Ulaanbaatar at its best
Nach dem Auftakt in Moskau, dem fehlgeleiteten Flug nach Sibirien, ersten Impressionen vom Baikal, sowie der Wahnsinnstour in einer vollbesetzten Marschrutka durch die Nord- und Zentralmongolei waren Dirk, Jan und ich endlich in der mongolischen Hauptstadt angekommen. Die letzte Fahrt vom Terkhiin Tsagaan-See nach Ulaanbaatar hatte noch einmal fast 20 Stunden gedauert und endete erst im Morgengrauen. Nach fast 50 Fahrtstunden auf unkomfortablen Sitzen in nur vier Tagen waren wir allesamt komplett durch und verbrachten den Ankunftstag im Bett – die Jungs in der Wohnung meiner Schwiegermutter und unsere wiedervereinte Kleinfamilie in einem erstaunlich luxuriösen Apartment, welches uns Enkhbat, der Bruder unserer gemeinsamen besten Freundin Munkhtsetseg, überlassen hatte.
Als wir uns ausreichend wiederhergestellt hatten, waren wir am Abend auf der Datscha von Munkhtsetsegs Familie eingeladen. Im ausgedehnten Selbe-Tal, welches nördlich an die Innenstadt von Ulaanbaatar sowie den dahinter liegenden Jurtengürtel anschließt. Munkhtsetseg selbst hatte mittlerweile geheiratet und zwei Söhne geboren. Mit einem Promotionsstipendium des DAAD war sie wieder nach Berlin zurückgekehrt, verbrachte den Sommer aber bei der Familie in der Mongolei. Überschattet wurde ihr und auch unser Besuch von der Krebsdiagnose bei ihrem dreijährigen Neffen Tsolmon. Noch in Berlin konnte ich Munkhtsetseg ein wenig dabei helfen, eine Behandlung zu organisieren und zu finanzieren. Mittlerweile ist alles wieder gut, doch damals herrschte große Sorge und so geriet das für uns ausgerichtete Festmahl am Ende etwas melodramatisch.
Munkhtsetsegs Vater bereitete für uns Khorkhog zu – seitdem mein mongolisches Lieblingsgericht. Lammfleisch wird in gleich große Stücke geschnitten und am Knochen belassen. Parallel dazu werden zehn bis 20 etwa faustgroße Steine über offenem Feuer erhitzt, anschließend zusammen mit dem Fleisch in eine metallene Milchkanne gepackt und für etwa eine Stunde vergraben. Die Steine nehmen durch den Garprozess eine schwarze Farbe an und es soll sehr gesund sein, die noch immer heißen Steine vor dem Essen von Hand zu Hand fliegen zu lassen. Noch besser ist allerdings das Geschmackserlebnis. Das Lammfleisch ist butterweich und hat jedwede strenge Note verloren. Unbedingt sollte man auch vom Fleischsud kosten.
Das „Datschental“ im Norden von Ulaanbaatar.
Und so saßen wir in der Abendsonne bei Bier, Khorkhog und verschiedenen koreanischen Speisen, die zur Sicherheit auch noch gereicht wurden. Die Kommunikation wurde erheblich durch den Umstand erleichtert, dass nahezu jedes Mitglied von Munkhtsetsegs Familie irgendwann einmal eines oder mehrere Jahre in Deutschland verbracht hatte.
Es war eine unvergessliche Feier und ich merkte, dass ich in den vergangenen Jahren eine mongolische Identität aufgebaut hatte. Natürlich werde ich nie zum Mongolen werden. Das ist weder nötig, noch gewollt und angesichts ganz vieler Unterschiede im Denken und Handeln auch nicht möglich. Mindestens aber spürte ich an diesem Abend eine tiefe innere Verbundenheit zu diesem wilden und aufrichtigen Steppenvolk mit seiner reichen Kultur. Ganz im Gegensatz zu meinen früheren Erfahrungen in Japan wird man als Mensch/Freund/Partner akzeptiert und nicht auf die Rolle des Außenstehenden reduziert. Man kann hier heimisch werden.
Gefahren wurden wir von Munkhzul, der Schwester einer weiteren guten Freundin aus Berlin. Ihr nagelneuer Geländewagen japanischer Bauart war deutlich komfortabler als die Marschrutka zuvor. Ich hatte Munkhzul schon in Berlin kennengelernt, als sie ihrer Schwester für ein paar Monate bei der Pflege der neugeborenen Tochter half. Unsere gemeinsame Klammer war das Japanische, denn auch Munkhzul hatte mehrere Jahre in Tokyo verbracht. Es sollte sich herausstellen, dass sie uns über die gesamte Zeit in Ulaanbaatar und Umgebung herumfahren würde. Solongo und ich hatten ihrer Schwester in der einen oder anderen schwierigen Situation zur Seite gestanden. Das mag ein Grund gewesen sein. Darüber hinaus schien sie aber auch selbst Spaß an unserer Gesellschaft zu finden. Besonders Jan hatte es ihr angetan, was mich in die Rolle des Übersetzers vom Japanischen ins Deutsche brachte. Irgendwann ging es um gay rights in der Mongolei und anstatt zu antworten, schlug sie vor, uns selbst ein Bild zu machen.
Am kommenden Abend führte sie uns ins Hanzo, den Mittelpunkt des schwul-lesbischen Lebens in Ulaanbaatar. Zwar nicht allzu groß, kam die Kneipe doch ohne jede Camouflage und Sicherheitstechnik aus. Ein großer Unterschied zu Moskau. Zwei Tage später sollte der erste Gay Club Ulaanbaatars mit viel Tamtam seine Pforten öffnen, was wir allerdings verpassten, weil wir zu dieser Zeit schon im Zug nach Peking saßen.
Ich fand gut, dass die Geschlechter recht ausgewogen verteilt waren. Dass Schwule und Lesben zusammen feierten, kannte ich aus Berlin eher nicht, hat vermutlich aber auch etwas mit der überschaubaren Auswahl an Lokalitäten zu tun. So oder so, die Atmosphäre war entspannt, man konnte draußen sitzen, das Bier schmeckte und die Gespräche waren erkenntnisreich.
Die Frage nach der Stellung von Schwulen und Lesben in der Mongolei lässt sich mit dem folgenden Destillat beantworten. Es ist schon heute besser, als in den meisten anderen Ländern Zentralasiens und bewegt sich dynamisch in die richtige Richtung. Die Ehe für alle steht zumindest auf der politischen Agenda, jegliche Diskriminierung ist verboten und wird als Straftat verfolgt. Das gesellschaftliche Klima wird besser, feindliche Übergriffe können aber besonders in den Abend- und Nachtstunden nicht ganz ausgeschlossen werden. Dennoch trauen sich immer mehr junge Frauen und Männer ihr Coming Out. Auf dem Land ist es deutlich schwieriger, als in der Hauptstadt, doch auch dort gibt es keine religiösen Dogmen, die einer vollen Akzeptanz im Wege stehen. Gott ist also raus aus der Debatte, für die Familien ist es aber nach wie vor zumeist ein großer Schock, mit dem sie umgehen lernen müssen.
Terelj, ein riesiger Dschingis und ein letzter Abend in UB
Am nächsten Tag brachte Munkhzul uns ins äußerst beliebte Ferienresort Terelj 60 Kilometer östlich von Ulaanbaatar und wollte sich am Abend nach drei intensiven Tagen in einer angesagten Bar hoch über den Dächern Ulaanbaatars von uns verabschieden.
Der Nationalpark liegt in den malerischen Khentii-Bergen. Hierhin bringt man Besucher, wenn für längere Überlandreisen die Zeit fehlt. Es gibt einen wilden Fluss, spektakuläre Felsformationen, jede Menge Restaurants, Bars und Jurtencamps sowie am Ende des Tals einen wunderschönen alten Tempel mit einer spektakulären Aussicht. Die Mongolei kompakt.
Auf dem Weg zurück nach Ulaanbaatar lag kurz hinter der Abzweigung nach Terelj ein weiteres Highlight, welches nur wenige Jahre zuvor entstanden war. Hoch über der Steppe thront ein riesiger silberfarbener Dschingis Khan auf seinem Pferd – ganz offiziell das größte und höchste Reiterstandbild der Welt und nach dem Lenin-Kopf in Ulan-Ude der nächste bildhauerische Superlativ auf unserer Reise. Im Sockel des Monuments war ein kleines Museum mit Verkaufsshop untergebracht. Mit Fotokulissen verschiedener mongolischer Landschaften, vor denen man sich in traditionellen Kostümen ablichten konnte. Etwas kitschig, doch wir hatten unseren Spaß. Per Lift und Treppe ging es auf den Schweif von Dschingis Khans Pferd mit Aussicht auf dieses weite Land.
Dirk, Solongo, Munkhzul, Soana und ich auf dem Dschingis-Khan-Monument in der Steppe östlich von Ulaanbaatar.
Blick vom Aryapala-Kloster in Terelj.
Eigentlich sollte die mongolische Oma an diesem letzten Abend unsere Kleine betreuen, doch Soana zeigte sich derart unwirsch, dass das nicht ging. Nach einigen Hin und Her bin ich dann doch noch mit dem Taxi hinterhergefahren, weil sich Munkhzul und die beiden Jungs bei aller Sympathie nicht so recht verständigen konnten. Es war der gemütliche Ausklang einer äußerst intensiven Mongoleireise. Die Manhattan Lounge auf dem Encanto-Gebäude im Süden Ulaanbaatars genügt höchsten Ansprüchen, ist weit mehr als nur ein Geheimtipp, bleibt preislich aber moderat.
Nach einer sehr intensiven Woche im Schoß der Familie würde ich mich nun wieder von meinen Mädels trennen. Sie blieben noch ein paar Tage in Ulaanbaatar, während ich mit den Jungs weiter in die chinesische Hauptstadt fahren wollte. Der Abschied brauchte nicht allzu pathetisch werden, denn wir würden uns nach nur wenigen Tagen in Berlin wiedersehen.
Mein Schwager Tulga brachte uns am Morgen zum Bahnhof. Ich war mit genau dem gleichen Zug schon zwei Jahre zuvor einmal gereist. Das Umfeld war dieses Mal aber ein gänzlich anderes. Anstatt mit „Gowintsetseg“ im Dauerschweigen reiste ich nun mit den Jungs.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
In Ulaanbaatar hat sich in den vergangenen Jahren Vieles zum Positiven gewandelt. Eine spürbare Professionalisierung im Dienstleistungssektor, Ordnung, Sauberkeit, eine recht ausgeprägte Liberalität und weniger Chaos auf allen Ebenen. Mittlerweile kann man sich die Stadt auch als Ausländer recht entspannt erschließen, doch an ein paar Vorsichtsmaßregeln sollte man sich dennoch halten.
„Schwarz- bzw. Privattaxis“ bestenfalls gar nicht nutzen. Erst recht nicht, wenn neben dem Fahrer noch andere Leute im Auto sitzen. Preis immer im Voraus verhandeln. Gilt auch für reguläre Taxis. Persönliche Wertgegenstände eng am Körper tragen. Vor allem im Gedränge des Narantuul-Marktes sind Taschendiebe unterwegs. Betrunkene bestmöglich ignorieren. Europäische Männer mit mongolischen Frauen werden zwar nicht von allen, aber doch von einigen Mongolen als Provokation empfunden. Vielleicht kann man sich die eine oder andere Liebesbekundung für die eigenen vier Wände aufsparen. Sansar im Osten der Stadt bietet zwar ein wildes Nachtleben, sicherer ist es aber in den zentral gelegenen Bars und Clubs.
Der Autoverkehr hat sich spürbar zivilisiert, entspricht aber noch immer nicht mitteleuropäischen Standards. Auch bei grünen Ampeln und auf Fußgängerüberwegen sollte man stets aufmerksam bleiben. Selbst durch Ulaanbaatar zu fahren, ist eine große Herausforderung, denn man muss die Mitte finden zwischen mutigem Reindrängeln und einer gewissen Grundentspanntheit. Ortsunkundige sollten auf dieses Abenteuer besser gleich ganz verzichten.