Alle Jahre wieder – sommerlicher Ausflug in die Ukraine
Der Krieg geht nun schon in seinen dritten Sommer. Ich und meine Reiseveranstaltung Ostwärts Reisen wussten von Beginn an, wo unser Platz ist. Bedingungslos an der Seite des Opfers, derjenigen, die diesen brutalen, durch nichts zu rechtfertigenden, Überfall erleiden müssen. Schließlich kenne ich sowohl Russland als auch Mittel-/Osteuropa viel zu gut, um nicht einschätzen zu können, wie zynisch und brutal die russische Gesellschaft mittlerweile tickt und wie verzweifelt sich die europäischen Völker der ehemaligen Sowjetunion aus deren Würgegriff zu lösen suchen. Von Tallinn nach Riga, über Vilnius nach Chisinau und weiter über Kyjiv nach Tbilissi und Yerevan. Hin ins freie Europa und weg vom russischen Faschismus. Die einen sind diesen Weg schon erfolgreich gegangen, die anderen wollen folgen. Und ich will zumindest einen kleinen Anteil leisten, dass dies auch gelingt.
Demo in Berlin anlässlich des zweiten Jahrestages der russischen Vollinvasion.
Ich hatte Ostwärts Reisen nur einen Monat vor Beginn des Krieges gegründet. Angesichts all des Grauens soll man nicht wehleidig sein, deshalb sei nur kurz erwähnt, dass der Überfall auch für das neue Business eine Totalkatastrophe war – zumindest marketingtechnisch. Immerhin jedoch konnte ich mich mit publizistischen Auftragsarbeiten finanziell über Wasser halten, ging die Umstellung in einen neuen Lebensabschnitt nun zwar etwas langsamer vonstatten, war aber keineswegs aufgehoben.
Ich positionierte mich, strich Russland bis auf Weiteres aus dem Programm, startete Spendenaufrufe und unternahm im Sommer 2022 meine ersten beiden Hilfsfahrten in die Ukraine, transportierte vornehmlich Mütter und deren Kinder, die Monate zuvor nach Deutschland geflüchtet waren und nun – nach dem erfolgreichen Befreiungskampf rund um Kyjiv – ihre Männer und Väter wiedersehen wollten. Schließlich war und ist es Männern zwischen 18 und 60 untersagt, die Ukraine zu verlassen. Es ging von Berlin nach Kyjiv und zurück. Zwischendrin absolvierte ich noch eine Pendelfahrt zur bzw. von der polnischen Grenze. Neun Tage, die neben bestürzenden Eindrücken und schockierenden Erzählungen auch neue gute Freunde und viele spannende Momente brachten. Es mag sich zynisch anhören, doch es hat mir Vieles gegeben und sogar etwas Spaß bereitet.
Höhlenkloster und Mutter-Heimat-Statue in Kyjiv.
Die Zeit dafür konnte ich mir auch deshalb nehmen, weil Tochter und Frau zu ihrer obligatorischen Sommerreise in die Mongolei aufgebrochen waren. Meine Kleine hatte gerade ihr erstes Schuljahr absolviert und die ersten drei Ferienwochen sollten von nun an für den Heimaturlaub mit der Mama reserviert sein. Ich werde dort nicht wirklich gebraucht und konnte mich ruhigen Gewissens anderen Dingen widmen. Es ist nicht so, dass ich partout nicht mehr in die Mongolei möchte, doch alle drei oder vier Jahre reichen mir vollkommen aus.
Traurige Routine
2023 hatten sich die Vorzeichen kaum geändert. Der Krieg tobte noch immer, die lang erwartete Gegenoffensive stockte, Hilfe wurde nach wie vor verzweifelt benötigt. Frau und Tochter weilten in den ersten drei Sommerferienwochen wieder in der Mongolei und ich konnte erfolgreich einen Bedarf für zwei weitere Hilfsfahrten organisieren. Berlin-Kyjiv zweimal hin und wieder zurück. Das Auto sollte viermal voll sein. Das war der Anspruch, dem ich gerecht werden konnte. Wie beim ersten Mal hatte ich sämtliche Ausgaben für Fahrgäste und das Auto selbst getragen, wurde dafür in Kyjiv mit erlesener Gastfreundschaft belohnt. Schlafen wollte ich dennoch in den eigenen vier Wänden. Schließlich waren die Wohnverhältnisse der Familien eher beengt, wollte ich deren Privatheit nicht stören und kosteten die hochherrschaftlichen Apartments mitten im Zentrum kriegsbedingt fast gar nichts.
Hier hatte ich im Sommer 2022 gewohnt. 100 qm direkt am Maidan, mit Jacuzzi, Piano und Balkon für nur 20 Euro pro Nacht.
Im Sommer 2024 noch immer das Gleiche. Die Russen überbieten sich in immer bösartigeren Kriegsverbrechen, sprengen Dämme, terrorisieren die Zivilbevölkerung, verschleppen Kinder, foltern, vergewaltigen und beschießen Kinderkrankenhäuser mit Raketen. Erst vor einigen Tagen war bekanntgeworden, dass den in die Ukraine zurückgeschickten Leichen der gefallenen Helden in der russischen Kriegsgefangenschaft reihenweise die Organe entnommen worden waren. Es darf bezweifelt werden, dass sie zuvor eines natürlichen Todes gestorben sind. Immer, wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, setzen sie verlässlich einen drauf… Die Ukraine ist derweil beschäftigt mit ihrem verzweifelten Abwehrkampf, braucht neue Männer und auch Frauen für die Front und darüber hinaus jede Hilfe, die sie bekommen kann. Taurus-Marschflugkörper, F16, Leopard-Panzer, alles raus, was nicht gebraucht wird, doch leider agiert die deutsche Politik viel zu zögerlich.
Ich wollte zumindest in meinem bescheidenen Rahmen leisten, was möglich ist, kooperierte dazu mit zwei Hilfsorganisationen aus Berlin und brachte zweimal humanitäre Hilfsgüter von Berlin nach Kyjiv. Auf den Rücketappen konnte ich dank meines langsam aber sicher wachsenden Netzwerkes einige Fahrgäste organisieren, die dankbar waren für den kostenfreien Transport aus der Ukraine nach Mitteleuropa.
Töchterchen am Orkhon-Fluss in der Mongolei.
Frau und Tochter waren schon wieder in die Mongolei, sodass auch in dieser Hinsicht Kontinuität gewahrt blieb. Fast schon Routine, was die Ukraine anbelangt, allerdings eine äußerst traurige. Ich hoffe inständig, dass es im kommenden Jahr anders wird, die russischen Verteidigungslinien zusammenbrechen und die Ukraine befreit sein wird.
Mike macht mich voll
Mike hatte ich am Rande einer Veranstaltung der ukrainischen NGO Vitsche getroffen. Geflüchtete Ukrainer, vornehmlich Frauen, die sich von Berlin aus für ihre Heimat einsetzen. Politisch, humanitär und medial. Ich hatte nachgefragt, ob man mir jemanden vermitteln könne, der mir bei der Organisation eines Bedarfes für weitere Hilfsfahrten zur Seite stehen will. Das war dann Mike. Ein junger Typ mit vielen Tattoos, der der Mundart nach aus dem Südwesten Deutschlands zu stammen schien, aber schon lange in Berlin lebte. Er hatte kurz nach dem Krieg „Berlin2Borders“ gegründet, sammelt Spenden und sorgt für deren Transport in die Ukraine, kooperiert mit Helfern in Lemberg und Kyjiv, die die Sachen anschließend dorthin bringen, wo sie gebraucht werden.
Die „Autobahn der Freiheit“ zwischen Berlin, Warschau und irgendwann hoffentlich auch bis Kyjiv.
Als ich ihm mein Anliegen schilderte, reagierte er betont informell. Nach dem Motto. Wird schon. Komm vorbei, wenn Du losfahren möchtest, und wir machen Dich sowas von voll, dass Du kaum mehr Platz zum Sitzen hast. Mir was das nicht konkret genug. Ich weiß gerne im Voraus genau, was mich erwartet, will vorbereitet sein und vermeiden, dass ich mir Zeit freigeschaufelt habe und es am Ende doch nicht klappt. Also verabredeten wir uns erneut. Zusammen mit meiner Tochter besuchte ich den Ukrainian Sound Garden am Berliner Plötzensee, wo Mike für ein Fußballturnier gemeldet war und ich auf die genaue Nennung von Zeiten, Ansprechpartnern und Adressen bestand.
Meine Mädels planten am Sonntagmorgen mit dem ICE von Berlin nach Frankfurt zu reisen und von dort mit MIAT in die Mongolei zu fliegen. Ich wollte die letzten Stunden mit meiner Tochter verbringen und danach nahezu zeitgleich in die Ukraine aufbrechen. Zum Bahnhof würde ich die beiden nicht bringen können, weil das Auto schon am Abend zuvor beladen werden musste. Ich sollte mich bei einer Olga melden. Die absolvierte an den Wochenenden eine Ausbildung im Norden Berlins, von wo ich sie abholte und anschließend zum Lager von „Berlin2Borders“ nach Marzahn in den Osten der Stadt brachte. Mike hatte nicht gelogen, denn der Skoda verließ diesen Ort bis an die Decke voll mit Damenbinden, Nachtsichtgeräten, Konserven, Feldstechern, Windeln und und und. Dokumente für all den Kram wollte Olga mir nicht ausstellen. Ich solle an der Grenze einfach behaupten, dass das alles mir gehöre und für einen Freund in der Ukraine bestimmt sei. Das hätte bei Mike auch stets funktioniert und auf diese Weise würde ich mir und auch ihr einen Haufen Schreibkram und Bürokratie ersparen.
Meine beiden Mädels mit MIAT auf dem Weg in die Mongolei.
Im Morgengrauen auf nach Lemberg
Ich schlich mich noch vor meinen Mädels aus der Wohnung. Um drei Uhr morgens, weil ich gleich durch bis Lemberg wollte, nicht wusste, wie lange es an der Grenze dauern würde, mir die Zeitverschiebung zur Ukraine eine Stunde raubte und ich vor Ort noch etwas von der Stadt sehen wollte. Zudem war es zu dieser frühen Stunde eher unwahrscheinlich, von der Polizei auf meine Ladung bzw. deren Sicherung angesprochen zu werden. Jenseits der Oder hielt ich mich für sicherer, weil die polnischen Mautautobahnen ohne viel Polizeipräsenz auskommen und ich die Kollegen für weniger regelungsbesessen hielt.
Die Autobahn der Freiheit führt von Berlin nach Warschau und weiter in Richtung der ukrainischen Grenze Sie wurde erbaut aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft 2012, die gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgerichtet wurde. Das Endspiel in Kyjiv wurde mit einem klaren 4 zu 0 von Spanien gegen Italien gewonnen. Was waren das für schöne Zeiten… Den ursprünglichen Planungen gemäß hätte die Autobahn bis 2024 Kyjiv erreichen sollen, in der Realität jedoch geht es auch heute noch kurz hinter dem ostpolnischen Lublin wieder auf die Landstraße. Hier war allerdings an diesem Sonntag nicht viel los, sodass ich schon kurz nach Mittag den Grenzübergang von Hrebrenne erreichte. Nach nur zehn Minuten Wartezeit hatte ich die polnische Seite überwunden. Insofern erstaunlich, weil sie mich ein Jahr zuvor noch hochgenommen hatten. Wer soll denn wissen, dass auf dem Landweg nur zwei Zigaretten pro Person erlaubt sind und nicht zehn wie auf dem Luftweg?
An der polnisch-ukrainischen Grenze.
Doch das war auf dem Weg nach Polen. Nun musste ich erst einmal in die Ukraine. Vor mir in der Schlange stand ein Finne, der offensichtlich auch Hilfsgüter transportierte, für die er jedoch fein säuberlich alle Dokumente parat hatte. Bei mir war das anders. Ich hatte mich schon gefreut, dass sie mich nach einer kurzen Inspektion durchgelassen hatten, und fuhr frohen Mutes durch bis ans Ende des Grenzareals. Es war dann aber doch nicht so einfach, denn mir fehlte der Stempel für den Zoll und so schickten sie mich wieder zurück.
Ich musste in ein separates Gebäude, wo ich einen Beamten ansprach, der mir beschied, beim Auto zu warten, bis jemand auf mich zukommt. 20 Minuten etwa brutzelte ich in der unbarmherzigen Mittagssonne. Dann wurde es mir zu viel und ich sprach die Beamten am Schlagbaum an. Ich log, dass alles mir gehörte, die Geschenke für einen Freund bestimmt waren und ich demgemäß nichts zu deklarieren hätte. „Nichts zu deklarieren“, lachten sie mich aus beim Blick auf die Kartons, die sich dutzendfach im Skoda stapelten. „Ja“, entgegnete ich und blieb standhaft. Noch ein kurzes Blickduell, dann ließen sie mich gehen. Ich bekam meinen Stempel und durfte weiter nach Lemberg. An der kleinen Tankstelle kurz hinter der Grenze tauschte ich Geld und kaufte mir eine ukrainische SIM-Card. Die war zwar nur für einen Monat und nicht für eine Woche zu haben, doch mit Blick auf den unwahrscheinlich günstigen Preis von umgerechnet drei Euro spielte das keine nennenswerte Rolle
Die Granathülse war ein Geschenk, das Klopapier musste ich mir selbst kaufen.
Teil 1 der Mission erfüllt
In Lemberg sollte ich mich mit einem Vitali treffen, der mich per Telegram zur Nova Poshta #1 in die Horodotska Straße lotste. Ein ausgreifendes Areal im Westen Lembergs, wo die Hilfslieferungen aus aller Welt koordiniert wurden. Vitali hatte mich wohl am Nummernschild erkannt, wies mir sogleich den Weg zu einer Rampe und half beim Ausladen. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, den ganzen Kram nach Kyjiv fahren zu müssen, doch ich sollte hier schon alles abgeben, weil der Großteil ohnehin für die im Süden des Landes gelegenen Stadt Kherson bestimmt war.
Nach nur wenigen Minuten umgab mich im Skoda nur noch gähnende Leere. Vitali schenkte mir eine Granathülse mit allerlei patriotischen Aufschriften und musste sich fortan um den Weitertransport kümmern. Ich machte mich auf den Weg zu meinem Apartment im Zentrum der Stadt. Die Straße war zwar gesperrt, doch eine nette Polizistin ließ mich trotzdem hindurch. Um in den Innenstadtring hineinzukommen, musste eine Parkschranke passiert werden und ich war überaus gespannt, was mich der Spaß am kommenden Morgen kosten würde.
Das Jura-Kloster in Lemberg.
Mein Apartment lag im vierten Stock eines Wohngebäudes. Hinter der Eingangstür wartete die übliche Sowjetristesse. Sauber zwar, doch das Treppenhaus war übel heruntergekommen. Der Putz platzte ab überall hingen die Kabel aus den Wänden. Das Apartment selbst schien dagegen recht gemütlich. Die Schlüssel waren in einer Box neben der Tür. Der Zugangscode war mit zuvor aufs Handy geschickt worden. Bald würde jemand kommen, um das Geld abzuholen. Ich fühlte mich zufrieden und erleichtert. Der erste Auftrag war erfüllt und ich nun wieder in der Ukraine. Mal schauen, was der erste Abend so bringen würde…
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Im Raum Berlin gibt es eine ganze Handvoll in Hilfsorganisationen, die sich für die Ukraine einsetzen, wobei es nach meinem Empfinden an einer übergeordneten Koordination mangelt, die die potenziell Hilfeleistenden mit den Bedarfen zusammenbringt. Immerhin sind allesamt vertrauenswürdig. Ich will an dieser Stelle nur die Ukraine Hilfe Berlin, Berlin2Borders, Help4Ukraine und natürlich Vitsche auflisten. Wer Kontakte benötigt, möge sich bei mir über falk.schaefer@ostwarts-reisen.de melden.
Der Weg über Warschau ist zwar kürzer, aber auch teurer. Auf der Autobahn der Freiheit werden über verschiedene Abschnitte hinweg insgesamt knapp 30 Euro Maut fällig, während die andere Relation über Breslau, Kattowitz und Krakau nur wenig länger, aber dafür nahezu kostenfrei ist.
Der Weg über Warschau (hier im Bild), ist kürzer aber auch teurer.
Zwischen Lublin und der ukrainischen Grenze finden sich zwei grausige Orte der europäischen Geschichte und des deutschen Verbrechens. Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek sowie das Vernichtungslager Belzec. An beiden Gedenkstätten sind informative Museen eingerichtet.
Mit einem frühen Aufbruch lässt sich die Strecke Berlin-Lemberg leicht an einem Tag bewältigen. Der Grenzübergang Hrebrenne (Polen), Rawa Ruska (Ukraine) bietet nach meinen bisherigen Erfahrungen die kürzesten Wartezeiten. Wer Hilfsgüter von der einen auf die andere Seite bringen möchte, sollte die für deren Deklaration notwendigen Dokumente mitführen. Man muss nicht immer Glück haben… Hin in die Ukraine verliert man eine Stunde mit der Zeitverschiebung, die man auf dem Rückweg wieder gewinnt.
Tanken ist in Polen aktuell etwas günstiger als in Deutschland und in der Ukraine deutlich günstiger als in Polen. Die Preise belaufen sich derzeit auf um die 55 Griwna, was 1,20 Euro pro Liter Super-Benzin entspricht.
Lemberg ist weitgehend sicher, das Risiko überschaubar, sodass auch touristische Reisen angemessen erscheinen. Die Stadt und die Umgebung lohnen die Anreise allemal. Man freut sich auf Gäste. Auch oder gerade in diesen Zeiten. Es bietet sich eine Kombination aus Lemberg und den etwa hundert km südlich davon aufsteigenden Waldkarpaten an.