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Ostwärts Reisen

Eine Stadt macht Pause vom Krieg

Meine Mädels waren in der Mongolei. Corona ließ mich weder nach Japan noch nach Aserbaidschan. Ich hatte etwas Zeit und wollte zumindest einen kleinen Anteil bei der Hilfe für die Ukraine leisten. Zusammen mit einer Familie und deren Freundin ging es mit meinem Skoda Fabia von Berlin über das ostpolnische Rzeszów nach Kiew. Eine spannende, melodramatische und mitunter auch sehr lustige Fahrt, die ich niemals vergessen werde. Vor allem wegen meiner neuen Freunde. Nach zwei Tagen im Auto und noch einmal anderthalb in einer kleinen Plattenbauwohnung brauchte ich meinen Freiraum und suchte mir ein Apartment in der Innenstadt. Dank Putin sehr günstig. Zwei Zimmer, großer Balkon, Küche mit allem Drum und Dran, hervorragende Ausstattung und sogar ein Jacuzzi. Direkt neben dem Maidan an der Kiewer Prachtmeile Khreschtschatyk. 20 Euro pro Nacht.

In diesem Hof lag mein Apartment. Direkt am Khreschtschatyk und neben dem Maidan.

Kiew – Jerusalem des Ostens

Ich hatte mich von Anna, Jevgeni und ihrer 14jährigen Tochter Nasstja vorläufig verabschiedet, doch wir blieben in Kontakt. Die Vermieterin meines Apartments konnte mir erst in einer Stunde die Schlüssel bringen und so schlenderte ich mit den Koffern ein wenig herum.

Zunächst über den Maidan, der direkt neben meinem Apartment begann. Hier hatten sich 2004 und 2014 in dramatischen Kämpfen die Geschicke der Ukraine entschieden. Und spätestens 2014 war klar, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer nie wieder in diesen Sumpf aus Korruption, Zynismus und Menschenverachtung reißen lassen wollen. Putin hatte dies mit seinem Krieg beantwortet. Wie heißt es so schön: Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein.

Der Maidan ist eines der hübscheren Beispiele des Sowjet-Klassizismus. An der Stirnseite, wo der Kiewer Prachtboulevard Khreschtschatyk kreuzt, erhebt sich das 63 Meter hohe Denkmal für die ukrainische Unabhängigkeit. Dahinter thront auf einer Anhöhe das ebenfalls im Stil des Neoklassizismus gehaltene Hotel Moskva, welches seit einigen Monaten den neuen Namen Hotel Ukrainu trägt. Im Norden erstreckt sich eine weitläufige Flaniermeile, an der sich in guten Zeiten etliche Souvenir- und Imbissstände finden ließen. Aktuell konnte man aber nur patriotische T-Shirts und Schals kaufen und Klopapier mit dem Konterfei V. V. Putins. Abgeschlossen wird der Platz von Wohnhäusern, wie man sie aus der Berliner Karl-Marx-Allee kennt. Wie halb Kiew, ist auch der Maidan komplett unterkellert, was bei der Verteidigung gegen das Janukowitsch-Regime seinerzeit von ungemeiner Bedeutung war.

Typische Wohnhäuser am Khreschtschatyk-Boulevard.

Der Khreschtschatyk ist die beeindruckendste sowjet-klassizistische Prachtstraße, die ich bislang gesehen hatte. Direkt gegenüber dem Innenhof mit meinem Apartment erhob sich das ausgreifende Kiewer Rathaus, der Arbeitsplatz von Vitali Klitschko. Über dem Eingangsportal prangte ein riesiges Plakat, welches Freiheit für die heldenhaften Verteidiger des Asow-Stahlwerks in Mariupol forderte. In der Ferne ließ sich das Gelände des Bessarabischen Marktes erkennen und dahinter der Finanzdistrikt. Ich wollte jedoch erst einmal meine Koffer loswerden und dann in die andere Richtung laufen, um mir die Parks am Dnepr und den Marienpalast zu erschließen. Meine Vermieterin war schon da, das Apartment geräumig, alles sauber. Also Koffer rein und wieder los.

Unter dem Bogen hatte bis vor Kurzem noch das Monument der Freundschaft zwischen Russen und Ukrainern gestanden. Nun war es demontiert worden…

Zu den Parks und zum Marienpalast kam ich nicht, weil die halbe Innenstadt gesperrt war. Namentlich das Regierungsviertel, was man verstehen kann, denn Putin hatte keinen Hehl daraus gemacht, den frei gewählten Präsidenten der Ukraine ermorden lassen und an seiner Stelle eine Marionette installieren zu wollen. Also nach links auf einen weiteren Hügel und von dort über den Gläsernen Steg zum Michaelskloster. Das Denkmal der Freundschaft zwischen dem russischen und dem ukrainischen Volk hätte eigentlich auf dem Weg gelegen, doch es war inzwischen demontiert worden. Übriggeblieben waren nur der große Triumphbogen und die herrliche Aussicht über die Stadt.

Das Michaelskloster ist der Sitz der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die sich vor wenigen Jahren vom russischen Patriarchat losgesagt hatte. Auf dem Platz zwischen dem Kloster und dem ukrainischen Außenministerium war erbeutetes russisches Kriegsgerät zu sehen. Panzer, Haubitzen, Raketen, sogar ein Jagdflugzeug und weiteres mehr. „World help us“, stand in großen Lettern geschrieben. Und anderer Stelle wurden die gefallenen ausländischen Freiwilligen aufgelistet. Mit weitem Abstand ganz vorne: Das kleine Georgien. Dahinter die Polen.

Erbeutetes russisches Kriegsgerät.

Meine erste georgische Beerdigung

Vom Michaelskloster zur pittoresken Andreaskirche hoch über der Stadt und weiter über das Historische Museum zum ausgreifenden Areal des Sophienklosters. Letzteres durfte ich umsonst besuchen, weil zeitgleich eine Abordnung des polnischen Militärs da war. Eigentlich war das Kloster zu diesem Zweck gesperrt, doch offenbar konnte ich den Richtigen mit meinen rudimentären Polnisch-Kenntnissen beeindrucken. Eine kurze Durchsuchung später war ich der Einzige, der sich neben ein paar Uniformierten dieses herrliche Ensemble anschauen durfte. Erbaut im elften Jahrhundert, war die Kathedrale nach dem Vorbild der Hagia Sophia im heutigen Istanbul geschaffen worden. Neben dem Höhlenkloster eine der beiden Kiewer UNESCO-Welterbe-Stätten.

Ich kam nun in den Teil des Zentrums, der erkennbar den schönen Dingen des Lebens gewidmet war. Galerien, Bars, Restaurants, Boutiquen, Straßenmusiker. Am Goldenen Tor von Kiew hätte man fast denken können, man wäre in einer normalen Metropole, wenn die allgegenwärtigen Panzersperren und Sandsäcke nicht gewesen wären. Und es war vermutlich auch weniger los als an einem vergleichbaren sonnigen Sommernachmittag vor dem Krieg.

Andreaskirche.

Ich wollte an Oper und Universität vorbei zur Metrostation, um von dort zum Höhlenkloster zu fahren. Fast direkt am Metro-Eingang erhob sich die prächtige Wladimir-Kathedrale aus dem 19. Jahrhundert. Als ich kurz hineinschaute, musste ich erkennen, dass dort gerade ein georgischer Freiwilliger zu Grabe getragen wurde. Im offenen Sarg – wie in der Orthodoxie üblich – und direkt an mir vorbei. Ein älterer, recht schmächtiger Mann mit Bart. Frau und Familie waren offenbar aus Georgien angereist. Daneben seine Kameraden, sowohl mit ukrainischen als auch mit georgischen Hoheitsabzeichen. Neben der U-Bahn und mitten in der Innenstadt, doch niemand ging einfach vorbei. Alle blieben stehen und bekreuzigten sich. Fast alle hatten Tränen in den Augen. Russland hat hier keine Freunde mehr..

Hier, in der Wladimr-Kathedrale, wurde gerade ein georgischer Freiwilliger zu Grabe getragen.

Das Kiewer Höhlenkloster

Die Metro in Kiew besteht aus drei Linien, soll wohl die tiefste der Welt sein und hatte während des russischen Angriffs Zehntausenden Schutz geboten. Davon war jedoch nicht mehr viel zu spüren. Bis auf den Umstand, dass sämtliche U-Bahnhöfe in und um das Regierungsviertel gesperrt waren. Ich wollte direkt am Dnepr aussteigen und dann den Hügel hochlaufen, doch da hielt die Metro nicht, sondern fuhr über den rechten Dnepr-Arm und stoppte auch nicht auf der Insel in der Mitte. Immerhin war ich nun auch einmal auf der anderen Flussseite gewesen, doch außer der typisch sowjetischen Wohnarchitektur gab es nicht viel zu sehen. Also zurück zur Station Arsenal. Von hier zu Fuß war es etwas weiter, aber doch machbar. Das Höhlenkloster teilt sich in eine obere und eine untere Lawra, ist das unumstrittene kulturhistorische Highlight nicht nur Kiews, sondern der gesamten Ukraine. Gegründet zu Beginn des elften Jahrhunderts, ist es einer der ältesten Sakralbauten auf dem Gebiet der ehemaligen Kiewer Rus. Ein riesiges Areal, das erst seit Kurzem wieder besichtigt werden konnte. Im oberen Teil beeindrucken die wiedererbaute Uspenski-Kathedrale und das Museum der historischen Kostbarkeiten der Ukraine. Der untere Teil ist ausgreifender und verwinkelter. Hier finden sich die uralten Höhlengänge, die dem Kloster seinen Namen gaben und in denen die ersten Mönche dereinst gelebt hatten. Die Höhlen boten auch mir Schutz, denn darüber tobte gerade ein schweres Gewitter. Als es wieder trocken war, lief ich weiter gen Süden zur imposanten Mutter-Heimat-Statue hoch über dem Dnepr. Ein solches Mahnmal lässt sich im Prinzip in jeder größeren Stadt zwischen Berlin und Ulaanbaatar besichtigen, doch hier hatte es eine gänzlich andere Bewandtnis erhalten. Die Verweise auf den Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in der Sowjetunion genannt wurde, waren entfernt, dafür gab es auch hier erbeutetes russisches Kriegsmaterial zu sehen, wehte vor der Mutter-Heimat-Staute eine riesige ukrainische Flagge, war an einem der Panzer ein Verkehrsschild angebracht, das den Weg in Richtung Moskau wies.

Die untere Lavra des Höhlenklosters und im Hintergrund die Mutter-Heimat-Statue.

Ich kann halt kein Ukrainisch

Mit der Metro wieder in die Innenstadt. Ein wenig enttäuschend, dass ich am Olympiastadion kein Dynamo Kiew-Trikot erstehen konnte, sondern nur solche von Schachtjor Donezk, welches dem problematischen ukrainischen Oligarchen Rinat Akhmetov gehört und auch modisch nicht viel hermachte. Auch die Suche nach einem geeigneten Restaurant gestaltete sich schwierig und allein essen ist ohnehin nicht sehr ersprießlich. Also entschied ich mich für Fast Food und konnte hinter dem Maidan den leckersten Schawarma bestellen, den ich jemals in meinem Leben gegessen hatte. Danach noch ein, zwei Bier in einer nahegelegenen Bar. Die Leute wollten kein Russisch sprechen, doch was soll man machen, wenn sie kein Englisch und ich kein Ukrainisch verstehe. Man mag das für stur halten, doch ich konnte das verstehen, denn gerade die Sprache wird seitens Russlands immer wieder zum Vorwand für Aggressionen genutzt. Nicht nur, aber vor allem in der Ukraine. Sie haben sich dann doch überwunden und es wurde ein interessanter Abend. Sie erzählten von den Wochen der Belagerung und es muss der blanke Horror gewesen sein.

Das Opernhaus von Kiew.

Eine weitere lange Fahrt und noch mehr Kiew

Am nächsten Tag hatte ich eine weitere Fahrt unternommen und kam erst spät in der Nacht zurück. Am darauffolgenden Nachmittag war ich bei Anna und Jevgeni auf der Datscha eingeladen, wollte mir vorher jedoch noch die eine oder andere Sehenswürdigkeit erschließen. Zunächst mit der grünen Metro in Richtung Nordwesten nach Babyn Yar. Hier hatten die Deutschen vor 80 Jahren innerhalb von 48 Stunden mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet. Es war das schlimmste Massaker unter der Ägide der Wehrmacht im gesamten Krieg. Vor ein paar Monaten war die Gedenkstätte erneut unter Beschuss geraten. Dieses Mal von russischer Seite. Nicht weit entfernt erhob sich mit dem Kiewer Fernsehturm das höchste Gebäude des Landes. Vermutlich hatten die Russen diesen treffen wollen, doch ihre Raketen sind eben nicht sonderlich präzise. Der Dauerregen passte zu diesem traurigen Ort.

Im Park von Babyn Yar.

Zurück in der Innenstadt, wollte ich ein Weilchen am Dnepr entlanglaufen. Es gab eine Fußgängerbrücke auf eine Insel im Fluss. Die weiten Badestrände waren zwei Tage zuvor noch belebt gewesen, doch nun herrschte wetterbedingte Tristesse. Also noch einmal zur Andreaskirche, denn ich hatte beim ersten Mal versäumt, den berühmten Andreassteig hinunterzulaufen und den Norden der Innenstadt zu durchwandern. Einige schöne Kirchen und weite Plätze. Etwas ruhiger als im Zentrum. Vom Kontraktovaya-Platz fuhr die Tram 12 direkt durch bis zu Anna, Jevgeni und ihrer Tochter Nasstja. Wir kamen fast zeitgleich an. Jevgeni von der Arbeit, Anna vom Arzt und ich aus der Innenstadt. Nasstja wollte zu Hause bleiben. Sie verließ ohnehin nur selten ihr Zimmer. Wozu auch. Schließlich waren ihre besten Freundinnen mittlerweile über halb Europa verstreut.

Der Andreassteig im Norden Kiews.

Zur Datscha ins Grüne

Das Haus lag etwas außerhalb im Norden der Stadt, weshalb wir zunächst den Checkpoint passieren mussten. Es war ein ruhiges Fleckchen mitten im Grünen. Zwei Etagen, insgesamt mehr als 200 Quadratmeter. Umgeben von einem kleinen Garten mit allerlei Obstbäumen und Gemüsebeeten. Alles viel geräumiger als in der Plattenbauwohnung. Die beiden Mädchen hätten endlich eigene Zimmer gehabt und auch die Oma wäre untergekommen. Und es gab sogar einen kleinen Wellnessbereich mit Sauna und Kaltwasserbecken. Allerdings hatten Anna und Jevgeni erst im vergangenen Jahr gekauft, war alles nur halbfertig. Jevgeni konnte Vieles selbst machen, denn er hat so einige Talente. Doch seit Ende Februar war nicht viel passiert. Warum auch? Vier der fünf Personen, die hier leben wollten, waren mittlerweile in Schwerin. Als wir darüber sprachen, konnte Anna nicht mehr an sich halten. Sie hatte sich bislang immer beherrscht, doch nun war es zu viel. Ich ging zum Rauchen raus und als ich wieder reinkam, hatte sie sich wieder beruhigt. Wir schnippelten Salat und Jevgeni bereitete draußen auf dem Grill Schaschlik und Köfte. Ich dachte, dass wir nun bald nach Hause fahren müssten, denn so langsam drohte die Ausgangssperre. Doch dann kamen noch Malina und ihr Mann und ein weiteres Pärchen zu Besuch. Sie erzählten, wie sie ihre Hündin auf der Flucht vor den russischen Besatzern zurücklassen mussten und wie sie sie wieder aufgefunden hatten. Ihr Gang war sehr breitbeinig. Niemand wusste, was sie ihr hinten reingesteckt hatten. Ob das eigene Glied oder etwas anderes. Womöglich eine beliebte Freizeitbeschäftigung zwischen Orenburg, Magnitogorsk und Magadan. Man hat ja sonst nichts zu tun. Keine Moskowiter, keine Petersburger. Sondern Habenichtse aus dem Schlamm, die in ihrem Leben vermutlich selbst viel Gewalt erfahren hatten. Vergiftet von der Propaganda und auf der verzweifelten Suche nach den ukrainischen Nazis bzw. nach jeder Kopeke. Bis auf den letzten Toaster hatten sie alles mitgenommen und nach Hause geschickt. Möge sie die gerechte Strafe ereilen.

Blick von der Terrasse von Jevgenis und Annas neuem Haus.

Eine Stadt wie Berlin

Die späten Gäste waren nicht lange geblieben, denn – wie gesagt – die Ausgangssperre. Wir räumten alles auf und dann zurück. Sehr schnell. Noch einmal am Checkpoint vorbei und mit Karacho in die Innenstadt. Ich sprang am Maidan heraus und hatte noch genügend Zeit für den Weg ins Apartment. Die beiden hatten es auch gerade so nach Hause geschafft.

Am letzten Tag in Kiew fuhr ich mit der Metro ganz in den Süden zur allsowjetischen Ausstellung. Ich kannte das schon von der VDNKh in Moskau. Die Architektur ähnelte dem russischen Vorbild, doch alles war eine Nummer kleiner. Weniger Glamour, dafür lebendiger. Mountainbike- und Skateboard-Parcours, viele Familien. Alles sehr sympathisch, doch auch hier überall Panzersperren und Sandsäcke. Auf dem Weg zurück stieg ich schon an der Olimpiiska-Station aus, um mir den Süden der Innenstadt zu erschließen. Durch den Schewtschenko-Park an der Uni vorbei, weiter durch den kleinen Finanzdistrikt und schließlich zum Bessarabischen Markt, dem größten und schönsten der Kiewer Märkte. Meine Mama, meine Frau und ich hatten auf unseren Reisen ein Faible für das spezielle Markttreiben in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion entwickelt. Zuletzt im georgischen Kutaissi. Das Gebäude machte was her und war wieder geöffnet, doch vermutlich müssen wir in Friedenszeiten noch einmal zurückkommen, denn es war nicht viel los. Immerhin gelang es mir, an den verschiedenen Zigaretten-Kiosken in der Nähe nach und nach 43 Schachteln Lucky Strike zu erwerben. Das musste sein, denn 75 Griwna sind weniger als zwei Euro.

Auf dem Gelände der ehemaligen All-Sowjetischen Ausstellung.

Am Ende dieses Spaziergangs wollte ich im Zentralen Kaufhaus ein Dynamo-Kiew-Trikot erstehen, doch auch hier wieder nur Schachtjor, dessen Besitzer, Rinat Achmetov, just an diesem Tag mehr oder weniger freiwillig sein russophiles Medienimperium aufgegeben hatte. Gut so. Und ich wollte noch einmal versuchen, mich an das Regierungsviertel heranzuschleichen und zumindest von Ferne ein Foto vom berühmten Haus mit den Chimären zu machen. Das gelang mir zwar, doch ich musste es löschen. Die Polizei hatte mich angehalten und selbst hier wollte niemand mit mir Russisch sprechen. Nachdem ich den Pass vorgezeigt und den Zweck meiner Reise erklärt hatte, war es wieder gut. Richtig verstehen konnte ich das aber nicht, denn vermutlich wird die Satellitentechnik auch In Russland genutzt.

Der Bessarabische Markt

Zum Schluss noch einmal zum Maidan. Direkt hinter den Absperrungen zum Regierungsviertel und hoch über dem Platz soll ein deutscher Architekt das Museum für den Holodomor errichten, den Hunger-Genozid an den Ukrainern während der Stalin-Zeit. Ich hoffe, dass dieser Plan trotz aller widrigen Umstände bald realisiert wird, denn immerhin sind seinerzeit sieben bis acht Millionen Menschen gestorben, machen sich Viele keine Vorstellung davon, wie die Ukraine während der Sowjet-Diktatur gelitten hat. Stepan Bandera ist sicherlich eine problematische historische Figur, doch man muss sich von der deutschen Perspektive lösen und anerkennen, dass aus ukrainischer Sicht Stalin nicht viel besser war als Hitler. Die Wahl zwischen Pest und Cholera, doch ganz ohne Partner geht es nicht. Aktuell kommen die Russen ständig mit diesen Analogien aus dem vergangenen Jahrhundert. Nazi heißt im Sinne der russischen Propaganda aber einfach nur nicht-russisch bzw. selbstständig. Weg von Hitler, Stalin und Bandera und zurück ins 21. Jahrhundert. Kiew hatte ich als liberale und aufgeklärte Metropole kennengelernt. Weit weniger Dekadenz, Homophobie und Faschismus als in Moskau. Keine arroganten Selfie-Tussen mit ihren aufgespritzten Lippen. Keine Polohemdenträger, die ihren (vermutlich gestohlenen) Reichtum zur Schau stellen, sondern eine entspannte Jugend mit Stil, Persönlichkeit, Geschmack und Moral. Eine selbstverständliche Atmosphäre der Freiheit. Allerdings auch sehr viel Hass und nach allem, was ich gehört und gesehen hatte, muss ich aufpassen, nicht auch dieser Krankheit zu verfallen.

Das Haus mit den Chimären. Foto: Bogdan Olyinik.

Noch ein paar Tipps zum Schluss

Kiew lohnt sich. Auch im Krieg. Die Stadt ist nach wie vor recht sicher. Zweimal hatte es Raketenalarm gegeben, doch Einschüsse wurden in dieser Zeit nicht registriert. Das Risiko scheint überschaubar, doch das kann sich wieder ändern. Beispielsweise, wenn es dem belarussischen Diktator Lukaschenka gefällt, endgültig und vollends in den Krieg einzutreten. Die Grenze ist nur hundert Kilometer entfernt.

Nach dem Winter hat sich wieder etwas Normalität eingestellt, gibt es Strom und Wasser, fahren die Metros und sind die Auslagen der Supermärkte gut gefällt. Auch einige Restaurants und Bars haben geöffnet. Gleiches gilt für die großen Museen, Kirchen und Klöster. Zu berücksichtigen ist allerdings die Ausgangssperre zwischen 23 Uhr und fünf Uhr morgens. Die Preise sind kriegsbedingt günstig. Geldwechselstuben gibt es im Zentrum an fast jeder Straßenecke. Der aktuelle Euro-Kurs liegt bei 40 Ukrainischen Griwna.

Der Reisepass muss immer und überall mitgeführt werden. Kontrollen sind häufig, aber nicht beängstigend. Die historischen Sehenswürdigkeiten dürfen fotografiert werden, alle sicherheitsrelevanten Einrichtungen nicht. Das Regierungsviertel sowie der dahinter liegende Marienpalast und der Park am Dnepr sind gesperrt, doch auch abseits davon bietet die Stadt reichlich Sehenswertes.

Der Flugverkehr ist eingestellt, aber es fahren Züge. Von Berlin aus dauert es etwas mehr als 24 Stunden. Üblicherweise wird in Przemysl im äußersten Südosten Polens umgestiegen. Innerhalb Kiews ist die Metro zwar wieder in Betrieb, allerdings mit deutlich weniger dichten Taktzeiten. Dennoch ist dies noch immer das effizienteste Verkehrsmittel in der Stadt. Darüber hinaus verkehren Oberleitungsbusse und Straßenbahnen.

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