Fahrt mit der Transmongolischen nach Peking
Der städtische Alltag in Ulaanbaatar wurde mir bald etwas lang, zumal ich meiner Freundin ein wenig ungestörte Zeit mit der Familie gönnen wollte. Für diesen Fall war vorgesorgt, denn ich hatte mir schon in Berlin ein chinesisches Visum organisiert. Hin mit der Transmongolischen Eisenbahn, ein paar Tage in Peking und dann mit dem Flugzeug zurück nach Ulaanbaatar. Bei Solongos Familie stieß dieser Plan zunächst auf wenig Begeisterung. Sie übertrieben es mit ihrer Sorge, ließen mich aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen nicht mal rüber in den Supermarkt gehen. Als ich mich doch einmal rausschlich, riefen sie mich minütlich an und erkundigten sich nach meinem Wohlbefinden. Über die Transmongolische Eisenbahn wurden Szenarien entwickelt von wütenden, betrunkenen Horden, die auf der Jagd nach Ausländern jedes Abteil absuchten. Wenn überhaupt, solle ich doch fliegen und mir am Airport in Peking einen innermongolischen Führer nehmen, der mich die paar Tage durch die Stadt begleiten könne. Ich hielt das für arg übertrieben. Über die Mongolei wussten sie sicher besser Bescheid, doch auch hier war es eher eine Frage der individuellen Risikoabschätzung. Vor allem meine Schwägerin und deren Mann tendierten – recht ungewöhnlich für Mongolen – zu übergroßer Vorsicht. Tatsächlich war die Transmongolische Eisenbahn ein Backpackertraum, über den ich bereits im Vorfeld Einiges gehört und gelesen hatte. Herrje – sogar Solongos 92jährige Oma hatte den Zug einige Monate zuvor genommen, um in der britischen Botschaft in Peking ein Besuchervisum für das Vereinigte Königreich zu beantragen. Sie wollte ihren Sohn in London besuchen, was die Briten ihr verweigerten. Shame on them.
Abschied im Morgengrauen am Hauptbahnhof von Ulaanbaatar.
Und Peking kannte ich schon. Es ist eine moderne Metropole mit all ihren Annehmlichkeiten und dem Sicherheitsgefühl einer totalitären Diktatur. Das einzige Problem war, dass ich mir dort an der mongolischen Botschaft ein neues Visum besorgen müsste. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich schon auf unserem Weg nach Seoul einen Einreisestempel erhalten und sich mit der Rückkunft vier Tage später die zwei beantragten Einreisen erschöpfen würden.
Wir gingen also zum Bahnhof und buchten eine Verbindung für den darauffolgenden Tag. Es gab nur Viererabteile und ich würde notwendigerweise Gesellschaft erhalten. Solongo und ihre Familie präferierten eindeutig weibliche Begleitung, was ich einerseits rührend und andererseits vertrauensvoll fand. Natürlich machten wir Witze, wer und was mich erwarten würde, verliehen der Unbekannten den Namen Gowintsetseg (Wüstenblume) und malten uns aus, welche Dynamiken sich während der langen Fahrt entfalten würden. Letztlich war es denkbar unspektakulär. Sie war zwar in meinem Alter, aber gleichermaßen unscheinbar wie distanziert und sollte in den kommenden 30 Stunden kein einziges Wort mit mir wechseln.
Vor mir liegen 30 Stunden auf dem Weg nach Peking.
Der Zug war den weiten Weg aus Moskau gekommen, doch mein Abteil lag in zwei mongolischen Wagen, die erst in Ulaanbaatar angekoppelt wurden. Das war ganz gut so, denn die tatsächlich reichlich vorhandenen ausländischen Touristen saßen allesamt in den restlichen Waggons. Beeindruckt war ich vor allem vom Speisewagen mit seinen traditionellen mongolischen Schnitzereien, den Plastikblumen auf den Tischen, den Vorhängen zwischen den Sitzreihen und den Holzvertäfelungen. Hier hielt ich mich oft auf, zumal dahinter ein kleiner Raucherbereich eingerichtet war. Die ersten Stunden schaute ich noch raus, doch bald hinter den Outskirts von Ulaanbaatar wechselte die Steppe in die kargen Weiten der Gobi. Meist Halbwüste mit geringem Bewuchs. Vereinzelte Jurten und Vieh, dazwischen absolute Leere. Keine Sanddünen, sondern ebene Togografie mit endlosem Geröll. Nicht sehr abwechslungsreich, doch allein in der Weite beeindruckend. Auf mongolischer Seite hielt der Zug in Choir, Sainshand und Zamiin-Uud. Die ersteren beiden kleinere Provinzzentren und Letzteres der Grenzbahnhof zu China. Dies waren auch die einzigen nennenswerten Siedlungen an der Strecke. In Sainshand gab es einige Industrieanlagen und man konnte erkennen, dass von dort die großen Tagebaue der Südmongolei versorgt wurden.
Insgesamt ist die Strecke 1.300 Kilometer lang, also einmal Berlin-München und zurück. Was der ICE in zehn Stunden schafft, dauert zwischen Ulaanbaatar und Peking dreimal so lang. Der Zug ist nicht sehr schnell und allein für die Grenze gehen ganze sechs Stunden drauf. Die mongolische Abfertigung erfolgte in der Siedlung Zamiin Uud und mit knapp 60 Minuten verhältnismäßig schnell. Nach der kurzen Fahrt über die Grenze waren die chinesischen Kontrollen in Erenhot wesentlich intensiver. Es verunsichert ein wenig, wenn zunächst im Kasernenhofton die Pässe eingesammelt werden und mehr als eine Stunde lang nicht zurückkommen. Zumal man in dieser Zeit das Abteil nicht verlassen darf. Die Rückgabe geht einher mit einer Befragung nach familiärem und beruflichem Hintergrund sowie Sinn und Ziel der Reise. Der Zoll durchwühlte meine Habseligkeiten, doch zumindest ließen sie mein Handy in Ruhe.
Danach durften wir kurz den Zug verlassen und uns die Füße vertreten. Es war schon nach Mitternacht und über den Bahnsteig waberte sphärische Musik.
Mitternacht am Grenzbahnhof von Erenhot.
Im Anschluss nahm die Anpassung der Spurweite nochmals mehrere Stunden in Anspruch. Hier musste vom sowjetischen auf das international gängige System umgestellt werden, weshalb die Fahrt nach Peking erst im Morgengrauen fortgesetzt wurde.
Landschaftlich unterscheidet sich die Innere Mongolei kaum von den südlichen Provinzen der Äußeren Mongolei. Das mongolische Wort Gobi ist eigentlich kein Eigenname, sondern lediglich der Sammelbegriff für karges Ödland. Und durch dieses sollte sich die Fahrt noch einige Stunden fortsetzen. Allerdings war die Innere Mongolei erkennbar dichter besiedelt. Noch immer weit entfernt von europäischen Verhältnissen, doch zumindest zog etwa alle dreißig Minuten ein kleiner Bahnhof vorbei, an dem mitunter auch gehalten wurde. Die Schilder waren zweisprachig, Mongolisch und Chinesisch. Im Gegensatz zur Äußeren Mongolei wurde in der Inneren Mongolei nicht das Kyrillische adaptiert, sondern die altmongolische Schrift beibehalten. Von oben nach unten in kunstvoll verschnörkelten Lettern geschrieben. Es ist schade, dass diese Schrift wohl auch in China bald aussterben wird.
Viel Fersengeld und ein Schafskopf
Mein persönliches Highlight in Peking war das riesige Gelände des Sommerpalastes im Nordwesten der Stadt, dessen Pracht, Verspieltheit und Weiläufigkeit sich in nur einem Foto aber nicht ansatzweise darstellen lässt.
In Peking hatte ich mir im Nordwesten der Stadt unweit des Sommerpalastes im Studentenviertel Wudaokou ein Hotel herausgesucht. Das war eine gute Wahl, denn ich hatte in den Kneipen und Clubs der Gegend einige aufschlussreiche Begegnungen, die mir einen Eindruck gaben von den politischen Kämpfen und dem Freiheitsdrang vieler junger Akademiker. Ansonsten bin ich sehr viel gelaufen, habe mir sämtliche Sehenswürdigkeiten von Stadt und Region erschlossen. Auch hier half mir das Japanische, denn zumindest die Schriftzeichen sind ähnlich, Aussprache aber nicht.
In Peking wird man zwar nicht überfallen, doch es sind viele Betrüger unterwegs, die es auf allein reisende Ausländer abgesehen haben. Befreundete Austauschstudenten in Japan und auch „meine“ Mongolen hatten mir einige üble Geschichten erzählt, sodass ich also ausreichend gebrieft war. Und tatsächlich wurde ich in der Verbotenen Stadt von einem recht seriös wirkenden älteren Herrn angesprochen, der mir in gepflegtem Englisch eine Teestube jenseits des Nordausgangs empfahl. Dieses Szenario hatte ich schon zweimal aus voneinander unabhängigen Quellen geschildert bekommen. Ich würde dort einkehren, auf Empfehlung des älteren Herren einen Tee bestellen und hinterher eine Rechnung in Höhe von mehreren hundert Euro präsentiert bekommen, was meinen neuen Freund wiederum äußerst überraschen würde. Wenn ich Probleme machte, würden bald ein paar kräftig gebaute „Söhne“ der Inhaberin auftauchen, um mich zur Begleichung meiner Schulden anzuhalten. Kurz vor der Teestube bedeutete ich meinem neuen Freund, dass er sich gefälligst zum Teufel scheren möge. Er reagierte unwirsch, doch als ich auf den nahen Polizeiwagen verwies, war er schnell weg. Im weiteren Verlauf der Reise wollte mich ein angebliches Mutter-Tochter-Duo noch zum Kauf einer offenbar sehr seltenen Kalligraphie überreden…
Noch störender waren jedoch die Prostituierten rund um die pittoresken Seen im Norden der Innenstadt. Man kann sie nicht loswerden, ohne sehr unfreundlich zu werden, was mir schwerfiel, weil sie mir eigentlich leidtaten. Peking ist eine beeindruckende Stadt, doch so recht wurde ich mit den chinesischen Umgangsformen nicht warm. Natürlich gibt es solche und solche, doch im Herzen war ich froh, bald wieder ins wilde, derbe und herbe Ulaanbaatar wechseln zu dürfen.
Schafskopf zum Geburtstag und zum Abschied aus der Mongolei.
Das mit dem Visum hatte recht einfach geklappt, kostete nur eine Stunde. Nach meiner nunmehr dritten Ankunft in Ulaanbaatar blieb noch ein Abend, mein Geburtstag. Zur Feier des Tages hatten wir uns in einem mongolischen Restaurant in der Innenstadt versammelt. Munkhtsetseg und Deegii-san samt Frau waren auch am Start. Mir wurde unter anderem Schafskopf serviert, was natürlich ein Witz sein sollte. Das Vieh hatte zwei Zwiebelringe obendrauf und starrte mich mürrisch an. Erwartungsgemäß sagte ich Nein, doch meine Freundin wollte mich offenbar beeindrucken. Sie nahm die Augen heraus und lutschte sie mit ostentativer Gelassenheit aus. Das sei wohl das Beste am ganzen Kopf. Nachdem sie sich auch noch an den Wangen versucht hatte, wurde sie im weiteren Verlauf des Abends ins Krankenhaus eingewiesen, um Kochsalzlösung zu erhalten. Das half offenbar und wir konnten am kommenden Tag den Rückflug nach Berlin antreten.
Noch ein paar Tipps zum Schluss
Die Transmongolische Eisenbahn ist natürlich ein Erlebnis an sich und die ideale Art, einen Urlaub in der Mongolei mit dem Baikal oder der chinesischen Hauptstadt Peking zu verbinden. Allerdings bietet die Strecke durch den Süden der Mongolei und die zu Festlandchina gehörende Innere Mongolei landschaftlich nur sehr wenig Abwechslung. Zudem nimmt die Umstellung der Spurweite an der Grenze mehrere Stunden in Anspruch und weil man während dieser Zeit das eigene Abteil nicht verlassen darf und auch die Waschräume zugesperrt sind, sollte man sich vorher unbedingt noch einmal „erleichtert“ haben.
Auch sollte man sich vor der Einreise genauestens informieren, welche Überraschungen an der Grenze warten können. Es kann durchaus sein, dass Überwachungssoftware auf dem Handy installiert wird. Und auch weil die Mobiltelefone nicht selten nach „verdächtigen“ Inhalten durchsucht werden, empfiehlt sich auf Reisen in die Volksrepublik China grundsätzlich das Mitführen eines ungenutzten bzw. weitgehend datenbereinigten Ersatzgerätes.
Peking ist eine dynamische, äußerst interessante und an vielen Ecken auch sehr schöne Stadt. Klar kann man hier alleine herumkommen, doch ganz unkompliziert ist es nicht. Es gibt wohl kaum ein Land auf der Welt, in dem die fremdsprachlichen Kenntnisse so gering ausgeprägt sind wie in Festlandchina, weshalb jede einzelne Interaktion recht mühselig werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass kleinere Betrügereien – ganz im Gegensatz zu Japan oder Südkorea – weit verbreitet sind. Auf keinen Fall sollte man sich von Fremden auf der Straße in irgendwelche Etablissements locken oder zu vermeintlich günstigen Schnäppchenkäufen überreden lassen. Es gibt eine ganze Bandbreite verschiedenster Betrugsmaschen, die explizit westliche Touristen zum Ziel haben. Positiv ist allerdings, dass abseits davon das Sicherheitsgefühl recht hoch ist, Überfälle, Schlägereien oder Taschendiebstähle sehr selten vorkommen.