Noch ein Höhlenkloster, noch eine Grenze und ein letztes Bad im Tifliser Stausee
Wir hatten es im ersten Corona-Sommer doch noch nach Georgien geschafft. Von Tiflis zum Schwarzen Meer, weiter in den Kleinen Kaukasus und schließlich in die ostgeorgische Weinregion Kachetien. Zurück in Tiflis hatten wir eigentlich schon alles gesehen und unternahmen daher den einen oder anderen Ausflug.
Davit Gareja, gefährliche Giftschlangen und ein illegaler Grenzübertritt
Nach einem Tag in Tiflis fuhren wir ins Davit Gereja-Höhlenkloster an der aserbaidschanischen Grenze. Sina und Mike hatten davon geschwärmt und wir waren schließlich schon vom Vardzia-Höhlenkloster schwer beeindruckt gewesen. Die beiden Schwestern, die unser Hotel führten und uns jeden Morgen das Frühstück bereiteten, erzählten, dass wir keinesfalls Google.maps folgen, sondern die Ausfallstraße nach Kakhetien bis Sagarejo nehmen sollten. Von dort würde eine mittlerweile gut ausgebaute, aber nicht auf Google gelistete Straße zum Kloster führen – ein überschaubarer Umweg, der uns viel Zeit sparen würde. Dem war auch so.
Die 50 Kilometer bis Sagarejo waren einfach, danach fragten wir uns zur Sicherheit dreimal durch, um ja auf der richtigen Straße zu landen, auf der man sich dann nicht mehr verfahren konnte.
Die Landschaft glich der Mongolei. Das hatte ich Solongo angekündigt und ich sollte Recht behalten. Endlose grasbewachsene Wellentäler, Viehherden, Hirten zu Pferde, ein Salzsee und eine einsame kleine Brettersiedlung – Udabno. Zehn Kilometer hinter dem Dorf folgte eine gut ausgebaute Teerstraße der aserbaidschanischen Grenze und nach weiteren fünf Kilometern waren wir da. Ganz allein. Weit und breit niemand zu sehen. Ich hatte im Netz gelesen, dass man in dieser kargen Steppenlandschaft auf die äußerst giftige Kaukasusotter Acht geben soll. Und weil das zu meinen wenigen ernsthaften Phobien gehört, suchte ich nach dem Parken gleich einen großen Stock und klopfte wie ein Irrer den Weg frei.
Blick von georgisch-aserbaidschanischen Grenzkamm auf das Zentrum des Klosters, die Lawra oder Einsiedelei.
Davit Gareja ist das älteste Kloster Georgiens und somit von nationaler Bedeutung. Es befindet sich allerdings auf einem Streifen Land, der auch vom Nachbarn Aserbaidschan beansprucht wird. Die aktuelle Grenzziehung folgt einem steil aufragenden Felskamm, womit die wenigen Kammern auf der anderen Seite bereits zu Aserbaidschan gehörten. Die georgischen Grenzer würden Touristen ignorieren und die aserbaidschanischen Posten ließen sie unkontrolliert ziehen, solange sie sich erkennbar auf den Besuch des Klosters beschränkten. So stand es zumindest im Netz. Und dann waren da noch die Schlangen. Klopf, klopf.
Die Lawra, also das Zentrum der Einsiedelei mit ihrer Kirche, war nur wenige Meter entfernt. Auch hier war niemand da, doch zumindest die Kirche war offen. Von einem Innenhof hatten wir einen schönen Blick auf die ältesten, in den Fels gehauenen Kammern. Davit Geraja liegt in der trockensten Region des Landes und wir bestaunten das ausgeklügelte System, mit dem über Gräben und Zwischenzisternen das Regenwasser und der Morgennebel aufgefangen wurden.
Nun wollten wir nach Aserbaidschan. Der Weg auf das Felsmassiv war nur unten ausgeschildert, sodass wir uns von dort an selbst orientieren mussten. Klopf, Klopf.
Die drei georgischen Grenzbeamten waren auch keine Hilfe, denn sie schienen in der Tat angewiesen, keinerlei Kontakt aufzunehmen. Also bogen wir einmal falsch ab und waren just am dritten Grenzposten in eine Sackgasse geraten, weil uns eine 150 Meter hohe Felswand den Weg versperrte. Der zweite Grenzer hatte seinen Standort genau hinter dem zentralen Klosterkomplex bezogen. Er hatte auf unsere Fragen zunächst nicht reagiert, wies uns auf dem Rückweg aber mit einer versteckten Geste in einen kleinen Pfad, der an ihm vorbei hinter der Lawra immer schräg den Berg hinaufführte. Nach einem einigermaßen beschwerlichen Aufstieg von etwa einer halben Stunde erreichten wir den Kamm des Gebirgszuges und stießen auf der anderen Seite auf die Reste des Udabno-Klosters. Wir waren nun auf aserbaidschanischem Boden, wagten es aber nicht, Fotos zu machen, weil wir nicht weit unter uns auf die Aufmerksamkeit der aserbaidschanischen Posten stießen, die uns recht kritisch beäugten.
Also schnell wieder zurück nach Georgien. Nun konnten wir wenigstens behaupten, es doch nach Aserbaidschan geschafft zu haben. Schließlich hatte unser ursprünglicher Plan vorgesehen, die Reise mit einer Fahrt im Nachtzug nach Baku und vier Tagen in der aserbaidschanischen Hauptstadt zu beenden, was Corona-bedingt nicht möglich war.
Davit Gareja war zumindest eine kleine Entschädigung. Ich klopfte den Weg zurück zum Parkplatz, wo wir unversehrt ankamen und ein kleines Picknick veranstalteten. Meinen beiden Mädels gefiel es, von Zeit zu Zeit „Schlange“ zu schreien und mich auf diese Weise in blanke Hysterie zu versetzen.
Weil uns die Hinfahrt allzu einfach erschienen war, wollten wir mal schauen, wie es um die alternative direkte Route bestellt war. Die Steine waren sehr groß, weshalb ich mich über etwaige Lackschäden an unserem Mietauto sorgte. Ansonsten hatten wir in der Mongolei schon deutlich heftigere Herausforderungen bestanden. Wir mussten eine kleine georgische Militärgarnison umrunden und stießen dann auf eine erste Teerstraße, die allerdings mit derart tiefen Schlaglöchern übersät war, dass wir lieber abseits der Piste blieben. Es wurde nur langsam besser und wir gerieten in eine Landschaft, die einem dystopischen Endzeithorror entnommen schien. Fabrikruinen, entkernte Busse, abgehalfterte sowjetische Militärfahrzeuge, verfallene Wohnblocks und dazwischen ein paar abgerissene Figuren, die Obst und Second-Hand-Ware anboten. Wir fragten uns, an wen in dieser kargen, verlassenen Gerölllandschaft…
Dystopische Visionen in der Nähe der Stadt Rustawi südlich von Tiflis.
Ein letztes Bad und der Abschied hoch über der Stadt
Vor uns lag der letzte Tag in Tiflis, die Sonne ließ sich nach zwei bedeckten Tagen wieder blicken und wir wollten baden. Für diesen Zweck kam nach unseren Recherchen eigentlich nur der Tbilisi-Stausee in Frage, das Trinkwasserreservoir der Hauptstadt. Wir fragten unsere beiden Gastgeberinnen, wo denn der beste Ort sei und sie antworteten im Gleichklang: Gino Paradise – ein riesiges Spaßbad mit allem Drum und Dran am Westufer des Stausees und mit dem Auto nur eine halbe Stunde vom Tifliser Zentrum entfernt. Auf dem Kamm eines Höhenrückens machten wir ein herrliches Panorama-Foto von Tiflis und waren wenig später am See.
Allerdings war das Spaßbad just an diesem Tag geschlossen worden, weil sich nun auch in Tiflis die Corona-Fälle häuften. Noch immer deutlich weniger als in Deutschland, aber für die georgische Hauptstadt der bisherige Höhepunkt der Pandemie. Wir fragten am Eingang des Gino Paradise, ob sie zumindest einen Strand am See empfehlen könnten und bekamen den Stadtteil Temka genannt. Auf dem Weg dorthin bogen wir ein wenig zu früh von der Uferstraße ab, weil wir ein paar Angler mit ihren Geländewagen aus der Ferne fälschlicherweise für Badegäste gehalten hatten. Auf den wilden Pisten von der Straße zum See hätten wir beinah unser Auto verloren, welches für die teilweise erheblichen Verwerfungen eindeutig nicht gemacht war. Nur mit sehr viel Glück konnten wir uns wieder auf die Straße bugsieren. Nach alldem, was wir bislang erlebt hatten, wäre es geradezu grotesk gewesen, wenn wir in Tiflis gescheitert wären. Pannen können passieren, doch so etwas gehörte doch eher in einen der beiden Kaukasusse.
Letzte Badefreuden am Tbilisi-Stausee.
Wir fanden dann doch noch die richtige Ausfahrt direkt unterhalb der monumentalen „Chroniken Georgiens-Statue“. Die Algen waren ein wenig störend, doch die beiden Bademeister zeigten uns die richtige Stelle. Sie waren ganz offenkundig froh, aus ihrer Lethargie gerissen worden zu sein, denn außer uns gab es nur einen älteren Herrn und eine indische Austauschstudentin. Mit Russisch, Englisch und Georgisch kamen wir alle bald zu einem fröhlichen Plausch zusammen und es wurde ein würdiger Abschied von dieser wunderbaren Reise. Es hatte mit Badespaß begonnen und sollte damit enden. Natürlich erklommen wir bzw. unser Auto noch den Berg mit der Statue, von wo wir einen herrlichen Blick über den See auf der einen und den Norden der Hauptstadt auf der anderen Seite hatten. Danach ging es zum letzten Mal zurück in unser Viertel, wo wir die letzten Einkäufe erledigten und uns bald auf die Suche nach unserem vorerst letzten georgischen Festmahl machten. An der nahegelegenen Metekhi-Kirche erhielt ich von einer georgischen Reiseführerin den entscheidenden Tipp, wie wir auf das Terrassenrestaurant kämen, das wir schon die ganze Zeit über uns gesehen hatten. Ein paar Hinterhöfe, einen Aufzug und nochmal Fiebermessen später saßen wir hoch über der Stadt bei Fleischpfanne, scharfer Suppe, Teigtaschen und Wein.
Am nächsten Morgen wurde unser Auto für gut genug erachtet, es umstandslos und ohne Aufpreis zurückzunehmen. Der Flieger startete dieses Mal pünktlich, wir saßen rechts und konnten noch einmal die mächtige Kette des Hohen Kaukasus nachvollziehen. Wir hatten gewagt und gewonnen, denn schon bald wurde der Flugverkehr zwischen Europa und Georgien erneut eingestellt. Die SIM-Karte hatten wir den ganzen Urlaub nicht gebraucht und Sweta stellten wir als Dank unseren kakhetinischen Wein vor die Tür.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Davit Gareja: Die Beziehungen zwischen Georgien und Aserbaidschan sind eigentlich ganz gut. Andererseits hat Aserbaidschan gerade einen Krieg gegen eine andere benachbarte christliche Nation begonnen, geführt und gewonnen. Insofern sollte man das Risiko gut wägen und auf die Auskünfte der Einheimischen vertrauen. Die Lawra bzw. das Hauptkloster gehört ohnehin zu Georgien. Auch der Berghang sollte kein Problem sein. Von dort sind es nur ein paar Meter zu den Kammern auf der anderen und nun schon aserbaidschanischen Seite. Allerdings wird man nur mit viel Glück so weit kommen, weil die georgischen Grenzer aktuell angehalten sind, keine Touristen mehr durchzulassen.
Die Straße aus Sagarejo ist in nahezu einwandfreiem Zustand und passiert auf etwa der Hälfte der Strecke einen pittoresken Salzsee. Auf dem Weg zurück kann man durchaus die Offroad-Piste versuchen. Sehr steinig, doch für Leib und Leben vollkommen ungefährlich. Allerdings besteht nach wie vor das Risiko eines geplatzten Reifens und möglicher Lackschäden durch Steinschlag.
Der Stausee von Tiflis ist ein geeignetes Ausflugsziel, wenn man in der Stadt die wesentlichen Sehenswürdigkeiten schon besichtigt hat. Gino’s Paradise ist ein typisches Spaßbad und vermutlich vor allem für Kinder ein Traum. Von Avlabari sind es nur 15 Minuten mit dem Auto und es bieten sich während der Fahrt einige herrliche Blicke auf die georgische Haupstadt.
Im Norden des Sees ist das Monument der Chroniken Georgiens ein hervorragendes Beispiel des Brutalismus. Fährt man von dort den Berg hinunter in die nördlichen Randbezirke der georgischen Hauptstadt bieten sich einige weitere Anschauungsobjekte dieser bemerkenswerten Architektur-Epoche – das Archäologische Museum, das Audimax der Tifliser Universität, das Hauptgebäude der Bank von Georgien oder einige äußerst brutale Wohnblocks.
Der lokale Anbieter Brutal Tours bietet Spaziergänge zu diesen Orten an. Deren Motto lautet: „In concrete we trust!“.