernt liegt. Dort tobten auch in diesem Jahr extreme Waldbrände, die meine Mädels – zurück in Ulaanbaatar – zumindest noch „erriechen“ durften. Nicht schlimm, aber selbst in der Mongolei noch merkbar.
Es musste etwas getan werden.
Abendessen hoch über dem Uda-Fluss.
Nachdem alle eine wunderbar kuschelige Fahrt im Nachtzug erlebt und auch die Grenzprozeduren gut überstanden hatten, konnte ich sie im Hotel in Ulan-Ude erreichen. Zuvor war offenbar problemlos die Anmietung der beiden Autos erfolgt und sie hatten auch schon den Ausflug ins 30 Kilometer von Ulan-Ude entfernt gelegene buddhistische Kloster von Iwolginsk unternommen.
Bei unserer Konferenz zwischen dem Khuturok-Hotel in Ulan-Ude und unserer Berlin-Schöneberger Wohnung bot sich nach einem Blick auf die Wetterkarte und angesichts der beschränkten Infrastruktur eigentlich nur der mittlere Baikal auf der burjatischen Ostseite als Lösung an. Ich konnte die Reisegesellschaft recht schnell von dieser Planänderung überzeugen und buchte in der Siedlung Maksimikha eine Unterkunft für drei Tage. Von dort ließe sich die Heilige Nase (Svyatoi Nos) und zumindest ein Teil des wunderschönen Barguzin-Tals erschließen. Und natürlich gabs da noch die 130 Kilometer lange, gut ausgebaute Straße immer entlang des Baikal.
Die zwei Nächte in Vydrino konnte ich unter Hinweis auf die besonderen Umstände erfolgreich stornieren. Schließlich lag die Unterkunft direkt an der Mündung des Flüsschen Snezhnaja und wurde im Zuge der sintflutartigen Regenfälle komplett überflutet.
Unter normalen Bedingungen wäre es aber sicher ganz gemütlich geworden, weshalb ich kurz schildern will, was die Reisegesellschaft verpasst hatte.
Zwei Jahre zuvor hatte ich mit Jan und Dirk noch die falsche Entscheidung getroffen, doch Vydrino war immerhin 40 Kilometer von der berüchtigten Zellstofffabrik in Baikalsk entfernt. Der Ort hat knapp 5.000 Einwohner und liegt direkt an der Grenze zwischen der Oblast Irkutsk und der autonomen Republik Burjatien – aber noch auf burjatischer Seite. Im Gegensatz zu den meisten anderen Siedlungen des südlichen Baikal führen die Trassen der Interkontinentalen und der Transsibirischen Eisenbahn weit genug vorbei, um einen entspannten Urlaub am Baikalufer zu ermöglichen. Vom Bahnhof bis zum See sind es knapp vier Kilometer. Auf beiden Seiten der Snezhnaya-Mündung finden sich weitgehend unberührte Sandstrände, die mit dem Auto komplikationslos angefahren werden können. Das Wasser ist nicht so klar wie am mittleren Baikal, doch es kann bedenkenlos gebadet werden. Die Infrastruktur aus Läden, Tankstellen, Cafés, Gasthäusern und kleineren Imbissrestaurants ist auskömmlich.
Einige Kilometer flussaufwärts erschließt sich an der Snezhnaya eine weitere Attraktion. Kurz hinter einer Stele, die an der Interkontinentalen die Besucher der Republik Burjatien willkommen heißt bzw. verabschiedet, zweigt am westlichen Flussufer eine Trasse Richtung Süden ab. Nach sechs Kilometern erreicht man einige kleinere Seen, die sich bei Überflutungen der Snezhnaya gebildet hatten und vergleichsweise warm sind. Der Weg führt noch einige Kilometer weiter bis an den Fuß des Khamar Daban-Gebirges, wo ausgedehnte Hiking-Touren möglich sind.
Die dritte Nacht sollten die Frauen und Mädels in der Siedlung Kultushnaya direkt unterhalb des Selenge-Deltas verbringen. Diese liegt etwa 130 Kilometer östlich von Vydrino unmittelbar dort, wo sowohl die Transsibirische Eisenbahn als auch die Interkontinentale das Südufer des Baikal verlassen. Ulan-Ude ist in östlicher Richtung nur noch 150 Kilometer entfernt.
Kultushnaya befindet sich am Südufer des kleinen Posolskojer Haffes, welches Baikal-seitig von zwei langgestreckten Nehrungen eingeschlossen wird. Die Siedlung wurde zu sowjetischen Zeiten extra für den Fremdenverkehr errichtet, denn im Posolskojer Haff sind die Wassertemperaturen deutlich höher als im offenen Baikal. Mit Booten besteht die Möglichkeit, auf die nahegelegene Nehrung überzusetzen, um dort die langgestreckten Dünen sowie den offenen Baikal zu genießen.
Auf zum Baikal
Am Morgen ging es los zum Baikal. Die beiden Autos, die Sweta am Tag zuvor zum Hauptbahnhof von Ulan-Ude gebracht hatte, waren neueren Baujahres als unser Renault Logan ein Jahr zuvor. Schon am Abend hatten sie auf dem Rynok (Markt) allerlei Besorgungen gemacht. Sie sorgten sich ein wenig, ob sie den richtigen Weg aus Ulan-Ude finden würden, doch mit der Adresse des Hotels und Google.maps auf dem Handy würde das schon gehen. Allerdings musste die Navigation noch im Hotel heruntergeladen werden, weil es danach kein Internet gab.
Ich hatte die Siedlung Maksimikha ausgesucht, weil sie nicht so weit von der pittoresken Svyatoi Nos-Halbinsel entfernt liegt. Von Ulan-Ude waren es 230 Kilometer, die sie in knapp vier Stunden bewältigten. Die Fahrt sei äußerst lustig gewesen und ohne Zwischenfälle verlaufen. Nur vor Ort hätten sie etwas gebraucht, um die Ferienanlage zu finden. Es war ein ziemlich großes, quaderförmiges Blockhaus, in dem ich zwei Dreibettzimmer jeweils mit Dusche reserviert hatte. Draußen gab es eine gemütliche Terrasse und im umzäunten Garten einen kleinen Spielplatz. Es war zwar nicht das Berliner Adlon, aber zumindest sauber und dazu urgemütlich. Geführt wurde das Haus von einer Burjatin namens Irina, mit der ich zuvor schon Nachrichten auf Whatts.app getauscht hatte und die sich rührend um alle kleineren und größeren Bedürfnisse kümmerte. Bei ihr konnte man auch etwas zum Abendessen bestellen, sodass die Reisegesellschaft sich nicht auf die Suche nach einem Restaurant begeben musste. Das Wetter war sonnig und meine Mama sprang schon am ersten Abend in den See.
Ein erster Eindruck vom Baikal.
Am kommenden Tag hatte ich im Tal des Barguzin eine heiße Quelle aufgetan. Zunächst 30 Kilometer weiter Richtung Nordosten, um kurz vor dem Ortseingang von Ust-Barguzin eine Schotterpiste in die Berge zu nehmen. Von dort 20 Kilometer in Richtung der kleinen Siedlung Gusikha, um kurz davor rechts die Piste zur gleichnamigen heißen Quelle zu nehmen, die man nach etwa fünf Kilometern erreicht. Der Weg muss beschwerlich gewesen sein, denn mir wurden am Abend etliche Videos von abenteuerlichen Flussüberquerungen geschickt. Für mich sahen die aus Brettern zusammengezimmerten Brücken eigentlich recht stabil aus, doch die Reisegesellschaft wurde nicht müde, die vielen Gefahren zu betonen, die sie mutig überwunden hatte.
Heiße Quelle in Guskiha.
Die burjatische Familie, die die heiße Quelle betrieb, habe wohl erkennen lassen, dass sie eine solche Konstellation noch nie begrüßt hätten. Mongolen schon einige, aber nie mit einer Dame aus Deutschland im Gepäck und rein weiblich schon gar nicht. Und auch die Reisegesellschaft war begeistert. Die Strapazen und Gefahren hatten sich gelohnt. Vor allem Soanas Omas genossen das Wellness-Erlebnis inmitten der sibirischen Taiga. Einzig meine Nichte Nomin konnte sich mit dem heißen Wasser nicht so recht anfreunden, doch immerhin wurden im Anschluss Kaffee und Kuchen gereicht. Auf dem Rückweg fuhren die Frauen und Mädels gleich durch zum herrlichen Strand von Ust-Barguzin. Weites Dünenland mit einzelnen Nadelgewächsen zwischendrin. Und ein Uferbereich, der aufgrund des vom Barguzin-Fluss angeschleppten Schwemmlandes sehr flach ist. Eines der beiden Autos hatte sich im Dünensand festgefahren, doch der Reisegruppe wurde bald von netten Burjaten geholfen. Nach Maksimikha waren es nur noch 30 Kilometer auf guter Straße.
Während am Südbaikal das Wetter tobte, war hier – knapp 400 Kilometer nordöstlich – eitel Sonnenschein. Wir hatten die richtige Entscheidung getroffen und das wurde ordentlich gefeiert. Auf der Terrasse floss der Wein in Strömen. Meine Mama hatte vorgesorgt und schon im Voraus ein dickes Paket pfälzischen Rieslings per Schiene in die Mongolei geschickt.
Am nächsten Tag ging es wieder nach Ust-Barguzin. Dieses Mal aber nicht vor dem Dorf nach rechts abbiegen, sondern hinter der Barguzin-Brücke nach links in den Nationalpark Svyatoi Nos.
Ich hatte mich ein Jahr zuvor etwas geärgert, dass wir zu wenig Zeit für die Schönheiten der Halbinsel hatten und wunderte mich ein wenig, dass die Reisegesellschaft erst um 15 Uhr Ortszeit am Nationalparkeingang angekommen war. Sie könnten es nun vergessen, bis zur eigentlichen Nase vorzustoßen und die wunderschöne Chivyrkuisky-Bucht auf der anderen Seite der Halbinsel zu erleben. Das war aber nicht so schlimm, denn offensichtlich wurden hier andere Prioritäten gesetzt. Die „Nase“ sahen sie immerhin von Ferne und durchlebten ansonsten einen wunderschön sonnigen Nachmittag am Strand vor prächtiger Kulisse.
Abendstimmung auf der Svyatoi Nos.
Zurück in Maksimikha würde der letzte Abend am großen Baikal anbrechen – auf der Terrasse der Ferienunterkunft noch einmal mit viel Wein und in ausgelassener Stimmung. Meine Mama sprach später von ganz besonderen Stunden. Die mongolische Familie hatte sie längst in ihr Herz geschlossen. Die Verständigung schien kein unüberwindbares Hindernis gewesen zu sein. Schließlich sprach meine Schwägerin Uyanga etwas deutsch und ansonsten versuchten sich die beiden Omas in ihrem Schulrussisch. Für die ganz schwierigen Fälle war ja noch Solongo da. Sie lebt seit dem Jahr 1998 in Berlin, hat hier ein Masterstudium absolviert und spricht perfekt deutsch.
An der heißen Quelle in Goryachinsk.
Auf dem Weg zurück in die burjatische Hauptstadt Ulan-Ude machte die Reisegesellschaft noch einmal in Goryachinsk Station, wo wir ein Jahr zuvor eine großartige Zeit verlebt hatten. Soana stürzte sich geradezu begeistert auf den unfassbar süßen Labrador mit dem unmöglichen Namen Sack. Danach besuchten sie noch einmal die heiße Quelle und bei einem Bad am wunderschönen Strand von Goryachinsk hieß es Abschied nehmen vom großen Baikal.
Drei Stunden später erreichten sie Ulan-Ude und gerieten dort in die letzten Ausläufer des Unwetters. Die Aussicht vom Rinpoche-Tempel hoch über der Stadt war demnach etwas verschleiert, gelohnt hatte sich die gesamte Anlage aber allemal. Im Khuturok-Hotel wartete schon Sweta, um die beiden Autos wieder entgegenzunehmen. Nach einer weiteren Nacht in Ulan-Ude würde es am kommenden Tag zurück nach Ulaanbaatar gehen.
Als ich vor einem Jahr meinen letzten einsamen Abend in Ulan-Ude verbrachte, wollte ich endlich mal das große, bunt leuchtende und bis tief in die Nacht lärmende Terrassenlokal auf der gegenüberliegenden Straßenseite ausprobieren. Ich war zufrieden. Der Service war gut, die Preise angemessen, die Speisekarte vielfältig, das Essen lecker und man saß hoch über dem Fluss Uda, von dem die Stadt ihren Namen erhielt. Das war meine Empfehlung aus der Ferne und tatsächlich würden die Frauen und Mädels dort noch einmal denkwürdige Momente erleben. Eine Hochzeit wurde gefeiert und bis in die Nacht heftig getanzt. Auch die beiden Mädchen machten begeistert mit. Sie würden am kommenden Tag ausschlafen können, denn der Flieger nach Ulaanbaatar hob erst am späten Nachmittag ab.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Zum einen wird der Klimawandel langfristig vermutlich zu einer Versteppung weiter Teile der sibirischen Taiga führen. Die sich jedes Jahr immer heftiger austobenden Waldbrände sind hierfür ein schlagendes Indiz. Zum anderen ist es vor allem in der Oblast Irkutsk in den vergangenen Jahren zu Starkregenfällen mit teilweise heftigen Überschwemmungen gekommen. Anhaltende Dürren und extreme Niederschläge. Das Wetter (nicht nur) am Baikal wird immer extremer.
Insgesamt ist das Klima am See jedoch relativ mild. Zumindest im Vergleich zu den benachbarten Regionen. Schwere Fröste von unter minus 20 Grad sind auch im Hochwinter eher selten, denn die Wasserfläche wirkt sich mildernd auf die ansonsten ausgeprägte Kontinentalität aus. Und so gehören der späte Februar und der März zu den Hochreisezeiten. Der Baikal ist dann ein einziger Wintertraum, die Sonne wärmt bereits etwas, die Temperatur ist tagsüber schon im Plusbereich, die Eisdecke aber noch immer dick genug, um unbeschwert darauf herumfahren zu können. Ob nun mit Lkws, Autos, Schneemobilen, Hundeschlitten, Skiern, Schlittschuhen oder welchem Gerät auch immer.
Die Sommer bieten zumeist angenehme Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad, sind signifikant milder, als beispielsweise die burjatische Steppe. Wenn man Ostseetemperaturen gewohnt ist, scheint Baden kein Problem. Dies gilt insbesondere für die flachen Ufer im Mündungsbereich größerer Flüsse. Also für die Orte Vydrino, Turka, Ust-Barguzin oder auch für Nizhneangarsk ganz im Norden. Auch das sogenannte „Kleine Meer“ westlich der Insel Olkhon oder das Posolskojer Haff südlich der Selenge-Mündung sind vergleichsweise warm. Abseits davon wird man sich nicht allzu lange im Wasser aufhalten. Unbedingt vermeiden sollte man das Bad im See, wenn man am gleichen Tag eine heiße Quelle besucht hat. Die Temperaturunterschiede sind zu extrem und können den Kreislauf außer Gang setzen, was beim Schwimmen natürlich höchstgefährlich ist.