Georgien - eine neue Liebe. Die ersten Tage in Tiflis.
Die georgische Küche kannten wir bereits aus Breslau, Sankt Petersburg, Moskau und einigen anderen Orten des ehemaligen Ostblocks. Georgien gilt hier als Hort von Hochgenuss und Lebensfreude. Ganz ähnlich dem Stellenwert, den die italienische Lebensart bei vielen Westeuropäern einnimmt. Noch wichtiger als Essen und Wein war jedoch, dass aus voneinander unabhängigen Quellen die Schönheiten der Landschaft, die Freundlichkeit der Menschen und der Reichtum der georgischen Kultur gepriesen wurden. Von der ehemaligen Chefin der Berliner Stadtreinigung, mit der ich beruflich zu tun hatte, über meine entfernte Freundin Anke bis zur Abkhasin Viola, die im Berliner Westend ein kleines, aber feines Restaurant betrieb.
Gründe genug, sich dieses Land zwischen Bergen und Meer einmal selbst zu erschließen. Meine Frau Solongo, unsere seinerzeit vierjährige Tochter Soana und ich wollten mit Georgian Airways nach Tiflis fliegen, dort ein Auto mieten und zwei Wochen lang im Land umherfahren. Von Tiflis nach Kutaissi, weiter nach Swanetien in den Hohen Kaukasus, von dort in die Schwarzmeermetropole Batumi, dann durch den Kleinen Kaukasus zum Thermalbadeort Borjomi und wieder zurück in die georgische Hauptstadt. An den letzten Tagen war vielleicht noch Gelegenheit für einen Ausflug zum Kazbegi-Vulkan an der russischen Grenze.
Es wurde fantastisch. So viel sei vorweggenommen.
Auf geht’s.
Informell, aber ehrlich
Es begann am Flughafen in Tiflis. Tbilisicars war unser zuständiger Mietwagenanbieter. In ihrem kleinen Kabuff am Flughafen funktionierte das Kartenlesegerät nicht, weshalb wir einen großen Teil unserer Barschaft als Kaution hinterlassen mussten. Das Auto war aber in Ordnung. Allerdings war der Tank fast leer, weshalb wir Abhilfe schaffen mussten.
Die nötige Tankstelle fanden wir an der großen Ausfallstraße in die Region Kachetien. Hier tobte der Verkehr und ich merkte bald, dass Tiflis zu einer ganz besonderen fahrerischen Herausforderung werden würde. Die Georgier scherzen selbst über ihre unmögliche Fahrweise, sind darauf offenbar noch stolz. Ich war schon oft im Ausland mit dem Auto unterwegs – auch außerhalb der EU –, doch das hier toppte alles, selbst Ulaanbaatar. Während man in der mongolischen Hauptstadt fast nur im Stau steht, gab es hier bis zu achtspurige Schnellstraßen, auf denen gegen jede Regeln überholt, ausgebremst und weggedrängelt wird. Besonders beängstigend waren die Linksausfahrten und das ständige Gehupe machte es nicht besser. Die Schnellstraße verläuft rechts und links entlang der Kura. Insbesondere das östliche Ufer ragt steil auf, sodass in abenteuerlichen Kehrungen und unübersichtlichen Kreuzungen die Stadthöhe erreicht werden muss. Über die große Baratashvili-Brücke führte der Weg auf den riesigen Kreisverkehr am Freiheitsplatz und danach in ein unentwirrbares Dickicht an Einbahnstraßen.
Es war zwar äußerst stressig, doch wir gelangten trotz aller Aufregung sicher und weitgehend fehlerfrei an unsere Adresse, hatten intuitiv sogar den bestmöglichen legalen Parkplatz gefunden. Mal sehen, ob ich in den kommenden zwei Tagen ausreichend Mut schöpfen könnte, um mich wieder in dieses traumatisierende Gewimmel zu stürzen.
Im Tifliser Bäderviertel.
Irritierend war, dass unsere Straße an beiden Seiten unterschiedliche Namen trug und sich auch die Nummerierung kaum nachvollziehen ließ. Letztlich stellte sich heraus, dass wir im Keller des Lederwarengeschäfts übernachten würden, vor dem wir die ganze Zeit schon warteten. Das hört sich schlimmer an als es ist, denn das Apartment war geräumig und liebevoll eingerichtet, bot alles, was wir brauchten. Es gab allerdings weder eine Rechnung, noch irgendeine Bestätigung. Kartenzahlung ging auch nicht, weshalb wir den vereinbarten Betrag später einfach im Laden abgeben sollten. Schon bei der Anmietung des Mietwagens hatten wir uns über die Hemdsärmlichkeit der georgischen Kaufverträge gewundert. Als ich die Verkäuferin im Geschäft nach einer Quittung fragte, wurde sie regelrecht wütend, weil ich ihr wohl zugetraut hätte, den Umschlag einzubehalten und nicht an seinen Adressaten weiterzuleiten. Wir würden uns im weiteren Verlauf der Reise an dieses Geschäftsgebaren gewöhnen. Eher informell, auf Vertrauen basierend und zumeist in bar. Wir hatten das zunächst mit Schwarzgeschäften assoziiert, die es in diesem Modus ja auch in Deutschland gibt, doch später lernten wir, dass es um die Steuermoral in Georgien gar nicht so schlecht bestellt sei. Umso besser.
Die kaukasische Metropole
Wir hatten unser Reisebuch in Deutschland vergessen. Der letzte Toilettengang, nochmal kurz blättern und dann auf dem Fenstersims liegenlassen. Vermutlich ist das auch schon anderen passiert, doch für uns war es besonders ärgerlich, weil wir auf eigene Faust das ganze Land erkunden wollten und so gut wie nichts wussten.
Der erste Vormittag war also bestimmt von der Suche nach einem internationalen Buchladen. In der Nähe des zentral gelegenen Freiheitsplatzes wurden wir schon mal nicht fündig. Google zeigte uns einen weiteren Laden zwei Kilometer nördlich am Ende des Rustaweli-Prospektes. Dort gab’s zwar Kaffee, aber keine Reisebücher, zumindest nicht auf Russisch, Englisch oder Deutsch. Sie schickten uns weiter in die Nähe der staatlichen Universität außerhalb des Zentrums. Wir fuhren also mit der Marschrutka ins Studentenviertel und wurden wieder von einer freundlichen Passantin geholfen. In einem englischen Buchladen konnten wir immerhin zwei Landkarten und einen Bildband mit einigen Bemerkungen erstehen.
Die Marschrutka zurück ins Zentrum kam ewig nicht, weshalb uns eine mitwartende ältere Dame ein Taxi organisierte und dem Fahrer wiederholt einbläute, ja beim vereinbarten Preis zu bleiben. Wir merkten langsam, dass die Georgier ein ganz besonderes Gemüt besaßen. Eine sehr unaufdringliche, aber stets abrufbare Großzügigkeit. Ehrliche Hilfsbereitschaft ohne jede Berechnung. Etwas neugierig, aber keinesfalls penetrant, sondern freundlich-distanziert. Ansonsten überaus entspannt.
Das Taxi brachte uns zur Talstation einer Zahnradbahn, die auf den Mtatsminda-Berg hoch über der Stadt führte. Zahnrad- bzw. Seilbahn auf den Hausberg, oben ein Kinderpark mit herrlicher Aussicht – das sollte sich auf unserer Georgien-Reise noch mehrfach wiederholen. Mtatsminda war ausgestattet mit einer schier unendlichen Auswahl an Fahrgeschäften und Kinderspielen. Unsere kleine Soana freute sich vor allem über den blauen Schmetterling, der ihr ins Gesicht geschminkt wurde. Solongo und ich begeisterten uns für das atemberaubende Panorama der georgischen Hauptstadt.
Tiflis besticht durch seine Lage im Tal der Kura zwischen hohen Bergkämmen. Überall führen Seilbahnen, Treppen und beschauliche Wege nach oben. Jehste hoch, kannste runterkieken, wie man in Berlin sagt. Das funktioniert hier besonders gut. Die Stadt weiß aber nicht nur von oben zu überzeugen, sondern besticht auch ebenerdig mit einem angenehm unvollendeten Charme. Die Altbausubstanz stammt zumeist aus dem beginnenden 20. Jahrhundert und ist an vielen Stellen reichlich verfallen. Zwischendrin finden sich versteckte Kirchen, lauschige Plätze und schmale Gassen. Auf der anderen Seite der Kura liegt der Rike-Park mit seinen hervorragenden Beispielen der modernen Architektur. Hoch darüber erheben sich der Präsidentenpalast und die mächtige Sameba-Kathedrale.
Im Norden der Stadt erstrecken sich ausgedehnte Gründerzeitbauten und im Süden das muslimische geprägte Bäderviertel. Alles in allem eine äußerst gelungene Mischung aus Altem und Neuem, Pracht und Verfall, eingebettet in eine spektakuläre Landschaft.
Wir liefen vom Freiheitsplatz durch die Altstadt zur Sioni-Kathedrale und weiter über die moderne Friedensbrücke zum Rike-Park. Von dort führt eine Seilbahn auf den Nariqala-Berg mit der gleichnamigen mittelalterlichen Festung sowie der nicht weit davon entfernten „Mutter Georgien“- Statue über der Stadt. Der Abstieg brachte uns ins Bäderviertel mit seinen kleinen Gässchen und Moscheen. Im Tal des Legvhtakhevi-Flüsschens fanden wir einen kleinen Wasserfall, über dem sich der äußerst pittoresk gelegene Botanische Garten von Tiflis befand.
Der erste wunderbare Blick von vielen.
Am nächsten Tag wollten wir zunächst aus eigenen Kräften zur „Mutter Georgien“ hinaufsteigen. Auf halber Höhe lag die verträumte Betlemi-Kirche mit ihrem herrlichen Garten, in dem Soana Gänse füttern durfte. Mit der Seilbahn ging es runter auf die andere Seite der Kura in den Rike-Park, wo sich auf einem Felsen über dem Fluss die Metekhi-Kirche erhebt. Von dort zu Fuß über das Viertel Avlabari zur Sameba(Dreifaltigkeits)-Kathedrale, die seit ihrer Eröffnung im Jahre 2004 das größte Gotteshaus Georgiens ist. Dann in engen Gassen und schmalen Treppen an der deutschen Botschaft und dem Präsidentenpalast vorbei wieder hinunter und schließlich über die Baratashvili-Brücke zurück in die Altstadt zum Freiheitsplatz. Ein fantastischer Spaziergang.
Am Abend prassten wir im nahegelegenen Restaurant „Bernard“ bei georgischer Küche. Mit Ostri-Eintopf, den typischen Khinkali-Teigtaschen, Ojakhuri-Fleischpfanne sowie einer Flasche hervorragenden Mukuzani-Rotweins. Auch Soana hatte sich ordentlich satt gegessen, es war unfassbar lecker und die Rechnung lag irgendwann bei umgerechnet zwischen 25 und 30 Euro. So würde es ab jetzt jeden Tag sein.
Im Rike-Park. Das fischartige Gebäude steht übrigens leer. Links oberhalb ist der Präsidentenpalast zu erkennen.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Das Zentrum der georgischen Hauptstadt schmiegt sich an die Hügel dies- und jenseits der Kura. Es gibt eine Reihe kleinerer Viertel, die allesamt eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen und zum Verweilen einladen. Von Marjanischwili ganz im Norden bis Avlabari im Süden. Aussparen würde ich bei der Quartierssuche lediglich die Gegend rund um die Sioni-Kirche mit etwas zu vielen Touristenlokalen und Souvenirständen. Grundsätzlich lässt sich die Innenstadt sehr bequem zu Fuß erschließen. Lediglich zwischen dem Gründerzeitviertel Marianishwili und Avlabari in der Nähe der Metekhi-Kirche erscheint eine kurze Fahrt mit der Metro angemessen.