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Ostwärts Reisen

Zaristische Pracht und revolutionäres Pathos - Sankt Petersburg

In der DDR gab es in jedem Kreis bzw. in jedem der elf Stadtbezirke Ost-Berlins genau eine sogenannte Russischschule, in der die Sprache des großen Bruderstaates bereits ab der dritten Klasse gelehrt wurde. Ich wurde als kleiner Zweitklässler dorthin delegiert, war aber nur ein, zwei Jahre dabei. Mit der Wende kam die Umstellung auf das neue Schulsystem. Englisch war nun wichtiger, doch warum das harte Vokabel- und Grammatik-Training im Russischen einfach wegwerfen? Ich blieb dabei und es zeigte sich, dass die neuen bundesdeutschen Lehrpläne weit weniger ambitioniert waren, als jene in der DDR, dass für eine gute Note spürbar weniger reichte als zuvor.

Bis zum Abitur lernte ich elf Jahre Russisch und es wäre schlimm, wenn davon nichts übriggeblieben wäre. Es geriet zwar Vieles in Vergessenheit, doch schon bei den ersten Reisen in die Mongolei ließ sich Einiges reaktivieren.

Nach der Uni hatte es mich zusammen mit meiner Freundin Solongo schon oft in den Osten Europas gezogen. Das gefiel uns auch deshalb, weil die touristischen Pfade nicht allzu ausgetreten waren, man das Gefühl bekam, dass sich die Menschen für einen interessierten. Und schöne Städte und Landschaften finden sich hier genauso wie anderswo. Hinzu kam, dass wir beide – Solongo und ich – in früher Kindheit realsozialistisch sozialisiert worden waren und es manchmal Spaß machte, dies gemeinsam wiederzuentdecken. Wiewohl ich eingestehen muss, dass Solongos Erinnerungen deutlich plastischer waren als meine und mit konkreten Gerüchen, Geschmäckern und Erlebnissen assoziiert waren. Die Mongolei war tausendmal sowjetischer als die DDR. Abseits der ländlichen Nomadenkultur war alles Neue und Moderne – vom Bonbon bis zur Eisenbahn – notwendigerweise sowjetisch. In der DDR gabs das alles schon, zumeist in besserer Qualität.

Bewegte Zeiten

Blick von der Isaak-Kathedrale in Richtung Norden.

Es war also fast zwangsläufig, dass wir irgendwann das mit Abstand größte der postsowjetischen Länder besuchen würden. Wir begannen mit Sankt Petersburg, weil wir im Freundes- und Bekanntenkreis sehr viel Begeisterndes über die Hauptstadt der Zaren gehört hatten.

Unsere Unterkunft lag nördlich der Newa auf der Petrogradskaya-Insel unweit der Metro-Station Sportivnaya. Die hatten wir mit Flughafenbus, Metro 2 und Metro 5 ganz gut gefunden, doch trotz der richtigen Adresse brauchten wir etliche Nachfragen, bevor wir an unserer winzigen Pension klingelten. Sie versteckte sich im Erdgeschoss eines Gründerzeitbaus, bestand eigentlich nur aus zwei Zimmern und die ganze Reise über würden wir von der immergleichen freundlichen Dame bewirtet werden. Direkt nebenan lag eine gemütliche Kneipe mit Bieren aus aller Welt, wo wir an den folgenden Tagen fast jeden Abend ausklingen ließen.

Es war August 2014. Einige Wochen zuvor war Deutschland in Rio Fußballweltmeister geworden. Noch wichtiger war jedoch, dass im Winter zuvor die Maidan-Proteste ausbrachen, in deren Folge Krieg im Osten der Ukraine tobte, Russland die Krim annektierte und die EU mit scharfen Sanktionen reagierte. Ich hatte durchaus Bedenken, inwiefern diese politischen Zerwürfnisse und die entsprechend aufgeheizte Stimmung die Reise beeinträchtigen könnten. Als Mongolin quasi unbeteiligt, sah Solongo das deutlich entspannter. Sie machte sich eher Sorgen, was die Familie denken würde, wenn wir ins benachbarte Russland führen, aber nicht in der Mongolei vorbeischauten. Ich entgegnete, dass ihre Mama sicher wüsste, dass Sankt Petersburg an der Ostsee und knapp 6.000 Kilometer von Ulaanbaatar entfernt liege. Das war auch so. Bei den Erinnerungen an das alte „Leningrad“ geriet Schwiegermama derart ins Schwärmen, dass sie uns in den Reiseplänen noch bestärkte.

Doch zurück zur Politik. Die Legitimität der Absetzung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, der prorussischen Gegenbewegungen in der Ostukraine, der russischen Annexion der Krim oder der Sanktionen seitens der EU wurden zu dieser Zeit heftig diskutiert, auch von mir. Und tatsächlich ist die Haltung zu Russland noch immer ein Spaltpilz in der deutschen Gesellschaft. Ich wünschte mir diesbezüglich mehr Mut zur Differenzierung und weniger Schubladen auf allen Seiten. Richtig störend finde ich, wenn selbst von betont liberalen Menschen Stereotype und Klischees kolportiert werden, die bei jedem anderen Volk sofort und mit Recht als Rassismus gegeißelt würden. Das Argument, dass Reisen in bestimmte Länder moralisch nicht vertretbar seien, habe ich noch nie verstanden. Nicht für Francos Spanien, Titos Jugoslawien, Mubaraks Ägypten etc. und schon gar nicht für das heutige Russland. Dann wahrscheinlich ist es für das Wohl und Wehe des russischen Staatswesens gänzlich irrelevant, ob Solongo und ich die Petersburger Paläste bestaunen oder nicht. Der Tourismus trägt zum Staatshaushalt Russlands weit weniger bei als in vielen anderen nicht ganz lupenreinen Demokratien zwischen Lissabon und Wladiwostok. Und grundsätzlich liegen gute Beziehungen zu Russland im ureigensten deutschen Interesse. Das ist Fakt, auch wenn es noch so schwierig sein mag.

Die bei Nacht geöffnete Schlossbrücke und das Winterpalais.

Wir reisten also in bewegten Zeiten. Ich kann nicht sagen, wie es vorher gewesen war, aber für uns hielten sich die Zumutungen in Grenzen. Die russischen Polizisten waren es vermutlich nicht gewohnt, als Reiseauskunft missbraucht zu werden und reagierten entsprechend. Auf den Märkten wurden allerlei propagandistische Waren angeboten, auf denen hauptsächlich Präsident Putin dem sogenannten „Westen“ in den Hintern trat. Dass wir beide dort erkennbar deutsch miteinander sprachen, störte aber niemanden. Nur in der Metro echauffierte sich eine ältere Dame, weil wir die kunstvollen Gründerzeitreliefe in der Station Mayakovskaya fotografiert hatten. Die anderen Fahrgäste nahmen dies mit Gleichgültigkeit bis hin zu Unverständnis entgegen. Richtig bedrohlich war es nie und selbst in der Fußballkneipe nebenan traute ich mich irgendwann, ein ukrainisches Bier zu bestellen.

Die unbekannte Schöne unter Europas Metropolen

Sankt Petersburg ist eine fantastische Stadt, mit der es an der Zahl der Paläste nur Venedig aufnehmen kann. Die spätere Hauptstadt der Romanows wurde vor etwas mehr als 300 Jahren – ähnlich wie zuvor schon Brügge oder Amsterdam – sumpfigem Marschland abgerungen. Die Fülle der Kanäle und Paläste brachte ihr den Beinamen „Venedig des Nordens“ ein, doch das greift zu kurz. Sankt Petersburg muss sich nicht als Abklatsch von etwas anderem feiern lassen, hat mehr zu bieten und ist deutlich heterogener, als das letztlich recht einheitliche venezianische Gesamtkunstwerk.

Das Winterpalais bzw. heute die Eremitage.

Natürlich führt es den Fremden zunächst in das eigentliche Zentrum südlich der Newa. Das war bei uns nicht anders als wir den Weg über die Schlossbrücke, durch die Eremitage – das ehemalige Winterpalais – und weiter über den Schlossplatz zum dort beginnenden Newskii-Prospekt nahmen und diesen fast in seiner gesamten Länge bis zum Moskauer Bahnhof hinabliefen.

Anschließend bestiegen wir die Isaak-Kathedrale, hatten einen fantastischen Blick über die Stadt, bestaunten das Mariinskii-Theater im westlichen Zentrum, spazierten entlang des Moika-Kanals zum prächtigen Heumarkt (Sennaya Ploshad‘) mit seinem ausgreifenden russischen Rynok (Markt). Shoppten im feudalen Kaufhaus Gostiny Dvor, besuchten andächtig die üppig verzierte Blutskirche und schauten auf dem riesigen Marsfeld Hochzeitspaaren beim Fotomachen zu. Abends hielten wir uns an die Restaurantempfehlungen unseres Reisebuches. Nicht weit von unserer Pension lag – ebenfalls auf der Petrogradskaya-Insel – das Mari Vanna. Das damals noch kleine und versteckt gelegene Lokal (mittlerweile sind sie umgezogen an eine deutlich prominentere Adresse zwischen Peter-und-Paul-Festung und Schlossbrücke) beschwor mit seiner liebevollen Einrichtung den Geist der Kommunalkas – der für Sankt Petersburg typischen Mehrfamilienwohnungen, in denen auch Wladimir Putin seine Kindheit verlebt hatte.

Das Grand Cafe Newa auf der Vasilyevski-Insel hingegen war großzügiger und erinnerte eher an das zaristische Russland. Beide waren preislich absolut erschwinglich, wiewohl wir ohnehin überrascht waren, dass sich unsere Befürchtungen hinsichtlich der astronomischen Preise in russischen Großstädten so gar nicht erfüllten.

Nachts blieben wir wach bis sich präzise um zwei Uhr morgens die Brücken entlang der Newa für den maritimen Durchgangsverkehr zwischen Ostsee und Ladogasee öffneten. Das ist vor allem in den Sommermonaten ein Spektakel, welches mit viel „Shampanskoye“ (Sekt) begossen wird. Man sollte aber darauf achten, dass man sich auf der richtigen Seite der Newa befindet, denn zu dieser späten Stunde haben die U-Bahnen ihren Betrieb längst eingestellt.

Abseits des eigentlichen Zentrums

Das Zentrum ist schön und in seiner Pracht viel beeindruckender, als die Innenstadt von Moskau. Es atmet den Geist des zaristischen Russlands und verdient es allemal, in dutzenden Spaziergängen entlang der vielen Kanäle erlaufen zu werden. Noch begeisterter jedoch waren wir von den Sehenswürdigkeiten an der Peripherie der ursprünglichen Planstadt.

Direkt in der Nähe unserer Pension lag am nördlichen Ufer der Newa die riesige Peter-und-Paul-Festung. Sie bildete den Grundstein für die mit fünfeinhalb Millionen Einwohnern nach Moskau, Istanbul, London und Paris fünftgrößte Metropolregion Europas. Heute sind in der Festungskathedrale die Gebeine der letzten Romanows bestattet, einer Dynastie, die diese Stadt und das ganze Land über mehrere Jahrhunderte hinweg geprägt hatte. Das Schicksal der Zarenfamilie entschied sich im Juli 1918 in einem Wald bei Jekaterinenburg mitten im Ural. Dort wurden nach dem Ende der Sowjetunion in den 1990er Jahren die sterblichen Überreste geborgen, um sie hernach in die Kathedrale der alten Petersburger Festung zu überführen. Doch auch abseits dieser tragischen Geschichte ist die Anlage historisch von eminenter Bedeutung und bietet nicht zuletzt einen hervorragenden Blick auf die Paläste am gegenüberliegenden Newa-Ufer.

Kathedrale der Peter-und-Paul-Festung. Hier liegen die Gebeine der letzten Romanovs.

Daneben ist Sankt Petersburg natürlich jene Stadt, in der sich – fast als Schnitzeljagd – eine der wichtigsten politischen Umwälzungen der Weltgeschichte nachvollziehen lässt. Die Ankunft Lenins auf dem Finnländischen Bahnhof, die Matrosenaufstände in Kronstadt, der Panzerkreuzer Aurora und dessen erster Schuss auf das Winterpalais und schließlich die Gründung der Sowjetunion im ehemaligen Frauenkloster Smolny. Das Winterpalais findet sich mitten in der Stadt. Heute ist dort die berühmte Kunstsammlung der Eremitage untergebracht.

Der Panzerkreuzer Aurora tat seinerzeit im Russisch-Japanischen-Krieg 1904/1905 seinen Dienst und wurde im Ersten Weltkrieg als Wachschiff in der Ostsee zur Unterstützung der russischen Infanterie eingesetzt. In der Nacht auf den Siebenten November 1917 gab er mit einem Schuss aus der Bugkanone das Signal für den Sturm auf das Winterpalais. Die russische Oktoberrevolution hatte begonnen. Heute liegt die Aurora in einem Kanal zwischen der Peter-und-Paul-Festung und dem Finnländischen Bahnhof, ist als Revolutionsmuseum zugänglich. Zum Finnländischen Bahnhof war Lenin nach seiner Reise in einem versiegelten Waggon durch Deutschland, mit der Eisenbahnfähre ins neutrale Schweden und schließlich über das seinerzeit noch russische Finnland nach Sankt Petersburg gereist. Natürlich wird der weite Bahnhofsvorplatz von einem riesigen, ihm gewidmeten Denkmal dominiert, kann als pittoreske Foto-Attraktion aber nicht wirklich herhalten.

Deutlich hübscher anzusehen ist der Smolny. Das Frauenkloster liegt an einer Biegung der Newa und wurde dereinst als Alterssitz von Zarin Elisabeth I. errichtet. Später diente es als Ausbildungsinstitut für die höheren Töchter der Hauptstadt und nach der Revolution als erster Sitz der sowjetischen Regierung. Diese war jedoch in einem Nebengebäude untergebracht, welches heute nicht öffentlich zugänglich ist. Doch immerhin durften wir Lenins Schreibtisch besichtigen.

Erreicht hatten wir den Smolny in einer Marschrutka. Mittlerweile steigen wir ganz selbstverständlich in solche Sammeltaxis, doch die erste Fahrt ging zum Smolny. Man winkt, sagt sein Ziel an, zahlt nur eine leicht überhöhte Busfahrkarte und quetscht sich ansonsten in die russische Gesellschaft.

Das ehemalige Frauenkloster Smolny.

Drei Kilometer südlich des Smolny lag das Kloster Alexander Newskiis. Dieser hatte im 13. Jahrhundert Russland sowohl gegen die Mongolen im Osten als auch gegen den Deutschen Orden im Westen verteidigt. Der russische Held kämpfte also gegen unserer beider Vorfahren. Sein Kloster markiert das andere Ende des herrlichen Alexander-Newskii-Prospektes und schmiegt sich zwischen die Newa, den Obvodny-Kanal sowie das Flüsschen Monastyrka.

Noch ein paar Tipps zum Schluss

Man muss nicht unbedingt am Newskii-Prospekt unterkommen. In den nördlich der Newa gelegenen Stadtteilen – Petrogradskaya und Vasileoovstrovsky – gibt es einige gute Hotels und Apartments, die zumeist deutlich günstiger sind, als die Unterkünfte im unmittelbaren Stadtzentrum. Für junge Leute mag von Interesse sein, dass sich hier in den vergangenen Jahren immer mehr Bars und Clubs angesiedelt haben. Zudem befinden sich mit der Peter-und-Paul-Festung, dem Panzerkreuzer Aurora oder der Krestovski-Insel wichtige Sehenswürdigkeiten in unmittelbarer Nähe. Ebenso einige gemütliche Märkte und Einkaufsstraßen. Wenn man sich in der Nähe einer der Stationen an den Metrolinien zwei, drei oder fünf befindet, wird man auf kürzestem Wege in die Innenstadt gelangen. In der Nacht, wenn die Brücken aufgehen, sollte aber unbedingt Sorge getragen sein, dass man sich auf der richtigen – in diesem Falle nördlichen – Seite der Newa befindet.

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