Ein eisiger Hochgebirgssee, Kutaissi und der Abschied in Tbilissi
Osterferien 2024. Wieder einmal Georgien. Mittlerweile zum sechsten Mal. Wir waren ins westgeorgische Kutaissi geflogen und mit dem Mietwagen zunächst ans Schwarze Meer zu den Magnetstränden von Ureki gefahren. Eine Bootsfahrt durch das Rioni-Delta und am Tag darauf – an heilenden Thermalquellen vorbei – nach Okatse ins Vorland des Hohen Kaukasus. Von dort immer weiter hinauf in die Weinbauregion Racha, wo uns der Winter ereilte. Was ungemütlich begann, wandelte sich bald in einen einzigen Traum aus Eis und Schnee. Zumal ich hier miterleben durfte, wie sich Georgien für die EM in diesem Sommer in Deutschland qualifizierte. Pure Ekstase.
Von Racha wieder hinunter nach Gori in Stalins Geburtsstadt und weiter in den äußersten Südosten Georgiens, wo wir im Vashlovani-Nationalpark abenteuerliche Ostern verlebten. Tsalka am gleichnamigen Canyon war der vorerst letzte Stopp gewesen. Wir waren zum ersten Mal in Niederkartlien, der ethnisch-kulturell äußerst vielfältigen und auch landschaftlich reizvollen Region im Süden des Landes an der armenischen Grenze.
Nun kamen wir auf die Zielgerade. Eine lange Fahrt nach Kutaissi, den Wagen abgeben, mit dem Zug nach Tbilissi und dort die letzten anderthalb Tage.
Die höchsten Höhen des Kleinen Kaukasus.
Noch einmal durch Eis und Schnee
Heute stand die letzte und zugleich längste Fahrt an. Eigentlich wäre es schneller gewesen, zurück nach Tbilissi zu fahren und von dort auf die Autobahn nach Kutaissi, doch ich wollte einen schönen Kreis machen und keine Wege beschreiten, die ich schon kannte. Also nach Westen bis fast an die armenische Grenze, dann wieder hoch bis Akhalzikhe, weiter dem Durchbruch der Kura durch den Kleinen Kaukasus folgend, an Borjomi vorbei nach Chashuri und dort auf die Autobahn, von der wir hofften, dass die Chinesen sie endlich zu Ende gebaut hätten. Laut Google.maps sechs Stunden reine Fahrzeit. Am Ende waren wir zufrieden, dass wir es so gemacht haben, denn vor allem der Abschnitt am Paravani hatte es in sich. Der größte georgische See war noch immer zugefroren und die Fahrt dort vorbei ein einziger Wintertraum. Die Straße war neu, fast leer und überall vom Schnee geräumt, sodass wir schnell vorankamen. Den Rest der Strecke kannten wir schon, sodass wir uns da und dort nostalgisch an frühere Reisen erinnerten.
Der Paravani – Georgiens größter See – ist kaum zu erkennen, weil noch vollständig zugefroren. Es ist die weiße Fläche zwischen dem Dorf und den Bergen.
Hinter Chashuri bildet der Surami-Gebirgszug eine Verbindung zwischen dem Kleinen und dem Hohen Kaukasus, markiert zugleich die Grenze zwischen Ost- und Westgeorgien sowie die Wasserscheide zwischen Rioni und Kura, Schwarzem und Kaspischem Meer. Hier muss jeder durch, der von Tbilissi ans Schwarze Meer möchte. Seit einigen Jahren arbeiten chinesische Arbeiter daran, diese topografische Herausforderung zu meistern und die Ost-West-Autobahn zu vollenden. Wir mussten schon einige Male diese knapp 70 Kilometer lange Dauerbaustelle durchfahren und hatten zwischen all den keuchenden Lastern keinerlei Freude daran. Dieses Mal zeigte sich jedoch, dass weite Teile der Strecke schon in Betrieb sind und es womöglich nicht mehr lange dauert, bis man ungestört hindurchrasen kann.
An der Khertvisi-Festung erreichten wir wieder den Lauf der Kura. 2022 waren wir schon einmal hier gewesen.
Die Straßenkatzen von Kutaissi
Kutaissi war schon kurz nach 15 Uhr erreicht. Zunächst hatten wir etwas Mühe, alles Nötige mit unserem Apartment zu klären, was uns aber Zeit gab, in Ruhe auszupacken und unsere Sachen zu ordnen. Wir hatten wohlweislich etwas in der Nähe des Bahnhofs gebucht, weil morgen Mittag von dort unser Zug in Richtung Tbilissi fuhr. In die Innenstadt hingegen war es ein halbstündiger Fußmarsch. Weil wir ohnehin noch tanken mussten und den Mietwagen bis zum Abend behalten durften, nahmen wir kurzerhand das Auto.
Bei unserer Ankunft in Kutaissi war es noch heiß gewesen, doch nun setzte starker Wind ein, der zudem viel Sand mit sich führte. Draußen zu essen war keine gute Idee gewesen. Nicht nur wegen des Windes, sondern weil uns die Straßenkatzen nervten. Soana nahm mir unfassbar übel, dass ich einer einen leichten Tritt verpasst hatte, doch die hatte fast auf ihrem Teller gesessen. Ich bin auch tierlieb, doch wenn die Viehcher ihren Speichel mit meiner Tochter teilen wollen, ist der Spaß vorbei. Wir hätten ins Sisters gehen sollen. Das beste unter allen Restaurants, die wir auf unseren vielen Reisen nach Georgien bislang besucht hatten. Exzellente Küche, traumhafte Inneneinrichtung und perfekter Service. Ins Hacker-Pschorr wollten wir nur wegen der Terrasse und die wurde uns nun zum Verhängnis.
Kutaissi – die drittgrößte Stadt Georgiens.
Wir drehten noch eine kurze Runde durch die Stadt. Der Markt von Kutaissi ist der schönste von allen in Georgien. Von dort zum zentralen Platz mit dem berühmten Kolchis-Brunnen und anschließend durch die Gassen der Innenstadt und über die Fußgängern vorbehaltene „Weiße Brücke“ zurück zum Auto.
Abschied vom Auto
Die letzte kurze Fahrt führte am Westufer des Rioni entlang zurück zum Apartment. Wir waren auch auf dieser Reise wieder sehr lange im Auto unterwegs gewesen und ich dankte Soana von Herzen, dass sie so fantastisch mitgemacht hatte. Wir hatten Disco gespielt und uns, einer nach dem anderen, Songs auf YouTube rausgesucht, was über Stunden hinweg hervorragend funktioniert hatte. Gegen Soanas Reiseübelkeit auf den vielen Serpentinen hatten die aus Deutschlands mitgebrachten „Anti-Kotz-Kaugummis“ perfekt geholfen.
Der Kolchis-Brunnen im Zentrum von Kutaissi.
Die Rückgabe des Autos funktionierte wieder gut. Papuna, mein Freund von der Agentur Cars4Rent, war nur fünf Minuten nach meinem Anruf da. Allerdings musste ich irgendwo die Plastikverdeckung des linken Rücklichts beschädigt haben und hätte dies wohl an Ort und Stelle der Versicherung mitteilen sollen. Ich hätte zwar mit Vollkasko gemietet, doch wenn ich mich nicht an die Mitwirkungspflichten hielte, würden die nicht zahlen. Ich fand das ein bisschen merkwürdig, weil erstens habe ich gar nicht gemerkt, wie der Schaden entstanden war, zweitens war er minimal und drittens könnte man ja auch jetzt noch die Versicherung benachrichtigen und behaupten, dass es gerade eben passiert sei. Im Allgemeinen hege ich aber großes Vertrauen in die Jungs von Cars4Rent und die angebotene Lösung war akzeptabel. Mit den beiden Strafzetteln zusammen sollte ich 300 Lari, also knapp 100 Euro, zahlen. 70 für die Tickets und 30 für das Rücklicht. Fair enough, zumal mir Papuna sagte, dass bei jeder Schadensmeldung in Georgien obligatorisch ein polizeiliches Strafticket in Höhe von 250 Lari fällig wird. Auch das erschien mir komisch, stellte sich aber nach einer kurzen Recherche im Netz als wahr heraus. Die Georgier sollen auf diese Weise zu mehr Achtsamkeit im Verkehr trainiert werden. Ein hehrer Zweck, der viele Mittel heiligt, wie ich fand. Ich konnte mir zumindest diese Strafe ersparen und freute mich im Nachhinein über den guten Deal.
Mittlerweile hatte der Wind Orkanstärke angenommen. Wir hatten uns auf einen lauschigen Sommerabend gefreut, doch nun flog auf der Terrasse alles durcheinander, wurde es reichlich ungemütlich.
Am Bahnhof von Kutaissi.
Die georgische Eisenbahn – zum ersten Mal
Der Zug nach Tbilissi fuhr am nächsten Tag erst kurz nach 12 Uhr mittags. Unser Vermieter hatte uns netterweise erlaubt, bis dahin im Apartment zu bleiben. Also zum ersten Mal Ausschlafen auf dieser intensiven Reise. Nach einem trägen und faulen Vormittag ließen wir Geld und Schlüssel im Zimmer und machten uns über einen kleinen Schleichweg auf zum nur hundert Meter entfernten Hauptbahnhof.
Kutaissi liegt etwas abseits der Ost-West-Route vom Schwarzen Meer nach Tbilissi, weshalb hier nur wenige Züge halten und nur einmal am Tag eine Verbindung nach Tbilissi bereitsteht. Die meisten Reisenden nutzen daher den Bahnhof Rioni zehn Kilometer südlich der Stadt, wo bis zu fünf Züge am Tag halten, die zudem moderner und schneller sind als das altersschwache Stahlross, in das wir gerade einstiegen. Die Tickets hatte ich online schon in Berlin gekauft – drei Euro pro Person. Sie mussten zusammen mit den Reisepässen schon beim Einstieg vorgezeigt werden. Unsere Plätze zu finden, war nicht schwierig, denn es gab nur einen Waggon und wir hatten die Sitze 1, 2 und 3 gebucht. Fotos am Bahnhof zu machen, ist verboten, worüber sich eine russische Familie heftig echauffierte, was ich außerordentlich frech fand, weil Georgien diese Regelungen vermutlich ausschließlich für diese Klientel erlassen hatte. Mir war es zumindest gelungen, aus dem Zug heraus das Bahnhofsportal und das große Reiterstandbild davor abzulichten.
Hier in Chashuri waren die Berge des Surami-Massivs überwunden.
Wir mussten zunächst nach Süden auf die Stammbahn. Die Stichstrecke hinein nach Kutaissi wird offenkundig nicht sehr häufig befahren, denn wir ruckelten im Schritttempo dahin. Nachdem das geschafft war, gab es einen langen Halt am Bahnhof Rioni mit allerlei Rangieren und Ankoppeln. Unser Zug war nun auf die dreifache Länge angewachsen. Hinter Sestaponi begann der Surami-Gebirgszug, durch den sich jeglicher Verkehr zwischen West- und Ostgeorgien, dem Schwarzen Meer und Tbilissi hindurchkämpfen muss. Eine schöne Fahrt durch bewaldete Berge und einsame Dörfer, die mitunter nur von der Eisenbahn versorgt wurden. Da und dort konnte man erkennen, dass parallel zur Autobahn eine moderne Schienentrasse durch diese Berge gelegt wird. Das wird die Reisezeit vermutlich deutlich verkürzen, während wir allein für diesen knapp 60 Kilometer langen Abschnitt mehr als zweieinhalb Stunden benötigten.
Im Tal der Kura östlich von Gori.
In Chashuri war es geschafft und endlich die Ebene der Kura erreicht. Von hier konnte die Lok beweisen, dass sie doch noch was draufhatte, und so knatterten wir mit bemerkenswerter Geschwindigkeit immer am Fluss entlang bis nach Tbilissi. Mit herrlichen Blicken m Wegesrand. Auf Gori mit seiner Festung auf das Höhlenkloster Upliszikhe und auf die alte Hauptstadt Mtskheta. Es war schön, diese uns schon recht bekannte Landschaft aus einer völlig neuen Perspektive zu genießen. Wir waren in Kartli, dem Herzland Georgiens, was daran abzulesen ist, dass der georgische Name für Georgien – Zakartvelo – davon abgleitet ist.
Auf dem Weg nach Tbilissi.
Die ersten Stunden in der Hauptstadt
Mit leichter Verspätung von knapp 20 Minuten fuhren wir gegen halb sechs in den Hauptbahnhof ein. Es war vollkommen klar, dass Aus- und Umstieg ins Taxi mit all den Klamotten stressig werden würde. Behindertengerecht war hier nichts. Am Bahnhofsvorplatz bestellte ich mit der russischen Yandex-App ein Taxi. Elnur, unser Fahrer, kam aus Aserbaidschan und berichtete traurig von den politischen Verhältnissen in seinem Land. Offenkundig ist er kein Freund des herrschenden Aliyev-Clans und wohl deshalb im freien Tbilissi. Für Georgien war kein Visum nötig, wiewohl er am liebsten gleich weiter in die EU gezogen wäre.
Wir hatten die richtige Adresse auf Anhieb gefunden und Elnur war auch noch so freundlich, mit den Koffern zu helfen. Der Vermieter hatte mir die Zugangscodes aufs Handy geschickt – zum einen für die Haustür und zum anderen für die Schlüsselbox vor der Wohnung, was beides gut funktionierte. Wir waren begeistert. Ein herrliches Apartment mit zwei großzügigen Schlafzimmern, einem großen Bad, Küche und Balkon. Liebevoll, fast schon antiquarisch, eingerichtet und bestens ausgestattet. Es gab alles. Vom Bügeleisen bis zum Zahnstocher.
Am Hauptbahnhof von Tbilissi.
Und auch die Location hätte kaum besser sein können, denn unter uns tobte das Leben, reihten sich Bars, Clubs und Supermärkte aneinander, genoss die Jugend von Tbilissi das Leben. Wir hatten schon einige schöne Unterkünfte in Tbilissi gehabt, doch diese hier war die Beste. Darin waren wir uns einig. Ich hatte mit großer Absicht im Norden der Stadt gebucht, wo es weniger touristisch ist und wir uns noch nicht so gut auskannten. Mal was Neues sollte es sein. Über das Viertel Vera zwischen Rustaveli-Platz und städtischem Zoo hatte ich viel Gutes gehört und die ersten Eindrücke wurden dem gerecht. Kleine enge Straßen und überwiegend Altbausubstanz.
Nur 600 Meter die kleine Querstraße hoch lag mit der Wine-Factory No. 1 eine der ersten Adressen für gehobene Gastronomie in Tbilissi. Ein Areal mit gleich mehreren erlesenen Restaurants, die für uns allerdings ein wenig zu fancy und auch ein wenig teuer daherkamen. Ausschlaggebendes Argument jedoch war, dass Soana auf Burgern, Matschkartoffeln oder Nudeln mit Ketchup bestand, hier aber an derartige Trivialitäten nicht zu denken war. Wir wurden in einer kleinen Seitengasse fündig, im Piacere, wo kleine Snacks vom Hotdog bis zum Flammkuchen stilvoll arrangiert werden und die Preise nicht so heftig sind. Erstklassiger Service, angenehme Atmosphäre, leckeres Essen. Englisch wurde wie selbstverständlich verstanden und gesprochen. Nach all den Dörfern war es gut, mal wieder in der Stadt zu sein und all die Progressivität, Kreativität und Vielfalt zu genießen. Passend dazu prangten an jeder Hausecke blau-gelbe Flaggen, wurde in etlichen Graffitos darauf hingewiesen, dass sich das freie Europa gegen das faschistische Russland verteidigen müsse. Nicht zuletzt hier in Georgien, wo kurz nach unserer Abreise schon wieder ein Agentengesetz nach russischem Vorbild eingebracht wurde und zehntausende Menschen dagegen protestierten.
Der Rustaveli-Platz in der Nähe unseres Apartments.
Spaziergang durch den Norden der Hauptstadt
Am letzten Tag der Reise sollte Soana auf ihre Kosten kommen. Seit der Ankunft in Kutaissi hatten wir sie immer wieder vertröstet, verwiesen dabei stets auf diesen letzten Tag, wo wir ganz sicher den Kinderpark von Tbilissi besuchen würden. Hoch oben auf dem Mtatsminda-Berg mit seinen fantastischen Aussichten. Doch weil der Park erst am frühen Nachmittag so richtig zum Leben erwacht, wollten wir zunächst durch Tbilissis Norden streifen, der uns bislang weithin unbekannt war. Zunächst in die Akhvlediani-Straße, wo an den Abenden in den Bars das Leben tobt, vormittags allerdings deutlich weniger los ist. Immerhin konnten wir zum letzten Mal Geld tauschen und in einer Art Lesecafé ein reichhaltiges Frühstück einnehmen.
Anschließend über den Rustaveli-Platz und den gleichnamigen Boulevard in Richtung Norden zum Vera Park, wobei unbedingt ein Abstecher zum Blauen Kloster empfohlen sei. Eine der schönsten Kirchen Tbilissis und eine Oase der Ruhe inmitten des großstädtischen Trubels. Nicht zuletzt mit schönen Blicken hinunter auf die Kura und deren östliches Ufer mit dem Gründerzeitviertel Marianishvili.
Auf der Tamar-Mepe-Brücke.
Dezerter-Markt und Paitschadse-Stadion
Weiter führte unser Weg an der Konzerthalle Tbilissis vorbei die Kostava-Straße hinunter zum Heldenplatz mit seinem Obelisken und dahinter zur Königin-Tamar-Brücke über die Kura. Auf dem jenseitigen Ufer angekommen, waren wir nicht mehr weit vom Hauptbahnhof entfernt, wo wir am Tag zuvor angekommen waren. Kurz davor bogen wir nach links ab, um mit dem Dezerter-Basar einen der größten Freiluftmärkte der Stadt zu besuchen. Enttäuschend allerdings und nicht ansatzweise so gemütlich wie der Zentralmarkt von Kutaissi. Immerhin jedoch konnte ich etwas weiter nördlich ein Foto vom Boris-Paitschadse-Stadion schießen, wo zehn Tage zuvor der Funke gezündet hatte, der das ganze Land zum Explodieren brachte, Nika Kvekveskiri den entscheidenden Elfmeter versenkte, der Georgien zum ersten Mal zu einem großen Turnier brachte – der EM 2024 im Sommer in Deutschland.
Hier hatte sich Georgien zehn Tage zuvor für die EM qualifiziert, was die gesamte Nation förmlich explodieren ließ.
Die Yandex-Taxi-App ist schon recht praktisch. Nach nur zwei Minuten kam es heran. Uns erwartete eine halbe Stadtrundfahrt von einem Ende Tbilissis zum anderen. Für umgerechnet fünf Euro. Durch das Gründerzeitviertel Marianishvili, über die Baratashvili-Brücke in die Altstadt, vorbei am zentralen Freiheitsplatz, durch das Sololaki-Viertel und dann in vielen Kehren hinauf auf den Mtatsminda-Berg. Auf halber Höhe passierten wir die Residenz von Bidsina Iwanischwili, des reichsten Oligarchen des Landes, der die Regierungspartei „Georgischer Traum“ kontrolliert und einen Schmusekurs gegenüber den russischen Okkupanten vertritt. Iwanischwili bedeutet „Sohn des Iwan“. Nomen est omen. Niemand weiß, wie er in den 1990er Jahren in Moskau zu diesem sagenhaften Reichtum gelangt ist und was man im Kreml gegen ihn womöglich noch in der Tasche hat.
Endlich in Mtatsminda
Doch zurück zum Kinderpark. Ein ausgreifendes Areal auf dem Gipfelplateau des Mtatsminda, des 730 Meter hohen Hausberges von Tbilissi. Mit herrlichen Spazierwegen, Imbissen, dem Fernsehturm, einem Riesenrad und der Bergstation der Zahnradbahn. Letztere versehen mit einem monumentalen Portal und einem großen Ausflugsrestaurant. Allerorten fantastische Sichten über die Stadt. Über das Zentrum, den Süden oder den Norden. Je nachdem, von wo am Berg man gerade hinunterschaut. Bezahlt wird mittels einer Guthabenkarte, die in unserem überaus aufmerksamen Apartment schon ausgelegen hatte und die man an verschiedenen Stationen im Park aufladen kann.
Blick vom Mtatsminda-Berg auf Tbilissi.
Das Vergnügen ist aufgeteilt in drei Zonen. Eine für Kleinkinder, eine für mittlere um die zehn Jahre und eine für die Jugendlichen und Übermütigen. Für Soana mit ihren acht Jahren passte die mittlere ganz gut. Sie hatte erkennbar Spaß und wir beruhigten unser Gewissen. Schließlich hatten wir sie schon wieder durch einen solchen Stakkato-Urlaub gehetzt. Mit all den langen Fahrten und dem frühen Aufstehen. Im Streichelzoo tat sie das, womit sie schon den halben Urlaub verbracht hatte – Tiere füttern. Anschließend hatte ich noch versucht, sie in die Achterbahn zu schmuggeln, doch das misslang. Beim Alter hatte ich gelogen, doch die gingen hier nach Körpergröße und da lässt sich schwer was machen. Stattdessen sind wir noch einmal mit dem Riesenrad gefahren und genossen die Blicke über die Stadt.
Nur Stalins Mutter durfte bleiben
Hinunter und zurück ins Zentrum nahmen wir den Fußweg, weil ich Solongo auf halber Höhe das Pantheon der georgischen Geistesgrößen zeigen wollte. Die meisten Blumen lagen auf dem Grab von Swiat Gamsakhurdia. Er hatte das moderne Georgien in die Unabhängigkeit geführt und wurde drei Jahre später – mutmaßlich vom russischen Geheimdienst – ermordet. Das Pantheon hatte es schon zu Sowjetzeiten gegeben, doch mit der Unabhängigkeit sind all die grauen Parteibonzen durch echte Koryphäen ersetzt worden, finden sich seitdem hier die sterblichen Überreste von Akaki Tsereteli, Ilja Chavchavadse, Lado Gudiaschwili und vielen anderen großen Künstlern des Landes. Lediglich Stalins Mutter durfte bleiben, weil Sippenhaft auch in Georgien verpönt ist.
Das Pantheon von Tbilissi.
Hinter dem Pantheon begann wieder die Stadt und nach weiteren 20 Gehminuten waren wir am Freiheitsplatz. Direkt zum Apartment wäre es noch etwas näher gewesen, doch Soana und auch ich wollten mindestens einmal mit der Metro fahren. Die langen Rolltreppen und die alten kreischenden Waggons sowjetischer Bauart hatten es uns irgendwie angetan.
Ein kurzer letzter Abend
Es war schwierig, etwas Passendes zum Abendessen zu finden. Das Alubali-Restaurant, das man uns empfohlen hatte, machte einen hervorragenden Eindruck, doch leider tagte hier eine geschlossene Gesellschaft. Und in der Akhvlediani-Straße nebenan waren wir erkennbar zu früh. Ohnehin wird dort eher dem Alkohol zugesprochen und weniger gespeist. Dann musste halt die Pizzabäckerei herhalten, wo immerhin alles frisch zubereitet wurde.
Die endlosen Rolltreppen der sowjetischen Metros.
Weil unser Flug am nächsten Morgen unanständig früh schon um 5:20 Uhr abhob, wollten wir es nicht übertreiben, hatten aber noch ein wenig Zeit für die letzten Gläser Wein in der hippen Straße bei uns um die Ecke. Wir beschlossen, dass wir beim nächsten Mal wieder hier im Norden im Vera-Viertel unterkommen wollen, bestenfalls im gleichen Apartment. Schließlich waren wir nun schon zum x-ten Male in dieser bezaubernden Stadt, hielten uns nicht mehr für Touristen, sondern fast schon für Einheimische, wollten dort sein, wo die georgische Jugend ihren Spaß hat.
Zurück nach Berlin
Wir mussten um zwei Uhr mitten in der Nacht aufstehen. Ein Yandex-Taxi brachte uns zum Flughafen und wir konnten aus dem Seitenfenster beobachten, wie das Nachtleben tobte. Es war eine gute Idee gewesen, die Reise hier in der Hauptstadt zu beschließen Mit Wizz Air von Kutaissi wären wir zwar direkt geflogen, hätten am letzten Abend aber gar nicht mehr gewusst, wie wir uns die Zeit vertreiben sollen. Ganz anders Tbilissi, wo es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.
Im Jahre 2019 waren wir das erste Mal am Flughafen in Tbilissi angekommen.
Meine letzten Lari reichten gerade so für zwei Stangen Zigaretten im Duty-Free. Wir flogen mit LOT Polish Airlines. Die Maschine, die uns von hier nach Warschau bringen sollte, stand pünktlich bereit. Beim Abflug genossen wir noch einmal fantastische Blicke auf Tbilissi im Morgengrauen. In Warschau hatten wir planmäßig einen Aufenthalt von knapp zweieinhalb Stunden, wobei sich die Maschine nach Berlin aber etwas verspätete. Dank der Zeitverschiebung waren wir aber dennoch schon um zehn Uhr morgens am BER. Erstaunlicherweise war es dort viel wärmer als in Tbilissi.
Die nächste Georgien-Reise ist schon geplant. Dieses Mal im Sommer, weil es hochgehen soll nach Tuschetien und Khvvsuretien im Hohen sowie nach Bakhmaro im Kleinen Kaukasus. Vielleicht können wir dann behaupten, alles Sehenswerte gesehen zu haben, doch vermutlich wird uns dieses großartige Land auch danach noch zum Staunen bringen. Ist ihm bislang schließlich auch stets gelungen.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Der Kleine Kaukasus lässt sich auf Asphalt derzeit nur im Durchbruchtal der Kura durchqueren, was einem Nadelöhr auf dem Weg vom Süden in den Norden des Landes gleichkommt. In den Sommermonaten bestehen einige Alternativen, die aber jeweils über steinige Passwege führen und ein geländegängiges Fahrzeug voraussetzen. So vom oberen Adscharien über den Chidila-Pass nach Bakhmaro, von Abastumani über den Zageri-Pass nach Baghdati oder von Tsalka in die Ateni-Schlucht und weiter nach Gori.
Zageri-Pass zwischen Abastumani und Baghdati.
Die Autobahn von Tbilissi nach Kutaissi und weiter ans Schwarze Meer nach Batumi soll 2026 fertiggestellt sein. Dann wird sich die Fahrzeit aus dem Osten in den Westen des Landes deutlich verkürzt haben. Schon jetzt sind weite Teile des topografisch anspruchsvollen Lückenschlusses durch das Surami-Gebirge in Betrieb. Parallel wird eine neue Eisenbahntrasse gelegt.
Die Fahrt mit der Eisenbahn von Kutaissi nach Tbilissi ist ein einzigartiges Erlebnis. Die Tickets sollte man bestenfalls schon online auf der Webseite der Georgischen Bahn gebucht haben. Wenn man mit dem Taxi zum zehn Kilometer südlich von Kutaissi gelegenen Bahnhof Rioni fährt und dort erst zusteigt, vergrößert sich die Zahl der Alternativen erheblich, kann man auch auf einen Zug modernerer Bauart hoffen. Der Hauptbahnhof von Tbilissi ist nicht behindertengerecht.
Ein Zug der georgischen Bahn quält sich durchs Surami-Gebirge.
Der Teil Tbilissis nördlich des Zentrums auf dem westseitigen Kura-Ufer hat sich zum populärsten Ausgehbezirk Georgiens gemausert. Vor allem deshalb, weil die meisten Universitäten der Stadt in der unmittelbaren Nähe beheimatet sind. Touristen trifft man hier deutlich seltener als im Zentrum. Vera strahlt eher studentisches Flair aus, während das noch weiter westlich gelegene Vake als gehobene Wohngegend gilt, entsprechend exklusiv und teuer daherkommt.
Vom Mtatsminda-Berg wieder hinunter in die Stadt gibt es etliche Wege. Je nachdem, welches Viertel man ansteuert. Mir erscheint es ratsam, mit Zahnradbahn, Bus oder Taxi hinaufzufahren und mit der Schwerkraft im Bunde zu Fuß wieder zurück. In der entgegengesetzten Richtung kann es schweißtreibend werden, vor allem im Sommer.
LOT – Polish Airlines, Air Baltic oder auch Ukraine International boten vor dem russischen Überfall auf die freie Ukraine die besten Umsteigeverbindungen. Seitdem der russische Luftraum für die westlichen Airlines gesperrt ist, hat sich der Vorteil der Lage aufgelöst, ist es fast egal, mit welcher europäischen Linie man fliegt. Direktverbindungen aus Deutschland nach Tbilissi bestehen derzeit nur mit Eurowings von Düsseldorf und mit Lufthansa ab München. Georgian Airways hatte vor einigen Jahren noch Berlin-Tbilissi im Programm, musste im Zuge der Corona-Pandemie und des russischen Touristenboykotts aber leider Insolvenz anmelden.