Adscharien und der Kleine Kaukasus
Wir hatten viel gewagt und alles gewonnen. Nur ein paar Tage nachdem Georgien im ersten Corona-Herbst seine Grenzen wieder öffnete, nahmen wir einen der ersten Flieger in Richtung Tiflis. Von dort mit dem Mietauto ans Schwarze Meer. Nun ging es weiter durch die wilden Pässe des gar nicht so Kleinen Kaukasus.
An der Seilbahn von Khulo.
Eine urtümliche Seilbahn, ein unbefestigter Bergpass und eine prächtige Burg
Dieses Jahr hatten wir uns fest vorgenommen, auf dem Weg zurück in den Osten Georgiens die teilweise unbefestigte Straße durch das Meschetische Gebirge des Kleinen Kaukasus zu nehmen.
Lena, Basti und die kleine Sarah, die wir im vergangenen Jahr in einem kleinen Tifliser Park kennengelernt hatten, ebenfalls aus Berlin kamen und mittlerweile zu guten Freunden geworden waren, hatten uns darin bestärkt. So schlimm sei es nicht. Das Wetter schien trocken zu bleiben und auch der Tankwart am Ausgang von Batumi meinte, dass wir das schon irgendwie wuppen würden.
Es ging steil bergauf. Die Straße war zwar nicht sonderlich breit, doch abgesehen von den reichlichen Schlaglöchern immerhin asphaltiert. Sie folgte dem lieblichen Tal des Adschariskali-Flusses, welcher immer wieder von pittoresken Bogenbrücken gekrönt wurde. Kurz hinter Keda unterlief Soana ihr erstes Malheur auf dieser Reise. Wir lernten, dass Joghurt-Drinks auf Serpentinenwegen nicht ratsam waren und lobten unsere Kleine, dass sie rechtzeitig Bescheid gesagt und die Polster verschont hatte.
Nach 80 Kilometern erreichten wir Khulo, wo wir unsere erste Pause einlegten. In irgendeiner TV-Reportage hatten wir von der örtlichen Seilbahn erfahren und wollten sie gerne ausprobieren. Es war später Vormittag und wir stoppten auf dem Parkplatz direkt neben einem Polizeiwagen. Der Polizist wies uns freundlich ein. Dass ich beim Parken einen kleinen Rucksack überfahren hatte, schien nicht so schlimm zu sein. Als wir ausgestiegen waren, wurden wir von der versammelten Dorfgemeinschaft distanziert, aber neugierig-wohlwollend beguckt. Wahrscheinlich ging es wieder um die Frage, welch eigentümliche Kombination wir darstellten und wie wir es um Himmels Willen in dieser Zeit nach Georgien geschafft hätten.
Wir waren mitten im muslimisch geprägten Adscharien, was sich an der Atmosphäre auf dem Dorfplatz ablesen ließ. Zumeist ältere Männer, die Tabak feilboten und sich ansonsten ihren Brettspielen hingaben. Wenige Frauen, manche mit Kopftuch, andere ohne, die den einen oder anderen Imbiss zubereiteten. Ich fragte nach den Abfahrtzeiten der Seilbahn und mir wurde gesagt, dass das nach Bedarf geregelt werde und wir einfach zur Station gehen sollten.
Die Seilbahn mit ihrer kleinen und altertümlichen Kabine soll mit einer Spannweite von knapp zwei Kilometern die längste in Europa sein. Für das Nachbardorf Tago auf der anderen Seite des weiten und tiefen Tales stellt sie die einzige Verbindung zur Außenwelt dar.
Uns war schon etwas mulmig zumute, doch mit zunehmender Dauer überwog die Begeisterung über die herrlichen Ausblicke ins Tal. Nach einem kurzen Spaziergang ging es mit der nächsten Fahrt wieder zurück nach Khulo, wo wir auf dem Dorfplatz etwas Tabak kauften und uns anschließend in einem kleinen Kiosk bewirten ließen. Es gab wieder eine Art frittiertes Hefeteiggebäck mit Füllung. Schmeckte eigentlich ganz lecker. Dazu ein paar Softdrinks und die Rechnung betrug am Ende acht Lari 50, etwas mehr als zwei Euro. Solongo musste lange betteln, um zehn Lari bezahlen zu dürfen und das Restgeld nicht annehmen zu müssen.
Man soll nicht übermäßig naiv sein, weil es besonders in touristisch geprägten Gegenden auch das eine oder andere Schlitzohr gibt, doch insgesamt erschien uns Georgien als wunderbar ehrlich und bescheiden. Und speziell ich war froh, dass wir endlich die Küste hinter uns gelassen und wieder die Berge erreicht hatten. Ich mag das Meer, doch gerade Batumi konnte mit den gerade gewonnenen Eindrücken keineswegs mithalten.
Blick von Goderdzi-Pass in Richtung Westen.
Hinter Khulo hörte die Straße auf und vor uns lagen 65 Kilometer Schotterwege bis kurz vor Akhalzikhe, wo die befestigte Straße aus Richtung der türkischen Grenze bei Türkgözu anschließen würde. Ohne das reichliche Fahrtraining in der Mongolei und in Sibirien hätte ich mir das vielleicht anders überlegt, doch ich habe viel zu viele uralte Ladas sich über unmögliche Pisten quälen sehen, als dass ich mir das nicht zutrauen würde. Es war im Grunde nicht so aufregend, nur ein, zwei knifflige Stellen. Am Goderdzi-Pass war das Schlimmste überstanden. Die Baumgrenze war schon durchschritten, sodass sich eine herrlich unverstellte Aussicht über den Kleinen Kaukasus bot.
Akhalzikhe hatten wir am frühen Nachmittag erreicht. Unsere Pension befand sich direkt unterhalb der riesigen Rabati-Burg, deren Pracht so ziemlich jedes Festungsbauwerk übertraf, welches wir in Europa und anderswo bis dahin gesehen hatten. Die Burg war vor einigen Jahren aufwendig restauriert worden. Das Areal steigt sukzessive an und ist von etlichen Pavillons, Palästen, Gärten, inneren Wehrmauern, einer Kirche, einer Moschee und verschiedenen Nebengebäuden umsäumt. Drumherum zieht sich eine beeindruckende Burgmauer, die samt den verschiedenen Wehrtürmen größtenteils begehbar ist und eine atemberaubende Aussicht auf das umliegende Bergland sowie die eigentliche Stadt Akhalzikhe bietet. Ganz hinten im äußersten Westen des Geländes liegt dessen höchster Turm, der von einer riesigen georgischen Flagge gekrönt ist. Der Selfie-Spot schlechthin, was ein betont stolzer Georgier für unzählige Selbstporträts nutzte.
Die prächtige Rabati-Burg hoch über Akhalzikhe.
Höhlenklöster, Babykatzen, Schweigegelübde und ein ordentliches Gelage
Von Akhalzikhe wollten wir einen Tagesausflug zum berühmten Höhlenkloster von Vardzia unternehmen und am Abend wieder zurückkehren. Ich hatte mir vor der Reise lange überlegt, wie sich die verschiedenen Zielorte, die wir im vergangenen Jahr noch nicht erkundet hatten, bestmöglich verbinden ließen. Im Nachhinein hätte man von Vardzia auch über Akhalkalaki nach Bakuriani und Borjomi reisen können, doch dann hätten wir den zweiten Abend in unserer Pension in Akhalzikhe verpasst. Was in jeder Hinsicht schade gewesen wäre, doch dazu später.
Die Straße nach Vardzia war bis auf einige Kilometer recht gut ausgebaut. Man musste aber da und dort auf mächtige Bodenwellen im Asphalt Acht geben, die einem schnell das Auto zerstören können. Kurz hinter Aspindsa zweigt bei der Khertvisi-Festung eine asphaltierte Straße in Richtung des Höhlenklosters Vardzia ab, das nach 15 Kilometern erreicht wird. Insgesamt sind es von Akhalzikhe bis Vardzia etwa 60 Kilometer.
Die Strecke folgt konsequent dem Tal der Kura, welches insbesondere auf dem letzten Teilstück in Richtung Vardzia imposante Ausblicke bereithält. Die dortigen Schluchten sind an sich schon bemerkenswert und gehören zu den spektakulärsten Landschaften, die wir bis dahin erlebt hatten.
Das Höhlenkloster selbst sahen wir zum ersten Mal von einem Parkplatz am gegenüberliegenden Ufer des Flusses. Tausende Kammern, die vor etwa tausend Jahren in die 500 Meter hohe Felswand gehämmert worden waren. Schon damals diente das Kloster auch der Verteidigung und bis heute liegt es im Dreiländereck zwischen Georgien, Armenien und der Türkei. Aktuell sind noch etwa 750 Räume erhalten, die sich auf eine Fläche von knapp einem Quadratkilometer verteilen.
So zynisch es klingen mag, doch Corona war hier ein Gewinn. Wir waren die einzigen, die auf dem ausgreifenden Parkplatz ankamen und sorgten uns, ob das Gelände überhaupt geöffnet sein würde. Das war der Fall und eine Belegschaft von deutlich mehr als zehn Personen kümmerte sich um uns als einzige Gäste. Sie hielten sich aber im Hintergrund, wofür wir äußerst dankbar waren, weil wir uns auf diese Weise wie Indiana Jones fühlen durften, der geheime Gänge in einer mystischen Kulisse erkundet. Ein Minibus brachte uns auf die Ausgangsebene und ließ uns dort frei. Wir sollten auf die Kleine aufpassen, weil die Abgründe mitunter gefährlich sein konnten. Am anderen Ende des ausgreifenden Areals würde ein Tunnel mit Treppen wieder auf das Niveau der Kura führen.
Ganz allein im Höhlenkloster von Vardzia.
Es ist natürlich egoistisch, Corona für die Einsamkeit zu rühmen, doch was soll ich sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Erlebnis mit Busladungen anderer Touristen nur ansatzweise so eindrucksvoll geworden wäre. Wir kletterten zwischen den Kammern herum, machten Fotos und genossen den Ausblick ins Tal. Irgendwann fanden wir eine kleine, in den Fels gehämmerte Kirche, die wir andachtsvoll begutachteten, weil wir – obgleich Atheisten – mittlerweile eine gewisse Sensibilität für den besonderen Geist der georgischen Orthodoxie entwickelt hatten. Hinter dem Altarraum war noch etwas, doch es war vollkommen dunkel, sodass wir uns nicht weiter trauten.
Wieder draußen, entdeckte ich nach etwa hundert Metern bzw. etlichen Kammern einen Kletterpfad auf die höchste Ebene des Klosters. Mit Absicherung von oben und unten war der Aufstieg auch für Soana gut zu bewältigen. Ganz oben entdeckten wir einen beleuchteten Gang nach unten. Das musste der geheime Tunnel sein, von dem uns der Fahrer des Minibusses berichtet hatte. Wir stiegen also hinab und wie im Film gab es einige Abzweigungen, die mitunter ins Nichts führten. An einer davon war ein Kamin nach oben zu einem anderen Gang zu erkennen. Soana war begeistert, mich von oben und mit dem gebotenen Echo sehen und hören zu können. Ich musste aber wieder zurück, denn Solongos und Soanas Gang war der Richtige. Er führte an einer Quelle vorbei in eben jene Kirche, die wir zuvor schon betreten hatten. Die Museumswärter hatten einfach das Licht angeknipst und wir waren die vorgesehene touristische Route umgekehrt gegangen, was gut und sehr abenteuerlich war.
Bei unserer weiteren Erkundung der Kammern in Richtung Norden folgten uns zwei Babykatzen. Sie waren so zutraulich, dass sie sich über weite Strecken von unserer Kleinen tragen ließen. Auch durch den langen Tunnel, den wir zur Ebene der Kura hinabstiegen. Sie folgten uns bis zum Parkplatz und es war einfach nur schön. Wir erklärten Soana, dass die beiden hier schon am perfekten Ort angelangt waren und sie verstand es. Vardzia werden wir nie vergessen.
Hoch über dem Canyon der Kura.
Auf dem Weg zurück machten wir noch einmal Station am atemberaubenden Canyon der Kura. Ein paar Kilometer weiter unten wollten wir unbedingt unsere Füße in diesen längsten aller kaukasischen Flüsse tauchen. Ganz allein, umringt von Kuhscheiße und dem Plätschern des Flusses inmitten einer welligen Hochsteppenlandschaft.
Unsere Gastgeber in Akhalzikhe hatten uns noch das Kloster von Sapara empfohlen. Kurz vor Akhalzikhe führte eine Straße in die Berge über der Kura. Auch hier waren wir wieder allein. Ich musste immer vorpreschen, weil ich einfach zu begeistert war, um auf meine Mädels zu warten und auch, weil ich die Situation erkunden wollte. Ein Mönch mit langem Bart kam mir entgegen. Er wirkte wohlwollend, sagte aber nichts. Er öffnete mir die Kirchentür und ich beschied ihm, dass meine Familie noch nachtrudeln würde. Keine Antwort, aber ein leises Lächeln. Später verstanden wir, dass er offenkundig ein Schweigegelübde abgelegt hatte. Soana bekam ein Stück Schokolade, doch das war vermutlich nicht das Einzige, was sie an diesem Mann faszinierte. Nebenbei war auch die Aussicht über das Tal der Kura wieder einmal atemberaubend.
Zurück in Akhalzikhe wartete schon unser Gastgeber. Bisher hatten wir mit seiner Frau gesprochen, doch nun wollte auch er sich vorstellen. Er brachte etliche Liter selbstgekelterten jungen Rotweins und es wurde wieder ein wunderbarer Abend mit vielen Erkenntnissen über Georgien und den Kaukasus. Es stellte sich heraus, dass er selbst Ossete und seine Frau Armenierin war. Viele Trinksprüche später waren wir rechtschaffen hinüber. Uns tat es in der Seele weh, dass dieses wunderschöne Land und diese herzensguten Menschen auf dem Sprung nach vorn so sehr von der Pandemie gebeutelt wurden.
Zum Abschied am nächsten Morgen wollten wir uns für das kostenlose Gelage und für die zwei Liter Rotwein, die wir überdies geschenkt bekommen hatten, mit einem kleinen Trinkgeld bedanken, doch auch das erforderte lange Diskussionen, bevor es akzeptiert wurde.
Borjomi – das zweite Mal
Ich dachte, es könnte romantisch sein, mitten auf der Reise noch einmal einen Ort aus dem vergangenen Jahr zu besuchen. Es wurde Borjomi, weil das Thermalbad auf einem Drittel des Weges vom Kleinen Kaukasus in die ostgeorgische Weinregion Kachetien lag. Wir buchten wieder das Apartment über dem Wildbach, gegenüber diesem unmöglichen Wohnhaus zwischen Fels und Fluss, mit zwei riesigen Bäumen, die durchs Wohnzimmerdach wuchsen.
Borjomi war von Akhalzikhe weniger als eine Stunde entfernt und weil vor dem Treffen mit unserer Vermieterin noch viel Zeit war, fuhren wir gleich bis Bakuriani – ein Skiresort 25 Kilometer südöstlich von Borjomi auf einer Höhe von 1.700 Metern. Mir ging es hauptsächlich um die Aussicht, doch die wurde meist von dichten Wäldern verstellt. Bakuriani selbst schien recht verschlafen, die Seilbahn auf den Kokhta-Berg war nicht in Betrieb und ansonsten wurde viel gebaut. Im Winter muss es anders sein, denn dies ist das größte Skigebiet Georgiens.
Auf dem Rückweg nach Borjomi schauten wir am ehrwürdigen Timotessubani-Kloster vorbei, wo wir geweihtes Mineralwasser tranken und von den Mönchen selbst produzierten Honig probierten.
Am Nachmittag bezogen wir unser Apartment und wollten danach zum Thermalbad, das wir schon im Jahr zuvor besucht hatten. Der Weg vom Parkplatz runter zum Flüsschen ging sich dieses Mal deutlich leichter, weil es trocken und sonnig war. In einem der Becken trafen wir eine in München lebende Georgierin, die wie wir mit dem zweiten Georgian-Airways-Flug überhaupt nach Tiflis gekommen war, nur nicht aus Berlin, sondern aus München. Wir quatschten über unsere Pläne, Corona und die Welt, die Sonne schien, Soana plantschte. Alles war gut.
Nach dem beschwerlichen Aufstieg zum Parkplatz stand mitten im Nichts ein unfassbar süßer Labrador vor uns und unsere Kleine war schon wieder hin und weg. Sie musste sich die Aufmerksamkeit des Hundes allerdings mit zwei Georgierinnen teilen, die sich ebenfalls wie beseelt auf ihn stürzten. Wie in Georgien mit Straßenhunden umgegangen wird, sagt viel über die Seele des Landes. Nie zuvor habe ich gesehen, dass Restaurants extra Essen und Wasser rausstellten. Und nirgendwo werden Straßenhunde so nett und häufig angelächelt, wenn sie durch die Gassen trotten. Das macht scheinbar etwas mit dem Gemüt der Tiere, denn bedrohlich erschien uns keines von ihnen.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
In den kommenden Monaten soll die Straße zwischen Batumi und Akhalzikhe fertig sein. Dann stellt sich die Frage nicht mehr, ob man lieber den riesigen Umweg über Poti, Kutaissi und Borjomi in Kauf nehmen oder aber den Gorderdzi-Pass riskieren soll. Dann wird die Antwort lauten: Natürlich Goderdzi – viel schöner und auch kürzer.
Die Seilbahn zwischen Khulo und Tago fährt nach Bedarf, weshalb man seinen Transportwunsch beim Seilbahnwärter anmelden muss. Ab einer bestimmten Windgeschwindigkeit wird der Betrieb eingestellt.
Alternativ lässt sich ein Ausflug nach Akhalzikhe und Vardzia mit einem Abstecher nach Armenien verbinden. Von der Khertvisi-Festung, wo der Abzweig nach Vardzia abgeht, sind es nur 70 Kilometer bzw. eine Stunde Fahrzeit bis zur Grenze bei Bavra. Die Kontrollen gehen schnell, längere Wartzeiten sind selten. Ein Grenzübertritt mit Mietwagen muss jedoch vorher angemeldet werden, damit die Mietwagenfirma gegen einen kleinen Aufpreis die Zollformalitäten vorbereiten kann.