Mit der Kleinen alleine in die Mongolei
Ursprünglich wollten Solongo und ich unsere Hochzeitsreise in der Mongolei absolvieren und mit einem kurzen Auftakt in Japan kombinieren. Wie vor ein paar Jahren konnte es noch immer günstiger sein, mit der staatlichen mongolischen Airline MIAT über Ulaanbaatar nach Seoul oder Tokyo und wieder zurück zu fliegen, als nur hin und rück Ulaanbaatar zu buchen. Das war aber nun egal, weil ohnehin alles anders kommen sollte.
Die Hochzeit fand noch statt – eigentlich eine Doppelhochzeit zusammen mit einem eng befreundeten Pärchen. Aus der Mongolei waren die Mama, Solongos Schwester Uyanga und deren Tochter Nomin gekommen. Und natürlich Munkhtsetseg. Sie hatte zwei Monate zuvor zum zweiten Male ihre Zelte in Berlin abgebrochen, ließ es sich aber nicht nehmen, extra noch einmal zurückzukommen, um unsere Trauzeugin zu sein. Diese Rolle teilte sie sich mit Jan, mit dem wir ein Jahr zuvor eine Wahnsinnsreise durch Sibirien, die Mongolei und China unternommen hatten.
Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass sich bei Solongo eine neue berufliche Perspektive ergeben würde und wir die Hochzeitsreise verschieben müssten. Dumm war nur, dass ich mir die zwei in Rede stehenden Wochen bereits freigeschossen hatte und die Flüge gebucht waren. Das Add-on nach Tokyo ließ sich leicht canceln, doch von der Buchung als solcher würden wir ohne größere Verluste nicht herunterkommen. Zudem sollte die Reise mitten in den Kitaferien stattfinden, in denen unsere Tochter Soana ohnehin irgendwie betreut werden müsste. Und nicht zuletzt würde sie bald ihren zweiten Geburtstag feiern und könnte nun zum letzten Mal umsonst fliegen.
Die Lösung lag auf der Hand und wurde ein, zwei Wochen vor der Hochzeit offiziell beschlossen. Tuya – noch eine liebe und enge mongolische Freundin – feierte ihren Geburtstag und wir erfuhren, dass sie zusammen mit ihrem Sohn auch in die Mongolei fliegen wollte, aber keine Tickets mehr bekommen hatte.
Also flog ich zusammen mit meiner Kleinen allein und es gelang mir auch, Solongos Ticket auf Tuyas Namen umschreiben zu lassen. Traurig war nur, dass wir das traditionelle Fest des Haareschneidens für unsere Tochter in der Mongolei absagen mussten. Dieser Initiationsritus in der Wertigkeit von Taufe oder Beschneidung war ohne die Mama natürlich undenkbar. Wir verschoben und verlegten es auf Soanas zweiten Geburtstag Ende August bzw. von Ulaanbaatar nach Berlin. Es wurde die passende Klammer für eine unvergessliche Reise.
Baby und ich allein in UB*
* die unter „Kennern“ gängige Abkürzung für Ulaanbaatar
Wir waren etwas spät am Check-In aufgetaucht, weshalb unsere gute Freundin Tuya und ich keine Plätze nebeneinander reservieren konnten. Soana wurde zwar noch kostenfrei transportiert, hatte aber keinen Anspruch auf einen Sitzplatz. Und weil auch die Reihen hinter den Notausgängen belegt waren, würde mein Mädchen die gesamte Strecke auf Papas Schoß verbringen. Da war es hilfreich, dass neben mir eine verständnisvolle mongolische Dame saß, die am Ende sogar zuließ, dass Soana die Füße über ihr ausstreckte.
Soana war kurz vor der obligatorischen Zwischenlandung in Moskau eingeschlafen. Also schleppte ich sie auf meiner Schulter herum, als ich das mittlerweile wohlvertraute Ritual vollzog. Raus aus dem Flieger, Handgepäck muss mit, Pässe vorzeigen, gelbes Transferkärtchen sichern, Handgepäck durchleuchten lassen und zurück zum Gate, wo sie uns dann irgendwann wieder einlassen würden. Das dauert immer etwa eine halbe Stunde. Soana wachte ganz am Ende doch noch auf, würde aber auf der langen Strecke zwischen Moskau und Ulaanbaatar wieder in den Schlaf finden.
Nach der Landung am nächsten Morgen dauerte es ewig, bis Tuya ihr Gepäck zurückerhielt, doch im Anschluss konnten wir endlich unseren jeweiligen Familien in die Arme fallen. Bei mir waren es Solongos Mama, mein Schwager Tulga und dessen Frau Lkhavaa. Sie brachten mich erst einmal zur Bank, wo ich mich mit Mongolischen Tugrik eindecken konnte. Dann fuhren wir weiter zu Mamas Wohnung im Süden der Stadt jenseits des Tuul-Flusses und direkt unterhalb des Kriegerdenkmals für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges. Es war eine ansprechende Gegend, in die Mama erst vor ein paar Monaten gezogen war.
Nachdem wir angekommen waren, ausgepackt hatten, Geschenke für die Kinder übergeben wurden und ich umfassend von der Hochzeit berichtete, eröffnete man mir, dass ich über die Wohnung frei verfügen könne und Mama für die Zeit zu meiner Schwägerin ziehen würde.
Mir wurde alles gezeigt, von der Küche bis zum Klo. Ein paar Meter nach rechts gäbe es zwei kleine Supermärkte, direkt vor der Tür eine Bushaltestelle und gleich hinter dem Haus würde ein wilder Trampelpfad hoch auf den Hügel mit dem Kriegerdenkmal führen. Ich bekam ein Handy und das wars.
Ich war baff. Nachdem mir fünf Jahre zuvor noch vehement hinterhertelefoniert wurde, wenn ich auch nur kurz zum Supermarkt ging, wollten sie mich nun am anderen Ende der Stadt ganz allein mit meiner einjährigen Tochter lassen. Das rührte mich, denn ich wurde endlich verstanden. Ich mag es nicht, betüttelt und geführt zu werden und kann mich gut um meine eigenen Dinge kümmern, in die ich mir ungern reinreden lasse. Vermutlich waren sie von Solongo gebrieft und sie kannten mich ja auch schon. Doch ein solcher Schwiegersohn ist für jede wohlmeinende mongolische Familie eine Zumutung, weshalb ich Ihnen besonders dankbar war. Ganz nebenbei ist es auch ein Zeichen für die insgesamt sehr positive Entwicklung, die die Mongolei in den vergangenen Jahren durchlaufen hatte. Das machte Vieles möglich, worüber man sich zuvor noch heftig sorgen musste.
Die Highlights von Ulaanbaatar
Sie ließen mich also allein. Ich badete und wickelte die Kleine, machte ihr was zu essen und ließ sie kurz Mittagsschlaf machen. Nicht allzu lang, denn sie sollte sich an die Zeitumstellung gewöhnen und am Abend müde werden.
Das klappte gut, denn als Mama, Schwester und Bruder zurückkamen, hatte ich sie schon zu Bett gebracht. Mama wollte Wache halten und ich mit meinen beiden Schwiegergeschwistern in einer nahegelegenen Bar einen kurzen Einstand feiern. Eigentlich war ich am folgenden Sonntag mit Munkhtsetseg auf der Datscha verabredet, doch sie hatte gerade ein paar private Probleme zu lösen.
Baden am Tuul-Fluss – mit Soana und Nomin, Schwiegermama und Schwägerin.
Wettrennen auf dem Sukhbaatar-Platz.
Mit Schwester Uyanga und Bruder Tulga erstellten wir einen Alternativplan. Sie holten mich gegen Mittag ab und wir absolvierten die klassische Highlight-Tour durch Ulaanbaatar. Baden im Tuul-Fluss, der zentrale Sukhbaatar-Platz und das Gandan-Kloster. Letzteres war in sozialistischen Zeiten die einzige heilige Stätte, die die antireligiösen Verheerungen der Stalinzeit überstehen durfte und ist bis heute das Zentrum des mongolischen Buddhismus. Besonders eindrucksvoll ist die 26 Meter hohe Statue der Göttin Janraisig. 1938 wurde sie von sowjetischen Truppen demontiert und eingeschmolzen, in den 1990er Jahren jedoch mit Spendengeldern neu errichtet. Als eigentliches Oberhaupt des Klosters fungiert der Dalai Lama, für den eigens ein Thronsessel errichtet wurde. Der höchste Repräsentant des tibetischen und auch des mongolischen Buddhismus hatte den Ort einige Monate zuvor besucht, was zu erheblichen Spannungen zwischen der Mongolei und Festlandchina führte. Die mongolische Regierung sah sich gezwungen, erstens auf den streng religiösen Charakter der Visite hinzuweisen, an der sich keine staatlichen Repräsentanten beteiligt hätten, zweitens aber auch zuzusichern, dass sich ein solcher Fauxpas zumindest während der aktuellen Legislaturperiode nicht noch einmal wiederholen würde. So weit war es also schon gekommen.
Schon am Morgen hatte ich mit Soana einen kleinen Spaziergang unternommen, der während unserer zwei Wochen in Ulaanbaatar zu einem kleinen Ritual wurde. Ich schleppte sie auf dem wilden Trampelpfad gleich hinter Mamas Wohnung auf den Zaisan-Berg mit seinem Kriegerdenkmal. Und sie durfte die langen Treppen auf der offiziellen Route zur anderen Seite wieder hinablaufen. Treppensteigen stand zu dem Zeitpunkt gerade hoch im Kurs. Unten gabs ein Eis. Auf dem Weg zurück noch in den Supermarkt und ich fühlte mich wie ein Mongole.
Im Datschental vor den Toren der Hauptstadt und ein echter Sumotori
Am Abend telefonierte ich lange mit Munkhtsetseg und wir verabredeten, dass Soana und ich am kommenden Tag nun doch auf die Datscha kommen sollten. Vorher waren wir noch bei Munkhzuls Vater eingeladen, dessen Ferienhaus nur wenige Meter von Munkhtsetsegs entfernt lag. Er fuhr extra den ganzen Weg in die Stadt, um uns abzuholen und weil die beiden viele Jahre im mongolischen Verteidigungsministerium zusammengearbeitet hatten, kam Mama gleich mit. Wie viele ältere Mongolen sprach er hervorragend russisch, was die Konversation erleichterte. Munkhzul wusste um meine Vorliebe für die koreanische Küche und deshalb gabs Bulgogi, Samgyapsal und Kimchi. Zwischendrin wurde das eine oder andere Glas Wodka gereicht, was ich nicht immer annehmen konnte, denn erstens musste ich mich um meinen kleinen Sonnenschein kümmern und zweitens stand bei Munkhtsetseg noch eine Feier aus.
Am frühen Abend wechselten wir die Datschen. Bei Munkhtsetseg war wieder fast die gesamte Familie am Start. Ihre Eltern hatten vor den Toren der Stadt ein wahres Kleinod erschaffen. Vier Häuser – eines für jedes der Kinder und deren Familien. Dazwischen ein Spielplatz und eine gemütliche Terrasse fürs Grillen und Feiern. Räumlich schloss sich das Datschenareal in nördlicher Richtung direkt an den die Stadt umgrenzenden Jurtengürtel an. Es war ein liebliches Tal in den bewaldeten Ausläufern der Khentii-Berge.
Ein Jahr zuvor hatten wir uns noch große Sorgen um den kleinen Tsolmon gemacht, doch der war nach erfolgreicher Krebs-Therapie in Berlin endlich wieder zuhause und vor allem bei bester Gesundheit. Soana kannte Munkhtsetsegs Söhne und auch den kleinen Tsolmon aus Berlin, doch an diesem Abend klebte sie an ihrem Papa. Vielleicht war es einfach zu viel, weshalb ich sie in dem uns zugewiesenen Zimmer zum Schlafen brachte. Das ging erstaunlich gut und bald saß ich mit meinem Babyphone wieder im Garten.
Auf der Datscha von Munkhtsetsegs Familie im Norden von Ulaanbaatar.
Ich hatte nur kurz geschlafen, doch immerhin war Soana am nächsten Morgen wie ausgewechselt. Der Garten war ein Paradies für sie. Um die zehn Kinder liefen herum und meine Kleine konnte sich ganz gut integrieren. Der ältere Sohn Munkhtsetsegs hatte sein Kita-Deutsch aus Berlin noch nicht ganz vergessen und zumindest passiv verstand sie auch mongolisch.
Am Abend brachte uns Munkhtsetseg wieder zurück in die Stadt. Soana und ich würden heute bei meiner Schwägerin Uyanga übernachten, damit meine Schwiergermama auf die Kleine aufpassen kann. Ich war nämlich schon wieder verabredet. Dieses Mal mit Munkhzul und ihrem besten Freund. Die beiden kannten sich aus Kindertagen und hatten einige gemeinsame Jahre in Japan verbracht. Sie als Studentin und er als Sumo-Ringer. Ich würde also meinen ersten echten Sumotori kennenlernen und war entsprechend gespannt. Die Ehrfurcht wich bald gegenseitiger Sympathie. Koryu (seinen mongolischen Namen habe ich vergessen) war ein ganz normaler Typ, der nach seiner Rückkehr aus Japan eine Agentur für Motorradreisen in der Mongolei aufgebaut hatte und allerhand Geschichten zu erzählen wusste.
Munkhzul – das stellte sich zunehmend heraus – war überaus gut vernetzt, kannte Hinz und Kunz bzw. Dolgorsuren und Munkhbat. Sie hätte mich sogar mit Asashoryu und Hakuho zusammenbringen können, wenn die gerade in Ulaanbaatar gewesen wären. Die beiden sind die erfolgreichsten Sumo-Ringer der jüngeren Geschichte. Der eine – mein großer Held Asashoryu – hatte seine Karriere schon beendet und war in die Mongolei zurückgekehrt, der andere ist noch immer aktiv.
Munkhzul arbeitet in einer Consulting-Firma für japanische Kunden in der Mongolei und scheint nicht so schlecht zu verdienen. Umso erstaunlicher war es für mich, dass sie zwei Jahre zuvor fast ein ganzes Jahr ihrer Jugend geopfert hatte, nur um ihrer Schwester bei der Aufzucht der ersten Tochter zu helfen. Ganz offensichtlich fühlte sie sich in Ulaanbaatar aber deutlich besser aufgehoben als in Berlin, denn sie war regelrecht erblüht.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Ich würde jedem Reisenden den Süden Ulaanbaatars ans Herz legen. Hier ist die Stadt am gepflegtesten und mit dem Bogd-Khan-Palast, dem Kriegerdenkmal am Zaisan-Hügel sowie dem Ufer des Tuul-Flusses finden sich hier einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Ins Zentrum rund um den Sukhbaatar-Platz wird man ohnehin irgendwann kommen, doch es kann hilfreich sein, wenn die eigene Unterkunft etwas abseits des ständigen Dauerstaus in die Innenstadt liegt. Zur Not kann man laufen. Vom Bogd-Khan-Palast ist es nur ein halbstündiger Fußweg zum Sukhbaatar-Platz. Auf dem Weg zum Flughafen, nach Terelj und zu sämtlichen Überlandstraßen lässt sich die Innenstadt umgehen, was jeder zu schätzen weiß, der jemals im notorischen Verkehrschaos von Ulaanbaatar steckengeblieben ist.
Mittlerweile haben sich rund um den Zaisan und auch am Bogd-Khan-Palast einige sehr ansprechende Restaurants, Bars und Clubs angesiedelt.